Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Holger Lüning, Das Eigenheim-Land. Der öffentlich geförderte Soziale Wohnungsbau in Niedersachsen während der 1950er Jahre, Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2005 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 231), 306 S., geb., 33,00 €.
Bis vor kurzem zählte die Eigenheimzulage zu den höchsten Einzelsubventionen in Deutschland. Um den Bau und Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum zu fördern, wendete der Staat pro Jahr zuletzt mehr als elf Milliarden Euro auf. Erst das am 22. Dezember 2005 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage, das zu den ersten Amtshandlungen der Großen Koalition unter Führung von Angela Merkel gehörte, beendete diese heftig umstrittene Praxis. In der öffentlichen Kritik waren vor allem zwei Punkte immer wieder betont worden. Die Eigenheimzulage, so hieß es, stelle eine indirekte Subvention der Bauwirtschaft dar. Statt Neubauten zu errichten, müssten jedoch die Modernisierung und Renovierung des bereits vorhandenen Wohnraums in besonderem Maße finanziell unterstützt werden. Ein anderes Vorgehen sei angesichts der rückläufigen demografischen Entwicklung und des enormen Leerstands nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus bezweifelten die sich zu Wort meldenden Experten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft den sozialen Nutzen einer staatlichen Geldzuwendung als Instrument der Eigentumsförderung. Es sei ein Unding, dass sich die meist gut situierten Bauherren über Mitnahme-Effekte bei der Immobilienfinanzierung freuen könnten, während es oftmals an Steuermitteln für Geringverdiener, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger fehle.
In den Fünfzigerjahren, die Holger Lüning in seiner bei Adelheid von Saldern und Sid Auffarth an der Universität Hannover entstandenen Dissertation betrachtet, stand der bundesdeutsche Eigenheimbau noch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Die katastrophale Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg verlangte nach zügig und mit einfachen Mitteln zu realisierenden Lösungen, zumal die zahlreichen Flüchtlinge und Vertriebenen, die in den Westzonen und seit 1949 in der Bundesrepublik eine Unterkunft suchten, den Problemdruck massiv erhöhten. Lüning konzentriert sich in seinem lesenswerten Buch auf das Land Niedersachsen und den öffentlich geförderten Sozialen Eigenheim- und Wohnungsbau. Andere Finanzierungsmodelle werden nur am Rande erwähnt.
Die Arbeit umfasst drei Großkapitel. Nach einem knappen Überblick über die Kriegsschäden, Wohnraumverluste und Bevölkerungsverschiebungen, von denen Niedersachsen ähnlich wie Bayern und Schleswig-Holstein nach 1945 besonders stark betroffen war, beschreibt und analysiert Lüning die rechtlichen Grundlagen, die Finanzierung und die konkrete Förderungspraxis des Sozialen Wohnungsbaus. Zudem werden im zweiten Kapitel ausgewählte Sonderprogramme für Schwerkriegsbeschädigte, Evakuierte, Bergarbeiter, Staatsbedienstete, Tbc-Kranke und einige weitere Zielgruppen vorgestellt, wobei negativ auffällt, dass während des NS-Regimes politisch und rassisch Verfolgte sowie Displaced Persons - beispielweise im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen - kaum bevorzugt gefördert wurden. Abschließend beleuchtet Lüning die Gestaltung und Ausstattung der öffentlichen Wohneinheiten. Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Bemühen des Staates als Kapitalgeber, möglichst viele qualitativ akzeptable Häuser und Wohnungen zu einem günstigen, vorab kalkulierbaren Preis zu errichten. Technische und wirtschaftliche Bestimmungen des Bundes und der Länder regelten die maximale Größe, Zimmerzahl, den Isolierungsstandard sowie die sonstigen Qualitätsanforderungen, die förderungswürdige Projekte erfüllen mussten. In der Bauwirtschaft leitete diese bereits seit der Weimarer Republik erkennbare Tendenz zur Normung und Typisierung einen umfassenden Rationalisierungsprozess ein.
Bemerkenswert sind die überdurchschnittlich hohen Förderquoten, die in Niedersachsen auf Eigenheime und Kleinsiedlungen entfielen. Das Flächenland lag im Bundesvergleich der Fünfzigerjahre deutlich vorn. Holger Lüning stellt dieses Phänomen ins Zentrum seiner Arbeit und fragt, welche Gründe, Strukturen und Entscheidungen dazu geführt haben. Dabei wendet er sich entschieden gegen die These, das immense Wohnungsdefizit, das Niedersachsen wie praktisch keinem anderen Bundesland bis weit in die Sechzigerjahre zu schaffen machte, sei als Folge einer sozial einseitigen und deshalb verfehlten Eigenheimpolitik zu verstehen. Ausschlaggebend waren nach Lüning vielmehr geografische Standortnachteile, ökonomische Strukturdefizite und demografische Überforderungen, unter denen das 1946 gegründete Land zu leiden hatte. Der für die niedersächsische Nachkriegsgeschichte von Bernd Weisbrod und anderen Historikern diagnostizierte Befund einer ,,verzögerten Normalisierung" lasse sich insofern auch in wohnungspolitischer Hinsicht bestätigen. Mit einer Ausnahme: Beim öffentlich geförderten Eigenheimbau, der sich in den übrigen Bundesländern erst in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre durchsetzte, habe Niedersachsen sogar geradezu als Trendsetter gewirkt.
Lüning gelingt es, diese Behauptung durch plausible Argumente zu untermauern. Die 1949, also vor dem Ersten und Zweiten Bundeswohnungsbaugesetz erlassene niedersächsische ,,Richtlinie für die Förderung des Sozialen Wohnungsbaues" legte den Schwerpunkt in der Tat auf die Errichtung von Ein- und Zweifamilienhäusern. Auch die persönlichen Überzeugungen der maßgeblichen Funktionsträger in den zuständigen Landesministerien und die vergleichsweise schlanken Verwaltungsstrukturen mit der Niedersächsischen Heimstätte GmbH an zentraler Position wirkten in diese Richtung. Hinzu kam ein beachtlicher Aufbauwille, der oftmals gerade Flüchtlinge und Vertriebene antrieb. Etliche von ihnen sahen im eigenen Heim die beste Möglichkeit, um die bedrückende Wohnsituation der Nachkriegszeit zu überwinden.
Ob es diese Erkenntnisse jedoch rechtfertigen, Niedersachsen als ,,Eigenheim-Land" zu bezeichnen, ist fraglich. Georg Wagner-Kyora, einer der ausgewiesenen Experten für die Regionalgeschichte des Sozialen Wohnungsbaus, hat mit guten Gründen für eine differenziertere Betrachtungsweise plädiert. Schließlich bildete Niedersachsen zu keinem Zeitpunkt eine monostrukturelle räumliche und soziale Einheit. Das von Lüning aufgrund von statistischen Betrachtungen hervorgehobene Primat der Eigenheimförderung führte hauptsächlich in den ländlichen Gebieten und Kleinstädten des Landes zu sichtbaren Ergebnissen. In Hannover und in den anderen größeren niedersächsischen Städten wurden die öffentlichen Fördergelder indessen vor allen Dingen für den Massenwohnungsbau verwendet. Dementsprechend erreichte die Eigenheimzahl dort lediglich Durchschnittswerte. Von einer flächendeckenden Entwicklung, wie sie Lüning mit seinem Buchtitel suggeriert, kann somit nur schwerlich die Rede sein.
Abgesehen von dieser zu starken Zuspitzung beeindruckt die breite Quellengrundlage der Arbeit. Neben dem von Lüning gesichteten Archivmaterial zur Eigenheim- und Wohnungsbaupolitik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ist vor allem die systematische Auswertung von Gesetz- und Verordnungsblättern, einschlägiger Periodika und von in Buchform vorliegenden Fachveröffentlichungen hervorzuheben. Eine besonders ertragreiche Quelle stellen die Ausschussprotokolle des Niedersächsischen Landtags dar. Im Gegensatz zu den von politischen Erwägungen bestimmten Plenarsitzungen zeugen die Niederschriften des Flüchtlingsausschusses und des Ausschusses für Wohnungs- und Siedlungswesen, die sich Lüning für die Jahre 1947 bis 1959 in mühsamer Kleinarbeit erschlossen hat, von einem vergleichsweise sachorientierten Diskussionsstil. Folglich vermitteln sie ein differenziertes Bild von den Fragestellungen und Problemen der öffentlichen Bauförderung, die mit zeitbedingten Akzentuierungen regelmäßig auf der Tagesordnung standen.
Grundsätzlich wäre es allerdings wünschenswert gewesen, die gedruckten Quellen nicht in derselben Rubrik wie die Sekundärliteratur aufzulisten. Dies ist verwirrend und erschwert die Orientierung. Holger Lüning betont selbst zu Recht den Quellencharakter der zeitgenössischen Veröffentlichungen zum Sozialen Wohnungsbau von Gerhard Lehmann und Wilhelm Pook (S. 24f.). Beide waren in den Fünfzigerjahren als leitende Beamte im Niedersächsischen Ministerium für Aufbau tätig und dort unter anderem für die Eigenheimförderung zuständig. Auch die 1950 erschienene Fibel des Bundesministers für den Marshallplan, das ,,Jahrbuch der öffentlichen Meinung" oder etwa die von Lüning ausgewerteten ,,Statistischen Monatshefte für Niedersachsen" gehören nicht in das Literaturverzeichnis.
Das in dem Buch zum Abdruck gekommene, reichhaltige Bildmaterial ist hingegen ausgesprochen positiv zu bewerten. Lüning hat eine sorgfältige Auswahl getroffen und so gelingt es ihm, die angespannte Wohnungsmarktlage nach dem Zweiten Weltkrieg auch optisch darzustellen. Zudem werden die variantenreichen Ausprägungen des öffentlich geförderten Sozialen Wohnungsbaus dokumentiert. Im Vordergrund stehen dabei Aufnahmen von in den Fünfzigerjahren errichteten Einzelhäusern, Reiheneigenheimen und Mehrfamilienhäusern, die bislang kaum gezeigt worden sind und ihre illustrative Funktion voll erfüllen.
Insgesamt hat Holger Lüning eine verdienstvolle Arbeit vorgelegt, obwohl Niedersachsen zu einseitig als ,,Eigenheim-Land" charakterisiert wird, und trotz kleinerer Fehler und Irrtümer: Elisabeth Pfeil befasste sich bereits vor 1945 mit (Groß-)Stadtforschung und ist nicht erst Anfang der Siebzigerjahre mit Veröffentlichungen hervorgetreten (S. 20); Tilman Harlander und Gerhard Fehl sind keine Historiker, sondern auf Architektur und Stadtplanung spezialisiert (S. 22) - was Lüning darin bestätigt, dass der Dialog mit den interessierten Disziplinen für die gewählte Themenstellung unerlässlich ist.
Meik Woyke, Hamburg