ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jan C. Behrends/Árpád von Klimó/Patrice G. Poutrus (Hrsg.), Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu Ost- und Westeuropa (Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 68), Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2005, 368 S., geb., 36,00 €.

Arbeiten zur europäischen Rezeption von und Auseinandersetzung mit den USA sind eine feste Größe in der internationalen Forschungslandschaft. Während lange Zeit Amerikanisierung der Begriff der Wahl war, um diese Phänomene zu fassen, so scheint in den letzten Jahren verstärkt der Antiamerikanismus diese Rolle zu übernehmen. Seit den Anschlägen vom 11. September erlebt der Begriff eine bemerkenswerte Konjunktur in akademischer wie nicht-akademischer Publizistik, die einen weiten Bogen zwischen Polemik und um Sachlichkeit bemühter sozial- und kulturwissenschaftlicher Analyse spannt. (1) Dabei erweist sich der Begriff des Antiamerikanismus, mehr noch als der der Amerikanisierung, als politisch wie emotional überfrachtetes Schlagwort, an dessen Unschärfen sich die einschlägige Forschung immer wieder abarbeitet.

Der vorliegende Band bereichert diese Debatten um eine differenzierte und in mancherlei Hinsicht innovative Sichtweise. Sein großes Verdienst ist, Antiamerikanismus nicht als Produkt einzelner ideologischer oder national-kultureller Befindlichkeiten zu betrachten, sondern in verschiedenen historischen Formationen vergleichend zu untersuchen. Während in den meisten Arbeiten der US-amerikanische Sieg im Zweiten Weltkrieg als zentrales, ordnungsgebendes Ereignis fungiert, das eine Konzentration auf die Jahre nach 1945 sowie auf Westeuropa nach sich zieht, widmet sich der Band West- und Osteuropa und definiert als seinen Untersuchungszeitraum die ,,Klassische Moderne" vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre.

Die Einleitung skizziert zunächst die Unordnung des Begriffs Antiamerikanismus, bevor sie ihn als ,,Ideologem" klassifiziert, das ,,vor dem Hintergrund [des] raschen sozialen und kulturellen Wandels [der Moderne] komplexitätsreduzierende Wahrnehmungen und damit die Abgrenzung gegenüber einer als bedrohlich wahrgenommenen Veränderung und zugleich die Neukonstitution der eigenen Identität ermöglichte [... ]" (S. 15). Auf der Suche nach einer ,,nüchterne[n] Arbeitsdefinition von Antiamerikanismus" (ebd.) versuchen die Autoren zwischen Amerikakritik und Antiamerikanismus zu differenzieren, wobei sie letzteren wiederum nach ,,klassischem", ,,radikalem" bzw. ,,entgrenztem" und ,,populistischem" Antiamerikanismus unterscheiden (S. 16, 30). Eine solche Ordnung ist verführerisch, kann aber im Zuge einer so knappen Einleitung nicht unterfüttert werden und wird auch in den folgenden Fallstudien nicht weiter entwickelt.

Dieser Versuch einer Systematik in der Einleitung der Herausgeber wird ergänzt von einem zweiten einführenden Aufsatz des renommierten Amerikanisierungsforschers Konrad Jarausch, der sich dem Antiamerikanismus dezidiert als 'Missverständnis' Amerikas nähert. Mit Mut zu Widersprüchen und Vorläufigkeit skizziert Jarausch darin Themen in rechten und linken Diskursen des Antiamerikanismus und leitet Problemkreise für deren historisierende Untersuchung ab.

Die folgenden Beiträge erhellen schlaglichtartig die Formation und Dynamiken amerikafeindlicher Diskurse in verschiedenen historischen und geografischen Kontexten. Dabei stehen auf der einen Seite Fallstudien, die die erstaunliche Anpassungsfähigkeit des Antiamerikanismus an verschiedene ideologische Konstellationen illustrieren, auf der anderen Seite Untersuchungen zu dessen fehlender Anschlussfähigkeit in manchen Kontexten. Daneben geht es um historische Momente, in denen Überlagerungen von Antiamerikanismus und Amerikaeuphorie deren gegenseitige Bedingtheit deutlich machen.

Der überwiegende Teil der Beiträge legt den Schwerpunkt auf das Wirken antiamerikanischer Diskurse in Kontexten der Amerikanisierung bzw. Sowjetisierung nach 1945. Ich möchte Thomas Lindenbergers Aufsatz herausgreifen, da er den analytischen Fokus auf Antiamerikanismus überzeugend einsetzt, um tradierte Binaritäten in der Wahrnehmung von West- und Ostdeutschland während des Kalten Krieges aufzubrechen. Lindenberger diskutiert filmische Inszenierungen von 'Heimat' als Gegenpol zur als Bedrohung empfundenen Präsenz Amerikas. Das geschieht nicht etwa im für die bundesrepublikanische Kultur der 1950er-Jahre so charakteristischen westdeutschen Heimatfilm, sondern in seinem weit weniger prominenten ostdeutschen Pendant. Ausgehend von der Einsicht, dass ,,,Heimat' in der Kulturpolitik des Spätstalinismus gegenüber dem Primat des auf das werdende ,Neue' ausgerichteten ,sozialistischen Realismus' nachrangig, aber dennoch unverzichtbar" war, analysiert Lindenberger in zwei exemplarischen DEFA-Filmen die ,,Inszenierung des ,Amerikanischen' als dem Bösen im Kontext von deutscher ,Heimat'" (S. 188f.).

Árpád von Klimós und Gyula Virágs Aufsatz ist beispielhaft für die Beiträge des Bandes, die sich mit dem diskursiven Scheitern des Antiamerikanismus beschäftigen. Die Autoren diskutieren die im europäischen Vergleich geringe Popularität antiamerikanischen Gedankenguts im Ungarn der Jahre 1916-1949, die sie auf das Fehlen eines ,,originär ungarischen Antiamerikanismus" (S. 89) zurückführen. Amerikafeindliche Diskurse, so von Klimó und Virág, kamen als Importe nach Ungarn, primär aus Deutschland, und konnten nie wirklich in der ungarischen Kultur der Epoche Fuß fassen.

Markus Urbans Analyse deutscher Publizistik zur Zeit des Dritten Reichs mag schließlich als Beispiel für ambivalente Konstellationen von Antiamerikanismus und Amerikaeuphorie dienen. Urban entfaltet die deutlichen Fluktuationen im deutschen Amerikadiskurs 1933-1945 vor dem Hintergrund der sich wandelnden ideologischen Bedürfnisse des Nazi-Regimes. Dabei ist Urban bemüht, auch Momente des Dissens' im Wirken des Ideologems nachzuweisen, wenn er z. B. reflektiert, dass das von ihm fokussierte ,,Genre Sachbuch in der totalitären Gesellschaft möglicherweise als eines der letzten Refugien eines nicht mehr für möglich gehaltenen Meinungspluralismus fungieren konnte" (S. 66).

Zentrales Thema des von Andrei Markovits verfassten Ausblicks ist die Schnittmenge von Antiamerikanismus und Antisemitismus, die er zur kulturellen Kodierung von 'Amerika' und 'den Juden' als Synonyme der Moderne zurückverfolgt (S. 328) und in der aktuellen europäischen Publizistik aufspürt. Er beschließt den Band, ebenso passend wie eindringlich, indem er die Notwendigkeit eines historisch informierten, öffentlichen Diskurses über die USA unterstreicht: Antiamerikanismus, so Markovits, sei ,,zunehmend Teil des europäischen Selbstverständnisses" (S. 345), und er mahnt: ,,[d]em Antiamerikanismus könnte mit der Entstehung des vereinten Europa die Funktion zufallen, diese neue Gemeinschaft zusammenzuschweißen" (S. 349).

Insgesamt bietet der Band eine überaus lohnende Lektüre. Seine Stärke liegt darin, die historischen Entwicklungslinien, die hinter aktuellen Phänomenen des Antiamerikanismus stehen, zu entfalten und so einfachen Erklärungsmustern differenziertere Narrative entgegenzusetzen. In Anlehnung an ein zentrales Diktum der westeuropäischen Amerikanisierungsforschung kann man sagen, dass der Band, mit aller gebotenen Vorsicht, den Antiamerikanismus als Paradigma zur Erklärung der gesamt-europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts testet. Damit liefert er auch einen Baustein im Projekt einer über Europa hinausgehenden Erforschung der Rolle des Amerika-Diskurses für die globalen Modernen.

Katja Kanzler, Leipzig

Fußnoten:


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