ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Axel Schildt/Detlef Siegfried (Hrsg.), European Cities, Youth and the Public Sphere in the Twentieth Century (Historical Urban Studies), Ashgate, Aldershot 2005, 162 S., geb., £ 51,99.

Ziel dieses kleinen, aber teuren Sammelbandes ist es, drei Forschungsbereiche zu vereinen, die trotz vielfältiger Überlappungen meist getrennt behandelt werden, nämlich die Geschichte der Stadt im zwanzigsten Jahrhundert, die Geschichte von Jugend und Jugendpolitik sowie die Geschichte sozialer Kommunikationen im öffentlichen Raum. Gerade mit Beginn einer forcierten Welle der Urbanisierung zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ,,die Jugend" und ihre zunehmende Präsenz in der urbanen Öffentlichkeit mit zunehmendem Unbehagen wahrgenommen und zu Symptomen einer gesellschaftlichen ,,Krise" stilisiert. Nicht nur auf dieser wahrnehmungsgeschichtlichen sondern auch auf der sozialhistorischen Ebene ergaben sich vielfältige Überlagerungen der drei Elemente Stadt, Jugend und Raum. Wie besonders die Stadtsoziologie herausgearbeitet hat, spielten die kommunikativ-sozialen Netzwerke der Stadtviertel eine besondere Rolle für die Entstehung und Entwicklung politischer Bewegungen, in denen ,,die Jugend" eine bedeutende Rolle spielte. Die einzelnen Beiträge des Bandes gehen diesen Wechselbeziehungen in verschiedenen Spielarten, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis hinein in die 1960er-Jahre, nach.

Bettina Hitzer bietet eine Darstellung der Wahrnehmung des ,,Jugendproblems" innerhalb der Berliner Inneren Mission um 1900. In einer beeindruckenden tour de force analysiert David Pomfret die Bedeutung Jugendlicher für die Politik in der Stadt in Großbritannien und Frankreich zwischen 1918 und 1940. Alfons Kenkmann widmet sich, eigene Arbeiten zu diesem Thema aufnehmend, den Kontinuitäten in den Aktivitäten subkultureller Jugendgruppen im Rhein-Ruhrgebiet (wie den Meuten und den Edelweißpiraten) zwischen den 1930er- und den frühen 1950er-Jahren. Alexander Mejstriks Aufsatz beschäftigt sich mit dem ähnlichen Phänomen der Wiener ,,Schlurfe". Sándor Horváths Kapitel gehört zu den anregendsten des Bandes, verbindet er doch die Frage nach der Wahrnehmung von Jugend in der ungarischen Stadt Sztálinváros mit einer weitergehenden Erörterung der Beschaffenheit von Legitimität kommunistischer Herrschaft im Osteuropa der 1950er Jahre. Die Geographen Colin Pooley, Jean Turnbull und Mags Adams untersuchen die Erfahrungen von Jugendlichen in ausgewählten englischen Städten vornehmlich aus sozialstruktureller Perspektive, indem sie sich besonders mit den Erfahrungen räumlicher Mobilität beschäftigen. Hans-Liudger Dienel und Malte Schophaus geht es in ihrem Beitrag darum, die Verortung jugendlicher Subkulturen in städtischen Industriebrachen am Beispiel Berlins (vergleichend mit Amsterdam und Neapel) herauszuarbeiten. Alexander Sedlmaiers anregender, weil kulturanthropologisch und soziologisch informierter Beitrag zur Realisierung von Öffentlichkeit von Jugend im Warenhaus (am Beispiel Berlins) schließt den Band ab.

Die Beiträge zeigen durchweg, dass Historikerinnen und Historiker die Topoi ,,Generation" und ,,Jugend" am besten als Diskurse zur Bewältigung gesellschaftlicher Komplexität und als Teile politischer Polemik interpretieren sollten, und nicht so sehr als sozialhistorische Grundkonstanten. Der Band liefert also wichtige Impulse für die weitere Forschung. Doch leider wird - so ist anzunehmen - sein hoher Preis in Kombination mit der etwas hausbacken anmutenden Ausstattung des Ashgate Verlags (inklusive einiger Bilder in miserabler Qualität) der Wahrnehmung des Bandes im Wege stehen.

Holger Nehring, Sheffield


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 31. Mai 2007