ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Nicolai O. Herbrand/Stefan Röhrig (Hrsg.), Die Bedeutung der Tradition für die Markenkommunikation. Konzepte und Instrumente zur ganzheitlichen Ausschöpfung des Erfolgspotenzials Markenhistorie, Edition Neues Fachwissen, Stuttgart 2006, VII + 606 S., geb., 59,00 €.

,,History sells". Dieser Erkenntnis folgt in den letzten Jahren ein Trend der Wirtschaft, die Unternehmens-, Marken- und Produktgeschichte in ihre Marketing- und Kommunikationsaktivitäten einzubinden. Auf zunehmend globalisierten Märkten mit einer Vielzahl vergleichbarer und für den Kunden teilweise nur schwer unterscheidbarer Produkte suchen die Unternehmen nach Alleinstellungsmerkmalen (in der Marketingsprache ,,Unique Selling (Pro)-Position" [USP]). Diese sollen ihre Marken und Produkte im Wettbewerb möglichst positiv herausheben. Die eigene Geschichte steht prototypisch für ein solches Alleinstellungsmerkmal: Sie ist von den Wettbewerbern nicht kopierbar, unterstreicht den Wandel und das Werden des Unternehmens, seiner Marken und Produkte und soll schließlich auch dazu dienen, den Kunden für sich einzunehmen und dauerhaft an sich zu binden.

Die einschlägigen Bemühungen werden in jüngerer Zeit unter dem Schlagwort ,,History Marketing" zusammengefasst. Dies scheint Grund genug, um durch Handbücher (1) und Fachtagungen (2) das Wissen um das ,,History Marketing" zu vertiefen und dessen unterschiedliche Aspekte auszuleuchten.

Auch der hier anzuzeigende Sammelband ist Teil dieses Trends. Das Buch soll "Konzepte und Instrumente zur ganzheitlichen Ausschöpfung des Erfolgspotenzials Markenhistorie" aufzeigen, wie der Untertitel informiert. Der Band enthält drei Teile. Die Beiträge des ersten spüren der ,,Historie der Marke und ihrer Rolle in Gesellschaft und Management" nach, während im zweiten die ,,Potenziale der Markenhistorie im Kontext des Markenmanagements" im Mittelpunkt stehen. Der dritte Teil widmet sich ,,Anwendungsbeispielen zur Ausschöpfung des Erfolgspotenzials Markenhistorie in der Unternehmenspraxis" und dies wiederum getrennt für die Unternehmens- und Markenführung, sowohl in der internen Kommunikation und als auch in der externen Kommunikation.

Die Beiträge der ersten beiden theoretischen Teile vermitteln in weiten Teilen Basiswissen des Marketings und der Markenführung. Die hierfür gewonnenen Autoren (u.a. Franz-Rudolf Esch, Heribert Meffert und Klaus-Peter Wiedmann) zeugen von Qualität und Expertise. Doch bleiben die Autoren in weiten Teilen argumentativ sehr dem allgemeinen und bekannten Fachwissen verhaftet und schlagen lediglich kurze und schwache Bögen zum eigentlichen Thema des Bandes. Für den vorgebildeten Leser ermüdend und für den Neuling verwirrend sind die in vielen Beiträgen ausgeführten Definitionen derselben Phänomene und Sachverhalte. Ferner finden sich mehrere, nicht komplementäre Kurzdarstellungen zur Geschichte der Marke und des Markenzeichens. Hier hätte dem Band eine ordnende Hand der Herausgeber gut getan. Für das ,,History Marketing" selbst bleiben die Erkenntnisse dieser Teile überschaubar. Im Wesentlichen werden die bekannten Zusammenhänge aus verschiedenen Perspektiven und für unterschiedliche Zielgruppen (Management, Mitarbeiter, Kunden, Gesellschaft) beleuchtet und dargestellt. Insgesamt fällt auf, dass die Autoren der Beiträge sich zu weiten Teilen von der Euphorie des ,,History sells" haben anstecken lassen. ,,History Marketing" ist jedoch nicht allein ein Schönwettergeschäft. Nur an wenigen Stellen wird in den ersten beiden Teilen erwähnt, dass es auch dunkle Stellen in der Geschichte der Unternehmen, ihrer Marken und Produkte gibt. Die Autoren belassen es dann allerdings auch bei pauschalen Bemerkungen, dass diese dunklen Flecken im Sinne einer glaubwürdigen und authentischen Pflege der eigenen Historie in ein aktives ,,History Marketing" einbezogen werden sollten. Handreichungen dazu, wie das geschehen soll, werden jedoch nicht gegeben. Auch die Anwendungsbeispiele im dritten Teil des Bandes bieten dafür keinen tiefer reichenden Aufschluss. Im Rahmen der Debatte um das Verhalten von Unternehmen während des Dritten Reiches, ihrer Verstrickung mit der Diktatur und in den Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeit sind in den betreffenden Unternehmen unterschiedliche Strategien zur inhaltlichen Aufbereitung und mit dem kommunikativen Umgang der damit zusammenhängenden Themen verfolgt worden. Diese zu analysieren, zu bewerten und damit die Erkenntnisse nutzbar zu machen hätte diesem Band gut getan.

Doch findet sich in den Beiträgen der ersten beiden Teile auch Neues und Originelles. Stefan Heinemann betrachtet die Geschichte des Unternehmens als große Erzählung (grands récits) im Sinne der Postmoderne, die immer wieder überprüft und neu geschrieben wird, und dadurch auch lebendig bleibt. Damit wendet er sich gegen die Behandlung der Historie als Mythos, da sie in diesem Fall den Charakter des Abgehobenen, Überzeitlichen und nur bedingt Nachprüfbaren gewinnt. Wie an vielen Stellen der ersten beiden Teile hätte bei diesem Beitrag allerdings ein eingehendes sprachliches Lektorat das überhand nehmende Marketing-,Denglisch' in erträgliche Grenzen einhegen sollen. In seinem Beitrag fragt Stephen Brown beiläufig danach, ob nicht auch die ,,neuen" Methoden des Marketings historisch sein können. Seiner Interpretation nach sind das aktuell diskutierte ,,word of mouth" respektive ,,viral" marketing (zu deutsch ,,Mundpropaganda") und ,,telling a story" altbekannte Muster, die seit langem im Geschäftsleben wirksam sind. Brown geht sogar so weit, diese Trends als ,,fall back to pre-marketing methods" zu bewerten.

Die Anwendungsbeispiele des dritten Teils stellen die Strategien und Maßnahmen mittlerer und großer Unternehmen zur Kommunikation der Unternehmens- und Markenhistorie dar. Dabei wird deutlich, dass dies weiterhin mit einer weitgehend eigenständigen und von den jeweils aktuellen Anforderungen des Unternehmens abgekoppelten Vorgehensweise geschieht. Auch die dargestellten Anwendungen zeigen das sattsam bekannte Bild von Traditionskommunikation: Publikationen, Ausstellungen, Markenclubs, Onlinepräsenz. Innovative Ansätze, die eine wirksame Einbeziehung der Historie in den Marketingprozess gewährleisten würden, stehen auch hier nur am Rande. Interessant wäre gewesen, mit welchen Werkzeugen und Lösungen die Unternehmens-Archive ihre Inhalte ,,marketingorientiert" und insbesondere ,,agenturgerecht" aufbereiten und zur Verfügung stellen. Dies und die Bereitschaft, sich mit den einschlägigen Methoden und Vorgehensweisen auseinanderzusetzen, ist ein wesentlicher, wenn nicht der grundlegende ,,Erfolgsfaktor" für die Einbindung von Traditionsinhalten in die Kommunikations- und Marketingaktivitäten der Unternehmen. Ferner wird aus dem dritten Titel des Bandes offenbar, dass ,,History Marketing" hier als reine ,,Markenkommunikation" verstanden wird. Marketing, wie es heute in Unternehmen gelebt wird, setzt jedoch weit früher an. Experten der Marketingabteilungen entscheiden mit bei der Entwicklung, Positionierung und Preisfindung für neue Produkte. Aktives ,,History Marketing" sollte daher bestrebt sein, Teil dieser Prozesse zu werden und dadurch integrativ bei der Weiterentwicklung der Marken- und Produktgeschichte Unterstützung anzubieten (jenseits des ,,Retrotrends"). Dies könnte beispielsweise durch die Einbeziehung in frühe Phasen der Produktentwicklung geschehen. Dem Ansatz des Bandes ist es geschuldet, dass sich hierfür leider keine Konzepte und Instrumente in den Beiträgen finden.

Florian Triebel, München

Fußnoten:


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