ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg), Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 288 S., geb., 49,90 € (39,90 € für Mitglieder).

Arabischer Antisemitismus - wie oft wird er auch heute noch verniedlicht oder verklärt. In historischer Dimension populär ist das Bild, wonach der Nahe und Mittlere Osten während des Zweiten Weltkriegs von den Achsenmächten, dem Deutschen Reich und Italien, aus rassistischen Gründen kolonialisiert werden sollte. (1) Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers widersprechen dem in ihrer Studie ,,Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina" - genauer: Sie weisen einen im Nahen und Mittleren Osten grassierenden Antisemitismus nach, der von ihnen als radikal und eliminatorisch qualifiziert wird. Instanzen und Verantwortliche des Dritten Reiches erwarteten die Kollaborationswilligkeit der Einheimischen, sobald die ,,Endlösung" durchgeführt würde. (2) Hätte die britische Armee unter Bernard Montgomery die ,,Panzerarmee Afrika" des Erwin Rommel 1942 im ägyptischen El Alamein nicht mehrfach zurückgeschlagen, wäre dies verwirklicht worden.

Eine zentrale These der beiden Historiker von der ,,Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart" lautet entsprechend, dass sich der Antisemitismus dabei ,,als stärkstes Bindeglied zwischen dem Dritten Reich und dem Nahen und Mittleren Osten" (S. 46) erwiesen habe. Anhand von Quellen, hauptsächlich aus bundesdeutschen Archiven, zeichnen Mallmann und Cüppers die bisher kaum beachteten deutsch-arabischen Sympathiebekundungen dieser Zeit kritisch nach. Man sehe sich dabei, so ihre Anmerkung, allzu schnell dem Vorwurf des ,,Eurozentrismus" ausgesetzt, widme man sich ernsthaft der ,,muslimischen Affinität zum Dritten Reich" - was der Anregung Dan Diners ähnelt, die ,,Orientalismus"-These von Edward Said kritisch zu überdenken. (3) Allzu oft werde der in arabischen Staaten auch heute noch grassierende Antisemitismus ignoriert, seine Ursachen einzig auf den Kolonialismus zurückgeführt.

Arabische National- und Unabhängigkeitsbewegungen widersetzten und entzogen sich aber bereits nach 1919 mehrfach den Weisungen der französischen und britischen Mandatsregierungen. In Britisch-Palästina wurden während der Zwanziger- und Dreißigerjahre regelmäßig Terroranschläge und Morde an Angehörigen des Jischuw, der jüdischen Bevölkerung vor der Gründung Israels 1948, begangen. Antisemitismus und Islamismus waren wesentliche Beweggründe dazu.

Nachdem den Nationalsozialisten die Macht übertragen worden war, berichteten Gesandte des Auswärtigen Amtes regelmäßig über dortige Hitlerbegeisterung und Judenhass. Mit Italien und seinem deutschen Verbündeten sollten eigene Interessen durchgesetzt werden. Bis beide Mächte diesem Wunsch nachkamen, verging einige Zeit: 1937 wandten sich die Deutschen endgültig von Großbritannien als potenziellem Allianzpartner ab; dem folgten die Niederlagen und Machteinbußen Italiens am Mittelmeer von 1939/40. Nazideutschland war herausgefordert, Mussolini militärisch und materiell unterstützen. So näherte es sich endgültig der arabischen Seite an. Von ihr erhoffte es Unterstützung im Kampf gegen Großbritannien - was sich mit dortigen Erwartungen überschnitt, die Unabhängigkeit zu erlangen und sich der jüdischen Bevölkerung zu entledigen.

Möglichkeiten hierzu bestanden seit Januar 1941, der entscheidenden Wende in der deutschen Orientpolitik. Unter der Führung Rommels begann die Panzerarmee ihre Offensive gegen die technisch und strategisch unterlegenen Briten. Trotz vereinzelter Rückschläge drang sie bis Juli 1942 von Libyen bis nach El Alamein in Ägypten vor. Geplant war, Ägypten langfristig zu besetzen und innerhalb von zehn Tagen über den Suezkanal nach Palästina vorzudringen. Seit Sommer 1942 wartete ein Einsatzkommando des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) mit 24 Angehörigen, unter der Führung von Walther Rauff, in Athen darauf, den geplanten Massenmord an den Juden des Jischuw einzuleiten und mit Hilfe arabisch-muslimischer Einheimischer zu vollstrecken. Grundlage dessen waren Planungen der Wehrmacht von 1941. Der Einsatzbefehl an Rauff glich dem an die Einsatzgruppen in Osteuropa: Mit seinen Leuten sollte er weitgehend eigenständig agieren und vor Ort personelle Hilfe erhalten. Nach mehrfach misslungenen Durchbruchversuchen allerdings zogen sich Rommel und seine Kräfte im September 1942 aus Ägypten zurück. Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Palästina bewahrheitete sich deshalb nicht.

Dennoch: Auch nach der Niederlage bei El Alamein und dem Rückzug nach Tunesien - weitere alliierte Kontingente waren im November 1942 in Nordafrika gelandet - hielt die NS-Führung an ihrem Ziel fest, die jüdische Bevölkerung im Orient massenhaft zu töten. Aufstände sollten entfacht, Sabotageakte begangen werden, um den Gegner zu schwächen. Zwar war es kaum noch möglich, derlei Unternehmungen materiell zu fördern, da das ,,Unternehmen Barbarossa" in der Sowjetunion zu viele Kräfte band; weiterhin aber wurde den antisemitischen Potenzialen vor Ort vertraut. Rauffs Einsatzkommando weilte seit November 1943 in Tunesien. Sämtliche tunesische Juden wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet, ausgeplündert und misshandelt. Dem Wunsch von Wehrmacht und RSHA entsprechend versuchten arabisch-muslimische Führer auch hier, die Kollaborationswilligkeit der Einheimischen zu beflügeln, indem sie ihre antisemitische Propaganda streuten. Notwendig war dies vor allem, da der Judenhass dort weniger grassierte. Glücklicherweise beendete die endgültige Kapitulation der mittlerweile zur ,,Heeresgruppe Afrika" umbenannten Panzerarmee vom 13. Mai 1943 derlei Bemühungen.

Den Juden vor Ort war die Gefahr bewusst, der sie während dieser Jahre ausgesetzt waren: Mit Hilfe der Briten flohen Tausende ägyptischer Juden nach Palästina. Dort herrschte allerdings ebenfalls Unsicherheit wegen der deutschen und italienischen Unternehmungen. Schließlich hatten deren Flieger seit 1940 unter anderem Haifa und Tel Aviv mehrfach bombardiert. Trotz militärischer und materieller Hilfe zum Selbstschutz von Seiten der Briten wären derlei Vorkehrungen bei einem deutschen Vormarsch allerdings gescheitert, da der arabische Vernichtungswille dem quantitativ und qualitativ überwogen hätte. Einer der Garanten dafür lebte seit November 1941 im Exil in Berlin. Bis 1945 bemühte sich Haj Amin Muhammad el-Husseini, der Mufti von Jerusalem, die arabisch-muslimische Kollaborationsbereitschaft für die ,,Endlösung der Judenfrage in Palästina" zu fördern und zu garantieren. In Rundfunkansprachen, die vom Deutschen Reich in arabische Länder übertragen wurden, verkündete er seinen religiös und ideologisch verwurzelten Antisemitismus. Mehrfach schilderte der ,,Reichsführer-SS", Heinrich Himmler, seine Begeisterung und Sympathien für el-Husseini und sein Vorhaben. Adolf Eichmann versicherte der Mufti, dass Himmler ihm einen Mitarbeiter aus dem Judenreferat des RSHA zugesagt habe, sobald die ,,Endlösung" in seiner Heimat vollzogen würde. In den Sechzigerjahren sah er in Jassir Arafat, einem fernen Verwandten, einen Potentaten für eine künftige palästinensische Nation.

Trotz der sich abzeichnenden Kriegsniederlage Nazideutschlands ließen arabische Persönlichkeiten wie el-Husseini nicht davon ab, weiterhin den ,,Heiligen Krieg" gegen Juden und Alliierte zu propagieren und den Untergrund zu reorganisieren. Auch nach Kriegsende präsentierten sie sich als überzeugte Antisemiten und wahrten Popularität und Einfluss in ihrer Heimat. ,,Nach 1945", so Mallmann und Cüppers, ,,war die Affinität zum Nationalsozialismus in der arabischen Welt weitgehend ungebrochen" (S. 251). In ihrer lesenswerten und innovativen Studie bestätigen sie auf überzeugende Weise ihre These, dass die von deutscher Seite geplante ,,Endlösung der Judenfrage" im Nahen und Mittleren Osten mit Hilfe des Antisemitismus der Einheimischen vollstreckt worden wäre.

Jan Kiepe, Göttingen/Erfurt

Fußnoten:


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