Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Nina Grunenberg, Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942-1966, Siedler Verlag, München 2006, 317 S., zahlr. Abb., geb., 22,95 €.
Die ZEIT-Journalistin Nina Grunenberg hat sich über Jahrzehnte insbesondere mit ihren versierten Reportagen über Unternehmer und Manager einen Namen gemacht. Nach zwei Büchern, die derartige Porträts versammelten, legt sie nun ein ambitioniertes Werk vor. Auf der Basis eigener Einblicke in die Führungsetagen will Grunenberg das westdeutsche ,,Wirtschaftswunder" erklären und dessen unternehmerische Protagonisten würdigen. Bereits in der Einleitung macht sie deutlich, dass die ,,Namen der tatsächlichen Macher" in den Werken der ,,Historikerzunft bestenfalls am Rande" auftauchen: ,,Ihr Wirken wird stiefmütterlich behandelt." (S. 16f.) Ursprünglich war wohl eine reine Heldengeschichte beabsichtigt. Die marktwirtschaftlichen Reformen Ludwig Erhards und dessen liberale Ordnungspolitik, vor allem aber die Unternehmer und Manager des Wiederaufbaus sollten das ,,Wirtschaftswunder" und den damit eng verknüpften politischen Erfolg der jungen Bundesrepublik erklären. Grunenberg fügt hinzu, dass ihr erst im Verlauf dieses Vorhabens klar geworden sei, wie auffällig die personelle Kontinuität zwischen NS-Rüstungswirtschaft und den Wiederaufbaujahren sei. Jenseits der Frage nach ,Schuld' oder ,Verstrickung' nimmt sie diese Erkenntnis in ihre Argumentation auf: Gerade weil die Kontinuität groß war, konnten die ,,Wundertäter" während der Fünfzigerjahre entscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg der Republik beitragen. Die Bedingungen des Wiederaufbaus verlangten geradezu nach dem zupackenden und improvisationsfreudigen Unternehmer, der seine entscheidenden Prägungen in der Rüstungswirtschaft, insbesondere in ,,Speers Kindergarten" erhalten hatte.
Das Ergebnis dieser Überlegungen ist eine flott geschriebene Darstellung. Sie ist gut lesbar, obwohl ständig zwischen wirtschaftspolitischen Ereignissen und packend erzählten Lebensbildern hin- und hergeschaltet werden muss. Daran ist nicht so sehr bemerkenswert, dass ihre Dichte und Intensität recht deutlich vom Forschungsstand bestimmt wird, den es nach Aussage Grunenbergs doch eigentlich gar nicht gibt. Es ist für einen journalistischen Text auch unerheblich, dass die Forschung nur in Ausschnitten wahrgenommen wird und die Schilderungen im empirischen Detail nicht immer korrekt sind. Entscheidend ist vielmehr eine Reihe von argumentativen Widersprüchen. Laut Grunenberg war das Wirtschaftswunder eine einfache Sache: Die richtigen Unternehmer, die richtige Politik, etwas alliierte Unterstützung, und schon konnte es losgehen! Mittelständler sind in dieser Konzeption ebenso wenig vorgesehen wie konsensbereite Gewerkschaften oder die abstrakte Frage nach Institutionen, die den stabilen Aufschwung förderten - seien sie nationaler, seien sie gar internationaler Art.
Grunenberg spricht zudem von ,,Netzwerken" der deutschen Wirtschaft. Gemeint ist mit dieser Metapher zweierlei: Zunächst die tendenziell risikoaversen, insbesondere über die Großbanken geknüpften Beteiligungen und Kontakte, was häufig als ,,rheinischer Kapitalismus" bezeichnet wird. Im Widerspruch dazu steht dann das ,,Netzwerk" der ausgesprochen risikofreudigen Aufsteiger vom Schlage eines Schlieker oder Neckermann. Ob sich beide Phänomene überhaupt überlagerten und ob die gemeinsamen Jagdausflüge nun unmittelbare Faktoren des Erfolgs oder schlicht dessen Ergebnis waren - danach fragt Grunenberg nicht. Auch die unreflektierte Rede von einer ,,Generation" der ,,Wundertäter" ist irreführend, wie der umfangreiche und gut illustrierte biografische Anhang des Buches zeigt: Die wichtigsten Protagonisten entstammen den Geburtsjahrgängen 1883 bis 1914. Ein Zeitraum von 31 Jahren sprengt freilich jedes Generationenkonzept.
Viel überzeugender kann Grunenberg hingegen zeigen, dass die wirtschaftlichen Bedingungen des Wiederaufbaus bestimmte unternehmerische Strategien prämiierten: Bedarfsdeckung, extensives Wachstum als wesentlicher Faktor der Selbstfinanzierung, geringe Risikovorsorge, standardisierte Massenproduktion. Im letzten Drittel des Buches wird eindrücklich vorgeführt, wie die risikofreudigsten ,,Wundertäter" seit der Wende zu den Sechzigerjahren und unter sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen an diesen ,,Erfolgsrezepten" festhielten - und damit grandios scheiterten. Erst wenn man dieses Argument ernst nimmt, wird der größte analytische Widerspruch sichtbar; dann wären es vor allem die Bedingungen der Rekonstruktionskonjunktur gewesen, die einem bestimmten Unternehmertypus nur für kurze Zeit Erfolge bescherten. Mehr noch: Beim Blick über die Bundesrepublik hinaus hätte der europäische Vergleich ergeben, dass offenbar selbst die gefeierte Politik des ordoliberalen Ludwig Erhard gar nicht so wichtig gewesen sein kann. Das legen jedenfalls die ähnlich hohen Wachstumsraten der ersten beiden Nachkriegsdekaden in Staaten mit ganz anderen Wirtschaftspolitiken nahe, ja sogar jene die hinter dem Eisernen Vorhang erzielt wurden. Wo aber blieben dann die ,,Wundertäter"? Sie wären lediglich das Ergebnis einer Publizistik, welche die Selbstbeschreibung von Unternehmern und Politikern der Fünfzigerjahre für bare Münze nimmt und daraus ein Beispiel für gegenwärtiges Handeln abzuleiten fest entschlossen ist.
Tim Schanetzky, Jena