ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Andreas W. Daum/Lloyd C. Gardner/Wilfried Mausbach (Hrsg.), America, the Vietnam War and the World. Comparative and International Perspectives (Publications of the German Historical Institute), Cambridge University Press, Cambridge 2003, 371 S., kart., 21,90 € .

Auch nach über 30 Jahren intensiver Erforschung bleibt der Vietnamkrieg eine Herausforderung. Noch immer sind überraschend große Teile des Gesamtkomplexes ,,Vietnam" unerforscht, andere nicht abschließend geklärt. Hinzu kommen die im Zuge methodischer Umbrüche neu aufgeworfenen Probleme: Inwiefern war ,,Vietnam" ein globales Ereignis? Wie verhielten sich transnationale Akteure? Welchen Platz nimmt der Krieg in der amerikanischen Erinnerungskultur ein?

Es sind Fragen solcher Art, die der von Andreas Daum, Lloyd Gardner und Wilfried Mausbach herausgegebene Band aufgreift - und damit einmal mehr beweist, wie fruchtbar die Neuansätze einer erweiterten Internationalen Geschichte sein können. Methodisch innovativ erschließen die Autoren zum ersten Mal systematisch die internationale Dimension des Vietnamkrieges. Sie versuchen ,,to link together three dimensions of the Vietnam War - the war as America's war, as an international event, and as a starting point for historical comparisons [... ]" (S. 2). Folglich vereint das Buch in insgesamt drei Abschnitten ein Ensemble äußerst heterogener Beiträge und bildet damit die Breite der Forschung gut ab.

Die Beiträge des ersten Teils - ,,Relocating Vietnam" - versuchen den Vietnamkrieg aus verschiedenen vergleichenden Perspektiven historisch neu zu verorten. Es geht um US-amerikanische Vorstellungen von Asien (Fabian Hilfrich), um Kolonialkriege des 19. Jahrhunderts, den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg von 1776, den japanisch-chinesischen Krieg von 1937 (Michael Adas, Christopher Jespersen, John Prados) - jeweils im Vergleich zum Vietnamkrieg, um Friedensverhandlungen in Korea und Vietnam (Jeffrey Kimball) sowie um die erinnerungskulturelle Rezeption von Kriegen (Sabine Behrenbeck). Solche diachronen Vergleiche haben immer ihre Risiken, eröffnen aber auch neue Erkenntnismöglichkeiten. Fabian Hilfrich etwa arbeitet am Beispiel zweier amerikanischer Diskurse über Domino-Theorien und Zivilisationsverständnisse überzeugend heraus, dass Südostasien spätestens seit 1898 gleichermaßen zum Interventionsfeld amerikanisch-zivilisierender Missionen wie auch zum Fantasiegebilde apokalyptischer Untergangsszenarien wurde. Jene Ansätze, die über den engen Kontext des Kalten Krieges bzw. der klassischen ,,Containment"-Erzählung hinausgehen und tiefer liegende Kontinuitäten - seien es nun diskursive, ideologische oder kulturelle Dispositionen - sichtbar machen, dürften die Forschung noch eine ganze Weile beschäftigen. Ebenso demonstriert der scharfsinnig argumentierende Vergleich Sabine Behrenbecks zwischen Versailles und Vietnam, wie bereichernd die Untersuchung der nachgelagerten erinnerungskulturellen Deutungskämpfe sein kann. Schließlich sind Mahnmale - ,,memorials" - nicht nur Orte der kollektiven Erinnerung, sondern auch Symbole gesellschaftlicher Selbstverständnisse, die immer mit politischen Aussagen und historischen Sinnkonstruktionen konnotiert sind. Hier dürfte ein weiteres zukünftiges Forschungsprogramm vorgezeichnet sein.

Methodisch eher konventionell-diplomatiegeschichtlich geht es im zweiten Abschnitt weiter, in dem die Autoren spannende Ansätze zur Internationalisierung der Untersuchungsperspektiven anbieten. Exemplarisch seien hier die Aufsätze von Fredrik Logevall, Arne Kislenko und Peter Edwards genannt. Gestützt auf multinationale Archivrecherchen betont Fredrik Logevall, dass sich Lyndon B. Johnson und seine Berater aus persönlicher Eitelkeit bewusst über die massiven Bedenken westeuropäischer Verbündeter hinwegsetzten und keineswegs in den Krieg gedrängt wurden. Auf der anderen Seite des Globusses war diese Entscheidung jedoch durchaus willkommen, denn die thailändische und die australische Regierung begrüßten aus jeweils unterschiedlichen Interessenlagen heraus das steigende Engagement der USA, wie Arne Kislenko (zu Thailand) und Peter Edwards (zu Australien) beschreiben. Zusammengenommen zeichnen alle drei Aufsätze ein präzises Bild des fragilen globalen Geflechts widersprüchlicher Erwartungen und Ängste. Letztlich kam der Versuch der US-Regierungen, in Vietnam die amerikanische Glaubwürdigkeit zu verteidigen, daher einer 'Quadratur des Kreises' gleich. Zwei Beiträge von Hubertus Zimmermann zu den weltwirtschaftlichen Folgewirkungen des Krieges und Eva-Maria Stolberg zur Bedeutung des Vietnamkrieges für den sowjetisch-chinesischen Antagonismus schließen die Sektion ab.

Der dritte Teil verlässt die Regierungsebene und nimmt die Reaktionen europäischer Gesellschaften in den Blick. Auch hier kommen die Autoren zu interessanten Teil- und Gesamtergebnissen. Zwar wurde der Vietnamkrieg in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich wahrgenommen, diente bisweilen sogar als Projektionsfläche. Westdeutsche Studenten, so etwa Wilfried Mausbach, ,,were protesting not so much against the current American actions in Southeast Asia as against past German atrocities in Europe" (S. 279). Aber der Krieg wurde eben auch in den meisten europäischen Gesellschaften problematisiert und verhandelt, war mithin ein internationales Ereignis, das in Italien (Leopoldo Nuti), in der DDR (Günter Wernicke) und in der transnationalen Frauenbewegung (Barbara L. Tischler) zum Katalysator verschiedenster sozio-politischer Wandlungsprozesse wurde.

Insgesamt geben die Beiträge der Forschung eine ganze Reihe wichtiger Impulse und entdecken aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen, die bisher kaum untersucht worden sind. Zwei allgemeine Überlegungen seien abschließend trotzdem noch hinzugefügt. Zum einen mag man bedauern, dass die lokalen vietnamesischen Kriegserfahrungen nur wenig Beachtung finden. Allein der Aufsatz von Eva-Maria Stolberg enthält einige Passagen, in denen (nord-) vietnamesische Akteure zu Wort kommen. Zum anderen sind die Beiträge zwar notwendig international ausgerichtet, aber noch nicht hinreichend global. ,,Vietnam and the world": Das meint in der dritten Sektion hauptsächlich Europa. Gern würde man mehr über die Vietnamkriegsdiskurse afrikanischer oder lateinamerikanischer Gesellschaften erfahren. Immerhin kam es nicht nur in Berkeley oder Berlin zu Demonstrationen gegen den amerikanischen Krieg, sondern auch in Mexiko City und Kairo. Inwiefern war der Vietnamkrieg also Teil eines entstehenden ,,globalen Dorfes" (Marshall McLuhan)? In dieser Hinsicht stellt der vorliegende Band die richtigen Fragen, auch wenn selbstredend noch nicht alle Antworten geliefert werden können.

Den Herausgebern ist es gelungen, einen Band zusammenzustellen, der die Geschichte des Vietnamkrieges erstmals systematisch und auf verschiedenen Ebenen in internationale Kontexte einbettet. Die Forschung wird damit auf eine neue Stufe gehoben.

Sönke Kunkel, Köln/Harvard


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