ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Clayborne Carson, Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren. Mit einem Vorwort von Heinrich W. Grosse und Lou Marin, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2004, 638 S., kart., 28,80 €.

Am 1. Februar 1960 setzte sich eine Gruppe schwarzer Studenten des North Carolina A&T College im Kaufhaus Woolworth in der Stadt Greensboro aus Protest gegen die Rassendiskriminierung an eine eigentlich für Weiße reservierten Theke und veranstalteten so einen der ersten Sit-ins der amerikanischen Nachkriegsgeschichte. Einige schwarze Studenten aus den Südstaaten schlossen sich daraufhin, zusammen mit einigen weißen Kommilitonen, den folgenden Protesten an und gründeten bald die soziale Bewegung des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC). Dieses Buch erzählt mit kritischer Sympathie in drei Großkapiteln die Entwicklung der Bewegung von den kleinen Anfängen in Greensboro über ihr Anwachsen und ihre Radikalisierung Mitte der Sechzigerjahre bis zu ihrem Zerfall gegen Ende der Dekade. Das nun in einer etwas holprigen deutschen Übersetzung vorliegende Werk erschien schon 1981 in den Vereinigten Staaten und avancierte bereits kurz nach Erscheinen zu einem Klassiker der Literatur zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, nicht zuletzt weil sein Autor, Clayborne Carson, selbst Mitglied des SNCC war.

Aufgelockert durch biografische Vignetten über die Protagonisten, beschreibt Carson zunächst die aus der Gandhi-Rezeption und der Aneignung christlicher Traditionen erwachsenen ersten gewaltfreien Proteste in den Südstaaten. Nach erfolgreichen Protestmärschen und Sit-ins in Alabama und Mississippi geriet das SNCC seit 1964 in den Strudel einer weltweiten Radikalisierung, die die Emanzipation der Schwarzen als Teil eines internationalen Befreiungskampfes interpretierte und vor allem mit dem Einfluss Stokely Carmichaels verbunden war, welcher verschiedene lokale Initiativen in diese Richttung unter dem Schlagwort der ,,black power" für das SNCC zu bündeln wusste. Der eskalierende Vietnam-Krieg und die Aufstände in den Ghettos des Nordens wirkten als Katalysatoren dieses Prozesses. Im dritten Teil zeigt Carson, wie das SNCC unter dem Druck staatlicher Überwachung durch das FBI und im Wettbewerb mit der 1966 gegründeten radikalen Black Panther Party allmählich zerfiel, zumal die personelle und moralische Unterstützung durch altgediente Aktivisten im Süden und die liberale Intelligenz im Norden der USA im Zuge der immer radikaler werdenden Abgrenzungsrhetorik des SNCC allmählich bröckelte.

Über den eigentlichen Gegenstand hinaus, der auch in der einschlägigen Forschung längst rezipiert und zum Teil auch differenziert wurde, bietet das Buch besonders für alle an sozialen Bewegungen interessierte Historikerinnen und Historiker bedeutende Einblicke in die Konstitution und Dynamik sozialer Bewegungen. Carsons Studie zeigt einfühlsam, wie soziale Bewegungen mit dem zentralen Paradox von Bewegungspolitik umgehen: Sie sind sowohl Teil der Gesellschaft, protestieren aber gegen sie. Er verweist dabei auf die bedeutende Rolle lokaler Aktionen und zeigt so, dass die Geschichte sozialer Bewegungen nicht allein als Organisationsgeschichte nationaler Gruppen geschrieben kann. Darüber hinaus analysiert er auch in historisch-dichter Argumentation, wie sich aus den lockeren Verbindungen zwischen Aktivisten und Bewegung die ,,identity politics" der späten Sechzigerjahre entwickelte. Zwar ist es ein Manko, dass Carson die Einflussfaktoren nie auf konzeptioneller Ebene und systematisch verfolgt, doch die bisher vor allem von Protest-Chroniken und ideen- und organisationsgeschichtlichen Abhandlungen dominierte historische Forschung zu sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik täte gut daran, Anschluss an den internationalen Forschungsstand der frühen Achtzigerjahre zu finden, wie er hier präsentiert wird. Zwar hat besonders die politikwissenschaftliche Forschung einige wichtige Beiträge geliefert, die meisten historischen historischen Arbeiten selbst neueren Datums bieten jedoch lediglich traditionell organisationsgeschichtliche Analysen, welche den Bewegungscharakter nicht sonderlich thematisieren.

Angesichts der nicht ganz einwandfreien Qualität der deutschen Übersetzung sei allerdings empfohlen, auf das immer noch im Buchhandel erhältliche amerikanische Original zurückzugreifen. Der englische Titel ,,In Struggle" spiegelt die Ambivalenzen des Bewegungsdynamik, nämlich Debatten sowohl im Innern der Bewegung als auch in der Gesamtgesellschaft, wesentlich besser wider als die deutsche Übersetzung. Der Rückgriff auf das Original erspart den Lesern dann auch die anstrengende Lektüre der dem Haupttext als Vor- bzw. Nachwort beigegebenen verquasten politischen Texte, die zum Lernen aus der Erfahrung des gewaltfreien Widerstands auffordern.

Holger Nehring, Sheffield


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 31. Juli 2007