ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jesko Graf zu Dohna, Die ,,jüdischen Konten" der Fürstlich Castell'schen Credit-Cassen und des Bankhauses Karl Meyer KG (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Neujahrsblätter, Bd. 45), Kommissionsverlag Degener & Co., Neustadt/Aisch 2005, 144 S., kart., 16,00 €.

Die vorliegende Veröffentlichung stellt eine Publikation dar, die mit dem Begriff ,,Festschrift" sicherlich nicht treffend umschrieben werden kann. Zwar ist sie Albrecht Fürst zu Castell-Castell zum 80. Geburtstag am 13. August 2005 gewidmet und gibt zunächst einen Überblick über die (Erfolgs-)Geschichte der fränkischen Privatbank Fürstlich Castell'sche Bank und Credit-Casse zwischen ihrer Gründung 1774 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie beschreibt die Entwicklung von einer staatlichen, der Hilfe für lokale Bauern dienenden Kreditkasse zu einem expandierenden Finanzinstitut, das nach der Mediatisierung der Grafschaft Kastell 1806 den Charakter einer Privatbank annahm, die mit ihrem Unterstützungsfonds auch wohltätige Zwecke verfolgte. Nach einer Zweiteilung in den 1850er-Jahren in eine stiftungs- und sparkassenähnliche ,,Alte Credit-Casse" und die ,,Neue Credit-Casse" als Privatbank waren es die Inflation 1923 und die Weltwirtschaftskrise ab 1929, die Notmaßnahmen und Umstrukturierungen erzwangen. Am 1. Januar 1942 ging mit der ,,Alten Credit-Casse" die letzte nichtkommunale bayerische Sparkasse in der nach 1933 stark wachsenden"Neuen Credit-Casse" auf.

Dennoch handelt es sich weder um eine Hochglanzpublikation, wie sie bei Jubiläumsanlässen beliebt ist, noch um eine von einem ansehnlichen Mitarbeiterstab erarbeitete, faktenübersättigte Firmengeschichte. Dies wird schon in der äußeren Gestaltung deutlich: Der Text wird immer wieder von Abbildungen und Abdrucken von Fotografien und Dokumenten umrahmt und unterbrochen, die auf eindringliche Weise die antijüdischen Maßnahmen der Jahre 1933-1945 greifbar werden lassen. Und es ist die über das gesamte Buch verteilte Auflistung von 163 jüdischen Kunden der Bank und ihrer Lebens- und Sterbedaten, die das eigentliche Anliegen wirkungsvoll unterstreicht und das Buch so auch zu einem Gedenkbuch werden lässt.

Der Verfasser der Darstellung und Leiter des Fürstlich Castell'schen Archivs, Jesko Graf zu Dohna, befasst sich auf fünf Ebenen mit den jüdischen Bankkunden. Zunächst wird allgemein die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Unterfrankens und damit in einer Region skizziert, die eine der höchsten Dichten an jüdischen Gemeinden in Deutschland aufwies. Ein besonderes Kapitel der Unternehmensgeschichte stellt dann die Arisierung des ,jüdischen' Bankhauses J. M. Meyer in Kitzingen dar. Die Castell-Bank hatte angesichts der nachteiligen Entwicklung des ländlichen Hypothekengeschäfts bereits das Ziel verfolgt, die in Liquidation befindliche, ebenfalls ,,jüdische" Koschland-Bank zu übernehmen, um so eine Zweigstelle in Kitzingen errichten zu können. Während dieses Vorhaben jedoch noch durch den Reichskommissar für das Kreditwesen gestoppt worden war, nutzte sie 1937 die Chance, einen Teil der Filialen von J. M. Meyer zu übernehmen und sich kommanditistisch am neu gegründeten Bankgeschäft Karl Meyer KG zu beteiligen.

Neben einem vergleichsweise lang geratenen allgemeinen Teil zur Entrechtung, Beraubung und Verfolgung der Juden im NS-Staat sind es schließlich zahlreiche Fallbeispiele, die dem Leser das Schicksal einiger der mindestens 170 als Juden verfolgten Konteninhaber und Kreditnehmer der Castell-Banken vor Augen führen. Gestützt auf Hypothekarkreditakten einerseits und Wertpapierdepotbücher anderseits wird anhand einzelner Vorgänge sehr anschaulich, wie mit der fortschreitenden finanziellen Ausplünderung die Lebensgrundlagen der jüdischen Bevölkerung nach 1933 erodierten. Geschäftsrückgänge, erzwungene Verkäufe von Immobilien und Zwangsversteigerungen trieben viele Bankkunden - überwiegend Einzelhändler und Kleingewerbetreibende - nach und nach in eine immer ausweglosere, immer stärker verzweifelte Lage. Nach dem Niedergang aller beruflichen Möglichkeiten wurden unmittelbar vor Emigration, Deportation und Ermordung über Zwangsabgaben die letzten Besitztümer und Vermögensreste entzogen. Abschließend wird für die Zeit nach 1945 kurz auf zwei Restitutionsfälle und die in ihrem Umfang nur noch unbedeutenden Wertpapierdepots jüdischer Kunden eingegangen.

Insbesondere die quellennah beschriebenen Einzelbeispiele zeigen, mit welchem Gewinn die Bestände eines gut geführten Unternehmensarchivs zur Grundlage für eine Darstellung gemacht werden können, die die dramatischen Folgen der antisemitischen Politik während der NS-Herrschaft, die ,,Entjudung" der Wirtschaft unter Beteiligung der Banken und den Weg in Flucht und Vernichtung dokumentiert. Die Erkenntnis, dass sich die Credit-Cassen und das Bankhaus Karl Meyer bei der geräuschlosen Einfügung in das Maßnahmensystem der Diktatur ,,zwar stets im Rahmen der damaligen Legalität bewegte[n], allerdings wenig Einfühlungsvermögen für die Lage der Betroffenen" gezeigt hätten (S. 86), hätte durch einen vergleichenden Blick auf den Umgang anderer Bankhäuser mit ihren jüdischen Kunden sicherlich noch besser eingeordnet werden können. Dass ein solcher Vergleich hier fehlt, kann der Studie angesichts ihres vorgegebenen Rahmens aber nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Eigentümlich im Dunkeln bleibt allerdings die persönliche Verantwortung der Familie Castell und der leitenden Angestellten der Bank, auch wenn der Antisemitismus Fürst Carl zu Castell-Castells und dessen SA-Aktivitäten Erwähnung finden. Freilich heißt es im Schlusssatz: ,,Eine den verfolgten Juden freundlich zugewandte Haltung, wie sie vereinzelt bei anderen Bankiers vorkam, war bei der politischen Haltung von Inhabern und Geschäftsleitung nicht zu erwarten." (S. 116). Ohne die Hauptperspektive auf die Opfer aufzugeben, hätte man sich dennoch wünschen können, dass hier die möglichen ausgenutzten oder ungenutzt gebliebenen Handlungsspielräume stärker ausgeleuchtet worden wären.

Gleichwohl verleiht gerade das ebenso persönliche wie offene und von Selbstrechtfertigung freie Vorwort des Jubilars Albrecht Fürst zu Castell-Castell dem Buch Überzeugungskraft. Dies nicht zuletzt, da dieser selbst die Familientradition und seine eigene familiäre Prägung kritisch hinterfragt und problematisiert. Nicht nur in dieser Hinsicht mag man auch anderen traditions- und erfolgreichen Familienunternehmen mehr Courage beim Umgang mit ihrer historischen Vergangenheit wünschen, auch und gerade dann, wenn diese (noch) nicht von einer kritischen Öffentlichkeit gefordert wird.

Martin Münzel, Bielefeld


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