ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Detlef Bald, Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955-2005 (Beck'sche Reihe),
Verlag C.H. Beck, München 2005, 232 S., brosch., 12,90 €.

50 Jahre bundesdeutsche Sicherheitspolitik in einer knappen Gesamtschau zusammenzufassen, ist wahrlich eine nicht leicht zu meisternde Aufgabe, die eine ganze Anzahl von Problemen in sich birgt. Kann so etwas gelingen? Es kann, wie Detlef Bald es in vorliegendem Buch zeigt.

In vier großen Abschnitten zeichnet er ein Bild der neuen deutschen Streitkräfte, das sehr eindrücklich die durch die Vergangenheit belastete Entstehung und sicherheitspolitische Evolution der Bundeswehr hin zur Einsatzarmee beschreibt. Die thematischen Einschnitte orientieren sich ganz an den Regierungszeiten der jeweiligen Bundeskanzler seit 1949. Der erste Blick legt bereits offen, dass der Primat der Politik den Rahmen der Entwicklung ausmachte und bestimmte. Von der ,,Begründung des Staates durch Macht" in den Jahren 1949-1969 wechselt die Perspektive in die zweite Phase, die durch Reform und Stabilisierung von 1969 bis 1982 gekennzeichnet war. Die einsetzende ,,Konservative Konsolidierung" von 1982 bis 2000 ebnete den Weg zu den die Betrachtungen abrundenden ,,Militärpolitischen Perspektiven" einer Armee im Einsatz, die nach nunmehr über 50 Jahren ein ganz neues Profil gewonnen hat.

Balds Geschichte der Bundeswehr ist ganz und gar als eine Beschreibung der politischen Institutionen zu lesen, wirft dabei aber einige Fragen auf. Der ,,Bürger in Uniform" unterhalb führender Offiziere und Politiker kommt nicht zu Wort. Dazu kommt eine immer wieder ins Negative verfallende Haltung den USA gegenüber, die störend wirkt. Das ändert freilich nichts an den Stärken des Werkes, die es als eine der wenigen aktuellen Gesamtschauen zur Geschichte der Bundeswehr mit sich bringt. Das genutzte Material, seien es nun Quellen oder aber auch Sekundärliteratur, bietet einen recht guten Überblick über die Entwicklung der Forschung in den letzten 20 Jahren. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn die ausgewerteten Archivalien und Bestände aus dem Institut für Zeitgeschichte und dem Bundesarchiv in Freiburg nochmals gesondert in einem eigenen Verzeichnis aufgeführt worden wären. Für den Leser ist es recht mühsam, sich selbst durch den Anmerkungsapparat zu arbeiten, um eine Idee davon zu bekommen, was letztlich berücksichtigt wurde. Damit liegt auf der Hand, dass eine derartige histoire totale nicht nur für einen fachkundigen Kreis geschaffen wurde. Ein gänzlich thematisch unbedarfter Leser mag seine Schwierigkeiten haben.

Was hat der Band aber inhaltlich genau zu bieten? Es waren kaum zehn Jahre vergangen, als es im stillschweigenden Einvernehmen mit den alliierten Besatzungsmächten in der Bundesrepublik darum ging, eine ,,neue Wehrmacht" zu schaffen. Die Wiederbewaffnung war jedoch mehr als die Wiederbelebung der deutschen militärischen Tugenden. Was für Adenauer zählte, war einzig und allein die Tatsache, ein Instrument in die Hand bekommen zu haben, mit dem seiner Vorstellung einer Westanbindung Deutschlands Rechnung getragen werden konnte. Alsbald wurden die neuen Streitkräfte auf drei Säulen gestellt, die die sicherheitspolitischen Ziele der Bundesregierung tragen sollten. Durch die Identifizierung mit der deutschen Geschichte, eines wiedererlangten Durchsetzungsvermögens in internationalen Koalitionen sowie mit der Demokratisierung des Militärs galt es, den von den Westmächten eingeforderten deutschen Verteidigungsbeitrag zu realisieren. Die Himmeroder Denkschrift als eine Magna Charta für die Wiederbewaffnung zu bewerten, erscheint dabei doch etwas überbetont zu sein. Bald zeigt sehr gut, dass in einer kritischen Beleuchtung der Geschichte der Bundeswehr kein Weg an einigen Betrachtungen zur Beziehung des Parlaments wie auch der Parteien zu Armee, Marine und Luftwaffe vorbeiführt.

In der Hochzeit des Ost-West-Konfliktes entwickelte sich die Position der Bundeswehr zum Spielball der internationalen Politik. Schon der Harmel-Bericht 1967 zeigte endgültig auf, dass die Streitkräfte noch längst nicht ihre eigene Identität gefunden hatten. Mit der Teilnahme an der KSZE profilierte sich die junge Republik auf politischer Ebene in der Rolle eines auf Entspannung ausgerichteten Akteurs. Bald weiß dabei gleichzeitig anschaulich darzustellen, inwieweit die Bundesrepublik ihre eigene Stellung in der NATO fand und diese auch selbstbewusst zu verteidigen wusste. Freilich können diese Betrachtungen nicht ohne die Diskussion um die ,,Nachrüstung" im Dezember 1979 auskommen, die durch Jimmy Carter und Helmut Schmidt auf der politischen Agenda der Zeit gehalten wurde. Knapp zwölf Jahre später war aus der ,,neuen Wehrmacht" die ,,Armee der Einheit" geworden, die alsbald zu einer europäischen Einsatzarmee fortentwickelt wurde.

Es ist sicherlich ein Wagnis, sich als Historiker in die unmittelbare Gegenwart zu begeben. Bald stellt sich der Herausforderung und skizziert die Anforderungen an die Bundeswehr, die seit den Jahren 1999 im Kosovo und seit 2001 in Afghanistan im Kontext des ,,War on Terror" den sicherheitspolitischen Alltag bestimmen. Hier zeigen sich dann auch die Gefahren einer allzu frühen Bewertung jüngst vergangener und längst nicht abgeschlossener Prozesse, wenn Europa zu einem ,,Protektorat" der USA herabgestuft wird (S. 163) und dem damaligen Bundeskanzler Schröder als Zugewinn zum politischen Prestige gerechnet wird, dass durch wenig diplomatische Polemik, die eigenen Streitkräfte aus einem ,,schmutzigen Krieg" herausgehalten wurden (S. 170). So wirkt das letzte Kapitel wie eine Mischung aus journalistisch Politikwissenschaft und ,seichtem' Journalismus wenn Bald sich auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage ,,Wohin mit der Bundeswehr?" macht, da die Grenzen der Historiografie erreicht sind.

Welches Fazit ist nunmehr zu ziehen? Um einen detailreichen Eindruck von der historischen Entwicklung einer Armee zu bekommen, deren Soldaten heute weltweit im Einsatz stehen und im engsten Verbund mit anderen Nationen sich längst im Netz multipolarer Sicherheitsgefüge bewährt haben, ist die knappe Darstellung zu empfehlen. Die Beschreibung der politischen Entfaltung ist federführend in den Betrachtungen Balds. Weitere Facetten mentalitätsgeschichtlicher Elemente wären sicherlich noch eine wünschenswerte Ergänzung dieser recht gelungenen Synthese, die sich gut in die historiographische Diskussion einordnen lässt. Eine ,,kritische Geschichte" ist die Darstellung in zweifacher Form: Wenngleich sehr anschaulich die Umbrüche und Traditionslinien nachgezeichnet werden, verweilt der notwendige nüchterne Blick zuweilen im zweiten Glied. Es bleibt eine Geschichte der Institutionen und Hauptakteure, die die Sicherheitspolitik seit 1955 bestimmten. Eine militärhistorische Abhandlung im klassischen Sinne ist Balds kritische Geschichte damit sicherlich nicht, was in diesem Fall eine Stärke der Beschreibung darstellt. So ist der Rückgriff auf das Werk fast eine Pflicht für all jene, die einen fundierten Einstieg in 50 Jahre der bundesdeutschen Sicherheitspolitik und eine europäische Perspektive auf die Entwicklungen im Kalten Krieg suchen.

Rüdiger von Dehn, Wuppertal


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