ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Burkhard Olschowsky, Einvernehmen und Konflikt. Das Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen 1980-1989 (Veröffentlichungen der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e.V., Bd. 7), Fibre Verlag, Osnabrück 2005, 692 S., kart., 32,50 €.

Das im Fibre Verlag veröffentlichte Buch von Burkhard Olschowsky ist ein interessanter Versuch, die Geschichte der Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen (VRP) in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts zu beschreiben. Dabei stützt sich der Autor auf eine sehr gut fundierte Basis an Fachliteratur, auf Archivalien aus deutschen, polnischen und amerikanischen Archiven, wie auch auf eigene geführte Interviews. Olschowskys Arbeit ist chronologisch gegliedert und in sechs Perioden unterteilt (1980-1981, 1982-1983, 1984-1985, 1986, 1987, 1988-1989), in denen bestimmte Probleme in der Beziehung zwischen DDR und VRP behandelt werden. Grundsätzlich war dieser Aufbau des Buches eine gute Lösung, obwohl einige kleine Einsprüche in Bezug auf Inkonsequenzen bei der zeitlichen Zuordnung erhoben werden können (z.B. Kontroversen zum ,,Spiegel" aus dem Jahre 1983 im Teil I, S. 67-69).

Der Autor geht in seinem Buch über das hinaus, was der Titel verspricht und behandelt den Vergleich der politischen Systeme in einem sehr breiten Rahmen. Teilweise war die Vorgehensweise Olschowskys unvermeidbar, weil es kaum möglich wäre, die Relation DDR-VRP zu analysieren, ohne die innerdeutschen Beziehungen wie auch die Politik der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten anzusprechen. Teilweise scheint aber das Interesse des Autors, z.B. an Fragen der Ostpolitik in den Achtzigerjahren und an die Einstellung der SPD zu Solidarnoÿÿ, stärker zu sein, als die Konstruktion des Buches dies zulässt. Diese Problematik wird im internationalen Kontext besonders umfangreich im ersten und zweiten Teil betrachtet. Zugunsten des Autors ist zu sagen, dass es sehr interessante Ausführungen sind, und Olschowsky, bei seiner ganzen kritischen Einstellung, keine einfachen und eindeutigen Antworten gibt, sondern ,,deutschland-, handelspolitische[n] und nicht zuletzt historische[n]Gründe[n]" (S. 62) anführt.

Den Hauptgedanken des Werkes bildet nicht die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Polen und der DDR, sondern der Vergleich der politischen Systeme dieser beiden Staaten, die zwar gemeinsam zum ,,Ostblock" gehörten, sich aber auf sehr verschiedene Weise zwischen Totalitarismus und Autoritarismus profilierten. In beiden Ländern unterschied sich die Ausübung der Parteienherrschaft voneinander, und der Autor nimmt als Grundlage des Vergleiches dieser differierenden Herrschaftsausübungen die Totalitarismustheorie. Sein Fazit lautet: ,,Die DDR war in den achtziger Jahren ein kulturell doktrinäres, vormundschaftlich-autoritäres System, geführt von einer totalitären Partei. [... ] Polen war im gleichen Zeitraum ein kulturell freizügiges, staatlich reglementiertes und von oben blockiertes System, das sich unter aktiver Beteiligung von Kirche und Opposition sowie unter der schwindenden Aufsicht einer autoritären Partei sukzessiv[e] liberalisierte" (S. 647). Insgesamt erweist sich der Zugriff auf die Totalitarismustheorie, unter Voraussetzung einer vorsichtigen Beurteilung seiner Zugriffsmöglichkeiten und einer genaueren Betrachtung der Unterschiede auf verschiedenen Ebenen zwischen beiden Ländern, als erfolgreich.

Der Hauptteil des Buches umfasst ein breites Spektrum an Problemen, die in diesem Rahmen weder ausführlich angesprochen noch kritisch betrachtet werden können. Wichtig ist auch die gute Beschreibung im Buch über den Verlauf der Ereignisse in Polen. Olschowskys Analyse beginnt mit den Reaktionen der Behörden und der Gesellschaft in der DDR auf den Ausbruch der Unruhen in Polen und der wachsenden Divergenz der politischen Strukturen beider Länder in Folge der Liberalisierung in Polen. Sehr genau betrachtet der Autor ökonomische Fragen, wobei der Eindruck entsteht, dass er die wirtschaftliche Problematik als entscheidend für das Scheitern der diktatorischen Systeme in Polen und der DDR beurteilt. Er versucht mögliche Antworten auf die Frage zu finden, warum Reformversuche in Polen gescheitert sind. Die innenpolitische Bedeutung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und divergierenden Wirtschaftskonzeptionen erklären außerdem Spannungen zwischen der DDR und VRP im Bereich der wirtschaftlichen Kontakte (vgl. ,,Der Streit um die Steinkohle", S. 94-96).

Durch das ganze Buch zieht sich der Faden einer repressiven DDR-Politik gegen gesellschaftliche Kontakte mit Polen und der Angst vor dem ,,ansteckenden" Einfluss polnischer Arbeiter in der DDR. Ebenso wichtig ist jedoch die Beschreibung der Unterschiede zwischen beiden Gesellschaften, die die Grenze der gesellschaftlichen Akzeptanz in der DDR für die Ideen von Solidarnoÿÿ bildete (S. 106). Diese Unterschiede in Traditionen und Werten (hier auch: Widerstanderfahrungen und Obrigkeitsverständnis) wurden zwar oft in den deutsch-polnischen Diskussionen genannt, werden aber von Olschowsky genau in ihrer politischen Bedeutung analysiert. Verglichen wurden außerdem die unterschiedlichen Entwicklungen der herrschenden Parteien in beiden Ländern (Struktur, Disziplin, Nomenklaturprinzip, gesellschaftlicher Einfluss, Eindringen in Privatsphäre). Ein nächster wichtiger Aspekt, auf den der Autor bei der Analyse eingeht, ist die gravierend andere Rolle der intellektuellen Eliten (Schriftsteller), wie auch der Religion und der Kirchen (Kapitel III.3). Ebenso interessant sind Überlegungen über die Suche beider Systeme nach der Legitimation der Macht (hier auch: Rolle der nationalen Ideologie), wie auch über den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit in Polen im Gegensatz zur ideologischen These von der Einheit von Staat und Gesellschaft. Die letzten Kapitel führen von Stagnation (1986), über Perestroika (1987) - die Zeit als PVAP und SED begannen, sich schneller konzeptionell und im politischen Vorgehen auseinander zu bewegen -, bis letztendlich zu den Jahren 1988-1989 hin: die SED vor dem Zusammenbruch und PVAP vor dem Runden Tisch.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch von Olschowsky ein spannendes Werk ist, dessen Autor auch vor kontroversen Thesen nicht zurückschreckt. Es findet sich darin ein breites Spektrum an gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Fragen, die eine wichtige Rolle im Verhältnis der DDR und VRP in den Achtzigerjahren spielten. Es lassen sich zwar einige kleinere Fehler finden, die aber insgesamt keine Bedeutung für das Buch als Ganzes haben.

Piotr Madajczyk, Warschau


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