ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Rainer Moltmann, Reinhold Heinen (1894-1969). Ein christlicher Politiker, Journalist und Verleger (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte), Droste Verlag, Düsseldorf 2005, 373 S., geb., 34,80 €.

Rainer Moltmann liefert mit dieser überarbeiteten Fassung seiner 2004 an der FU Berlin angenommenen Dissertation eine politische Biografie mit all ihren Möglichkeiten und Problemen. Er befasst sich mit dem Sachsenhausenhäftling und späteren Verleger der Kölnischen Rundschau, Reinhold Heinen, der bereits in der Weimarer Republik als Journalist, Kommunalwissenschaftler und Politiker aktiv war.

Die Quellenlage war schwierig, da Moltmann nicht auf ein Familienarchiv zurückgreifen konnte. Neben dem Unternehmensarchiv des Heinen-Verlages zog der Autor Nachfahreninterviews, veröffentlichte und unveröffentlichte Schriften Heinens sowie internationale öffentliche Archive heran. Teilweise reicht dies nur, um Vermutungen und Indiziensammlungen aufzustellen, wobei der Autor diese Fälle deutlich kennzeichnet.

Moltmann geht in seiner Untersuchung thematisch-chronologisch vor, wobei die einzelnen Untersuchungsabschnitte sich sowohl an allgemeinhistorischen wie auch an individuell-biografischen Brüchen orientieren (z.B. Leben und Arbeiten im NS, Aufarbeitung der Vergangenheit nach 1945). Die Kapitel enden jeweils mit einer knappen inhaltlichen Zusammenfassung, ein wertendes Eingehen auf die Zwischenergebnisse erfolgt nur sehr begrenzt.

Der Autor geht davon aus, dass Heinen als politischer Journalist ,,stärker als der Durchschnittsbürger" (S. 12) in die Zeitgeschichte involviert war. Er fragt, ,,welche politischen Auffassungen und Handlungen" Heinen in Widerspruch zum Nationalsozialismus und für vier Jahre in KZ-Haft brachten (S. 11). Daran anschließend untersucht er, wie sich diese Erfahrungen auf dessen ,,politisches und berufliches Handeln in der Nachkriegszeit und der neu entstehenden Bundesrepublik" auswirkten. Dabei habe der NS sowohl Reinhold Heinens Engagement in der Pressearbeit als auch als christlich orientierter Politiker nur unterbrechen, nicht aber beenden können.

Moltmann befragt sein biografisches Forschungsobjekt nach den ,,Wechselwirkungen von individuellem Leben und historisch-gesellschaftlichen Ereignissen" (S. 12). Heinen wuchs im ländlich-katholischen Milieu der Eifel auf, in einer sozialen Aufsteigerfamilie und engagierte sich bereits als 19-jähriger in der Zentrums-Partei. Nach dem Studium der Staatswissenschaften arbeitete er bald in verantwortlichen Positionen bei verschiedenen Zeitungen des politischen Katholizismus. Erfolg als Berufspolitiker hatte der überzeugte Republikaner in der Weimarer Republik als Generalsekretär der Kommunalpolitischen Vereinigung des Zentrums, deren Zeitschrift (die ,,Kommunalpolitischen Blätter") er verlegerisch und journalistisch fortentwickelte. Als die preußischen Kommunalparlamente 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst wurden, trat Heinen weiterhin für den Erhalt der kommunalen Selbstverwaltung als demokratisches Element ein und machte auch ansonsten aus seiner Ablehnung des NS kein Hehl. Schon bald landete er deshalb in ,,Schutzhaft" und verlor nach und nach seine Erwerbs- und Berufsmöglichkeiten. In seinen kommunalwissenschaftlichen Veröffentlichungen wurde Heinen daraufhin erheblich vorsichtiger und zog sich auf das Schreiben heimatgeschichtlicher Aufsätze zurück. Dennoch war er für ein katholisches Nachrichtenbüro in den Niederlanden tätig, dass Berichte über die Unterdrückung der Kirche sammelte - eine eindeutig illegale, widerständlerische Tätigkeit. Um seine Auslandskontakte zu tarnen, nahm er eine offizielle Tätigkeit beim Amt Ausland der Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht an. Diese Abteilung des Admirals Canaris war mit Widerständlern durchsetzt, zu denen Heinen teilweise alte Kontakte aus seiner Funktionärszeit besaß. Dennoch ermittelte die Gestapo bereits gegen das katholische Nachrichtenbüro (nach der Besetzung der Niederlande fiel ihr zudem dessen Zentrale in die Hände), und 1941 geriet Heinen in Haft. 1942 wurde er schließlich nach Sachsenhausen verbracht. Dort überlebte er dank seiner beruflichen Fähigkeiten, die ihm Zugang zu relativ schonender Arbeit verschafften, durch Anpassungsfähigkeit an die ,,Bedingungen der Lagergemeinschaft" und aufgrund weiterhin tragender Milieubindungen.

Nach seiner Heimkehr 1945 wurde er Landrat in Monschau. Er sprach sich für die Gründung einer überkonfessionellen christlichen Partei aus - nicht zuletzt bedingt durch positive persönliche Kontakte mit Protestanten in der KZ-Haft und als Lehre aus der mangelnden Abwehrbereitschaft des Zentrums gegenüber der NS-Bewegung in den 1930er Jahren. Wichtig wurde Heinen aber vor allem, weil er die Lizenz für eine CDU-nahe Zeitung in Köln erhielt, die ,,Kölnische Rundschau". Er geriet immer wieder mit der CDU und Konrad Adenauer in Konflikt, da Heinen zwar ein Richtungsblatt machen, dieses aber inhaltlich und finanziell unabhängig von der Partei führen wollte. Adenauer sympathisierte hingegen zwischenzeitlich mit dem vorbelasteten Altverleger Neven DuMont, dessen Rückkehr auf den Zeitungsmarkt Heinen nicht verhindern konnte. Auch mit seiner einflussreichen Tätigkeit beim ,,Verein Union Presse", einer Vereinigung der CDU-nahen Publizisten, reagierte Heinen auf seine NS-Erfahrungen. Er zielte auf eine starke christlich-demokratische Presse, die zur Festigung der demokratischen Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik beitragen sollte. Zugleich strebte er danach, die Presse möglichst frei von parteipolitischen Einflüssen zu halten, um ihre journalistische Unabhängigkeit zu wahren. Seine Versuche, an der Aufarbeitung - auch seiner persönlichen Erfahrungen - der NS-Vergangenheit mitzuwirken, wurden allerdings konterkariert. Kommunistische Mithäftlinge und ein auf Klage Heinens nach dem Krieg verurteilter Mitgefangener versuchten den Ruf des Verlegers durch Anschuldigungen wegen vermeintlichen Fehlverhaltens im Lager zu schädigen. Hinzu kamen Untersuchungen seitens der Briten wegen Heinens Aktivitäten für die Wehrmachtsabwehr. Dies führte letztlich dazu, dass er nicht mehr für politische Ämter kandidierte - eine weitere Verletzung, die dem Widerständler zugefügt wurde.

Am Lebensschicksal Heinens lotet Moltmann individuelle Handlungsspielräume unter den Bedingungen wechselhafter politischer Systeme aus. Schon in sehr jungen Jahren und dann durchgehend zeigte sich bei Heinen ein - wie Moltmann nicht ohne Sympathie für seinen Protagonisten herausarbeitet - entscheidender Wesenszug: das ,,konsequente Eintreten für einmal als richtig erkannte politische Auffassungen, ohne Rücksicht auf deren Erfolgsaussichten wie auch auf mögliche persönliche Nachteile zu nehmen" (S. 333).

In den ersten Jahren nach der ,,Machtergreifung" bewies Heinen allerdings eine ,,partielle Anpassungsbereitschaft", etwas später könnte man auch von innerer Emigration sprechen. Der Ausbruch daraus - hin zu aktivem Widerstand - scheint nicht so sehr durch Persönlichkeitsmerkmale, als durch den totalitären Zugriff des Regimes bewirkt, dem Anpassung und Flucht ins Innere nicht ausreichten. Eine deutlichere Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von individueller und ,großer' Geschichte wäre hier möglich gewesen. Ebenso wäre zu fragen, ob die lebenslang erhaltenen charakterlichen Eigenschaften, die Heinen im Nationalsozialismus das nötige Stehvermögen verliehen, sich in der Bundesrepublik nicht im Sinne eines Mangels an Flexibilität auswirkten. Immerhin bescheinigt Moltmann ihm für die Nachkriegszeit eine nicht unerhebliche Eigenwilligkeit und Kantigkeit.

Insgesamt gelingt es dem Autor, mit präzisem, zügigem und gut lesbarem Stil ein ungemein spannendes biografisches Exempel aufzuzeigen. Über die Vielgestaltigkeit von Heinens Aktivitäten eröffnet Moltmann en passant Ausblicke auf verschiedene Themenbereiche wie Parteien- und Pressegeschichte, Kommunalpolitik und Widerstand.

Jens Scholten, Essen


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