ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Forscher und Bauern. Neuerscheinungen zur Geschichte der Agrarwissenschaften

Man könnte versucht sein, diese Rezension im Stil von Goscinny zu beginnen: Im Jahre 2007 wird die Forschung zur deutschen Agrargeschichte im 20. Jahrhundert von tiefem Schlummer regiert. Die gesamte Agrargeschichte? Nein! Durch ein glückliches Zusammentreffen verschiedener Umstände ist es gerade ein lange Zeit randständiger Bereich, die Geschichte der Agrarwissenschaften, die nun durch eine Reihe anregender Studien Furore macht. Während der Verwissenschaftlichungs- und Technisierungsprozess der Landwirtschaft lange Zeit als merkwürdig monolithische Entwicklung präsentiert wurde, in der es weder Zäsuren noch Alternativen zu geben schien, liefern mehrere Monografien nunmehr ein neues, realitätsnäheres Bild. Diese Studien sind dabei nicht nur von wissenschaftshistorischem Interesse, sondern werfen zugleich ein neues Schlaglicht auf den Wandel der Landwirtschaft seit dem späten 19. Jahrhundert. Erst die Einbeziehung der wissenschaftlichen Entwicklung erlaubt es, die agrarische Entwicklung im den vergangenen gut 100 Jahren in seiner ganzen Dramatik zu erfassen.

Der ambitionierteste Entwurf ist dabei Jonathan Harwoods Buch ,,Technology's Dilemma", welches die etwa 15 Jahre umfassenden Studien des Autors in diesem Bereich bündelt. Harwood nimmt die Agrarwissenschaften als Ganzes in den Blick und verfolgt die Entwicklung der universitären Ausbildung zwischen 1860 und 1934. Leitmotiv ist dabei die Spannung zwischen Wissenschafts- und Praxisorientierung, die sich durch die gesamten Agrarwissenschaften zieht: Zwischen den Postulaten der akademischen Wissenschaft und den Beratungswünschen der praktischen Landwirte besteht ein Zielkonflikt, in dem sich agrarwissenschaftliche Fakultäten zwangsläufig positionieren mussten. Und nicht nur diese: Harwood sieht dieses ,,technological dilemma" als ein Grundproblem jeder angewandten Wissenschaft.

Harwood argumentiert, dass agrarwissenschaftliche Fakultäten von sich aus zur akademischen Seite des Fließfeldes tendieren, also zur Verwissenschaftlichung und Abschließung gegenüber Praxisbezügen. Darüber ließe sich streiten. Wenn man etwa liest, wie selbst ein Agrarwissenschaftler vom Format Kurt von Rümkers in seiner unveröffentlichten Autobiografie mit seinem Unvermögen hadert, praktischer Landwirt zu werden - die wissenschaftliche Karriere schlug Rümker, einer der wichtigsten Pflanzenzüchter seiner Zeit, erst ein, nachdem seine landwirtschaftliche Karriere an mangelnder Physis gescheitert war -, bemerkt eine Wertschätzung der landwirtschaftlichen Praxis. Für Harwood sind vor allem die für die akademische Ausbildung zuständigen Ministerien sowie lokale Interessengruppen die entscheidenden Gegengewichte zum wissenschaftlichen Ethos; aber es gab wohl auch innerhalb der Agrarwissenschaften Kräfte, die die Praxis nicht allzu weit aus dem Blick verschwinden lassen wollten, und zwar nicht nur aus rein praktischen Gründen. Immerhin ist es Harwood mit seinem Ansatz möglich, einen intensiven Einfluss lokaler Interessengruppen auf die Universitätspolitiken nachzuweisen. Die entsprechenden Befunde sind umso wertvoller, als Harwood bei seinen Recherchen immer wieder einen frustrierenden Stand der Forschung vorfinden musste.

Wertvoll ist auch der Nachweis, dass sich die akademischen Fakultäten durchaus unterschiedlich im Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis positionierten. Während Berlin und Halle stark wissenschaftlichen Imperativen folgten, blieben Breslau, Hohenheim und Bonn stärker der landwirtschaftlichen Praxis verhaftet. Leider verbindet Harwood diese Befunde nicht mit einer Untersuchung des Spezialisierungsgrades an den jeweiligen Universitäten: Zwar liefert er interessantes Material zu diesem Grundprozess der Agrarwissenschaften, der just zu dieser Zeit gegen den anfänglichen Widerstand Friedrich Althoffs eingeleitet wurde, die systematische Verbindung seines Interpretationsmodells mit Art und Ausmaß der Spezialisierung unterbleibt jedoch bedauerlicherweise. Dafür liefert Harwood am Ende eine kurzgefasste Überprüfung seines Modells anhand der akademischen Pflanzenzuchtforschung, die seine Thesen im Wesentlichen bestätigt. Alles in allem ist hier eine mutige, methodisch geschliffene Überblicksdarstellung entstanden, die als Wegweiser für künftige Forschungen schon bald unverzichtbar sein wird.

Der Bereich der Pflanzenzüchtung ist auch das Thema der Münchener Dissertation Thomas Wielands. In dieser Arbeit, die am Graduiertenkolleg des Deutschen Museums entstand, wird der durchaus gewundene Verwissenschaftlichungsprozess der Pflanzenzüchtung vom späten 19. Jahrhundert bis 1945 nachgezeichnet. Am Anfang steht eine komplizierte, oft widersprüchlich scheinende Gemengelage. Bei der Zuckerrübenzüchtung gaben Zuckerfabrikanten und Handelsgärtner den Ton an, während bei der Getreidezüchtung eher die landwirtschaftlichen Praktiker Regie führten. Wieland bündelt seine Befunde zu einem interessanten Gruppenprofil der Getreidezüchter des 19. Jahrhunderts: Diese waren meist bürgerlicher Herkunft, nicht adelig und Besitzer eines Großbetriebs von mehreren hundert Hektar, die sie rationell und gewinnorientiert zu bewirtschaften suchten. Entsprechend bunt war das Theorieangebot: Bis ins späte 19. Jahrhundert war die Pflanzenzüchtung ,,von einem Neben- und Durcheinander isolierter Einzelbeobachtungen, Hypothesen und Theorien geprägt" (S. 47). Erst danach kann von einer Verwissenschaftlichung im Sinne einer Durchdringung des landwirtschaftlichen Produktionswissens durch agrarwissenschaftliches Know-how gesprochen werden.

Erfreulich ist, dass Wieland seine Befunde in ein Gesamtbild der Entwicklung der Agrarwissenschaften zu integrieren sucht. So zeigt er etwa auf, wie sehr die Agrikulturchemie im späten 19. Jahrhundert die Forschungslandschaft der Agrarwissenschaften dominierte; für die Pflanzenzüchtung blieb da schlicht kein Platz. Neben dem schon erwähnten Rümker war es vor allem die thematisch breit angelegte Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), die den Verwissenschaftlichungsprozess der Pflanzenzüchtung vorantrieb. Trotzdem verweigert sich Wieland simplen Teleologien und legt Divergenzen und Diskontinuitäten offen. Die Verwissenschaftlichung im Agrarbereich war zumindest im 19. Jahrhundert nie allumfassend: Da muss man nur auf einen Forscher wie Georg Liebscher verweisen, der zunächst zu Anbauversuchen der DLG bemerkte, deren Ergebnisse ließen sich nun einmal nicht ,,in Mark und Pfennig genau" beziffern, um drei Jahre später eben dies zu tun. Interessant ist auch, dass es in der Pflanzenzucht einen Nord-Süd-Gegensatz gab: Während in Mittel- und Ostdeutschland eine kommerzielle Saatgutindustrie entstand, dominierten im Süden zunächst staatliche Saatzuchtanstalten, die wiederum von der Vernetzung mit zahlreichen kleinen Zuchtbetrieben lebten. Ein Gegensatz mit weitreichenden Folgen: Die nord- und ostdeutschen Unternehmen favorisierten ,,Universalrassen" mit möglichst weitem Anwendungskreis, während sich die Saatzuchtanstalten der Vielfalt regionaler ,,Landsorten" verschrieben.

Klar unterscheidbare Schulen der wissenschaftlichen Forschung sind in der Pflanzenzüchtung erst nach dem Ersten Weltkrieg zu identifizieren; zugleich verschob sich der Schwerpunkt züchterischer Innovationen von den privaten Saatzuchtbetrieben zu staatlich-akademischen Forschungsinstituten, zumal der Staat im Streben nach landwirtschaftlicher Autarkie mehr denn je zur finanziellen Förderung bereit war. Ausführlich beschreibt Wieland den Gegensatz zwischen dem praxisorientierten Pragmatiker Theodor Roemer an der Universität Halle und dem visionären Genetiker Erwin Baur am Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung in Müncheberg. Gerade letzterer prägte das öffentliche Bild der Pflanzenzüchtung in den 1930er Jahren, in der diese als geradezu omnipotente, weil genetisch fundierte Schlüsseltechnologie erschien. Zum Symbol dieser genetischen Allmachtsphantasien avancierte die an Baurs Institut entwickelte Süßlupine: eine stickstoffsammelnde Pflanze, die sich dank der Wegzüchtung von Bitterstoffen auch als Futterpflanze eignete.

Wielands Darstellung besticht vor allem für die Zeit des Kaiserreichs durch Kenntnis und Detailreichtum; danach wird die Belegdecke merklich dünner. Das Kapitel zur NS-Zeit ist das deutlich schwächste des Bandes, hier gerinnt die Darstellung zu einer analytisch kaum durchdrungenen Ereignisgeschichte. Zur Pflanzenzüchtung im Nationalsozialismus greift man daher besser zu Susanne Heims Studie der landwirtschaftlichen Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten zwischen 1933 und 1945, die im Rahmen des Forschungsprojekts der Max-Planck-Gesellschaft zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus entstand. Heim schaut jenseits der Blut-und-Boden-Mythen, die noch immer das historiografische Bild der NS-Agrarpolitik prägen, auf die wissenschaftlichen Verschiebungen, die sich im Wechselspiel von Wissenschaft und nationalsozialistischer Politik ergaben. Im Zentrum stehen dabei die wissenschaftlichen Folgen der Expansion nach Osten; die eroberten Gebiete sollten bekanntermaßen der Nahrungsmittel- und Rohstoffversorgung Deutschlands und später des europäischen ,,Großraums" dienen. Da gab es einen enormen Bedarf an wissenschaftlicher Forschung, dem sich die Agrarwissenschaften nur zu bereitwillig stellten; schon vor Kriegsbeginn konstatiert Heim eine deutliche Verschiebung wissenschaftlicher Fragestellungen Richtung Osten, die der militärischen Expansion durch eine Erforschung der Produktionsbedingungen in den noch gar nicht eroberten Gebieten gewissermaßen vorausgriff. Im Zentrum stand dabei der Professor für Agrarwissenschaften Konrad Meyer, ein mustergültiger Vertreter der ,,Generation der Sachlichkeit" (Ulrich Herbert), der, im Jahr der Machtergreifung erst 32 Jahre alt, die Neuregelung der Agrarforschung zunächst als Referent im Reichserziehungsministerium und später als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Leiter der Fachsparte ,,Landbauwissenschaft und allgemeine Biologie" im Reichsforschungsrat vorantrieb. Dass Meyer am Ende zur Schlüsselfigur bei der Entwicklung des ,,Generalplans Ost" wurde, war da nur konsequent.

Farbe gewinnt Heims Monografie vor allem durch die Analyse einzelner Fallbeispiele, unter denen vor allem die Geschichte der Kautschukforschung hervorsticht. Das Projekt konzentrierte sich auf die Kok-Saghys-Pflanze, ein löwenzahnähnliches Gewächs, deren Wurzeln Kautschuk enthielten, mit Blick auf die prekäre Abhängigkeit der Kriegswirtschaft von importiertem Naturkautschuk ein hoffnungserregender Befund. Das Projekt scheiterte am Ende: Die von den Continental-Werken mit Pflanzenkautschuk produzierten Reifen erwiesen sich als minderwertig. Aber Heim widerspricht vehement den Versuchen, das Kautschukprojekt ob dieses tristen Ausgangs als belanglosen Irrweg oder gar als Beleg eines Realitätsverlusts der NS-Führung zu interpretieren. Heim richtet vielmehr den Blick auf die Kosten des Projekts, und diese waren enorm. Erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion kam Schwung in die deutsche Pflanzenkautschukforschung, und das war kein Zufall. Neben der enormen Vermehrung der Saatgutvorräte durch Beschlagnahmungen - die sowjetische Kok-Saghys-Forschung war von deutschen Forschern in den 1930er-Jahren mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung verfolgt worden - waren es vor allem die geografischen und personellen Ressourcen der eroberten Gebieten, die die Entstehung eines neuen Forschungsschwerpunktes ermöglichten. Nur dann, wenn sowohl landwirtschaftliche Nutzflächen als auch Arbeitskräfte aus der besetzten Sowjetunion genutzt wurden, bestand überhaupt Aussicht auf einen rentablen Kok-Saghys-Anbau. Zwangsarbeit war insofern keine bloße Begleiterscheinung der Forschung, sondern notwendige Voraussetzung; ein Zentrum der Kok-Saghys-Forschung war die landwirtschaftliche Station Rajsko beim Konzentrationslager Auschwitz. Zusammenfassend spricht Heim - mit einem allerdings arg farblosen Begriff - von einer ,,Interessenkoalition" von Agrarwissenschaften und Nationalsozialismus (S. 245).

Ein viertes Buch, das den Boom der agrarhistorischen Wissenschaftsforschung demonstriert, ist Lukas Straumanns Züricher Dissertation über angewandte Entomologie und Pestizidforschung in der Schweiz von 1874 bis 1952. Die Geschichte der Pflanzenschutzmittel gehört zu den am besten erforschten Themenfeldern der Agrarwissenschaften, und die entsprechende Literatur wurde von Straumann gründlich rezipiert; nur die Arbeiten Jürgen Büschenfelds sind ihm dabei entgangen. (1) Während jüngere Studien von Sarah Jansen und Edmund Russell das Schwergewicht auf kulturgeschichtliche Fragestellungen legten, betont Straumann wirtschafts- und technikhistorische Themen. (2) Mit Erfolg: Die auf den ersten Blick reichlich künstliche Beschränkung auf die Schweiz erweist sich als Glücksgriff, denn gerade Schweizer Unternehmen, allen voran die Basler Chemiegiganten Sandoz und Geigy, spielten in der Geschichte der Pestizide eine Schlüsselrolle von globaler Bedeutung. Der Nobelpreis, den der Schweizer Chemiker Paul Müller 1948 für die Entdeckung der insektiziden Wirksamkeit des Dichlordiphenyltrichloräthans (besser bekannt unter der Abkürzung DDT) erhielt, wird gleich auf der ersten Seite erwähnt.

Die entsprechenden ,,Fanfarenklänge", die Straumann im ersten Satz beschwört, verhallen jedoch rasch. Natürlich hat Straumann wie jeder moderne Technikhistoriker vom ,,social shaping of technology" gehört, und so verortet er das Thema in einem methodischen Viereck von ,,Universitäten" (worunter dann aber auch die außeruniversitären Forschungsanstalten fallen), Staat, Industrie und Landwirtschaft. Rasch zeigt sich dabei, dass die Dominanz der Global Players erst am Ende einer sehr gewundenen Entwicklung stand. Bis zum Zweiten Weltkrieg war der chemische Pflanzenschutz die Sache von Familienunternehmen, insbesondere der chemischen Fabrik Dr. Rudolf Maag in Dielsdorf im Kanton Zürich, die in den 1920er-Jahren eine dominante Stellung auf dem Pestizidmarkt eroberte. Durchweg präsentiert sich die Pestizidindustrie dabei als zivile Angelegenheit; die enge Verbindung von Kriegs- und Agrarforschung, die Russell für den amerikanischen Fall herausarbeitete, war somit keine Zwangsläufigkeit. Trotzdem präsentiert sich vor allem der Zweite Weltkrieg als wichtige Wasserscheide: Während am Anfang die Reblaus ,,Phylloxera" im Zentrum der Aufmerksamkeit stand und später der Obstanbau zentraler Anwendungsbereich der Pestizide war, wurde der allgemeine Gebrauch chemischer Pflanzenschutzmittel in der schweizerischen ,,Anbauschlacht" des Zweiten Weltkriegs zur vaterländischen Pflicht. Zugleich vollzog sich mit dem DDT ein folgenschwerer Übergang zu organisch-synthetischen Präparaten: Frühere Mittel waren auf der Grundlage anorganischer Wirkstoffe oder Pflanzenextrakte produziert wurden und deutlich kostspieliger als das billige DDT. Aber auf die DDT-Euphorie währte nur kurz: Schon für die Zeit um 1950 identifiziert Straumann eine ,,Insektizidkrise", in der sich unerwartet rasch Resistenzprobleme sowie eine inzidentielle Fruchtbarkeitsstimulanz bei Spinnenmilben zeigten, und der Schweizer Pflanzenschutzmittelverbrauch erreichte zwischen 1956 und 1958 seinen Höhepunkt - deutlich vor dem Erscheinen von Rachel Carsons ,,Stummem Frühling" 1962. Leider endet Straumanns Darstellung recht abrupt in den frühen 1950er-Jahren, obwohl seine Befunde den Kern für eine Revision populärer umwelthistorischer Deutungsmuster enthalten. Schon vor einigen Jahren hat Christopher Sellers die These aufgestellt, dass Carsons Kritik auf der jahrelangen Kärrnerarbeit im Verborgenen arbeitender wissenschaftlicher Forscher aufbaute. (3) Da deutet sich eine neue, durchaus brisante Reinterpretation des Aufstiegs der modernen Umweltbewegung an: Während die öffentliche Aufmerksamkeit sich auf Einzelpersonen und von besorgten Bürgern initiierte Umweltverbände konzentrierte, vollzog sich der für die Problemlösungen entscheidende Wandel in der Masse der wissenschaftlichen Experten.

Straumann präsentiert die Pestizidforschung als Musterfall für die Entwicklung einer ,,science-based agriculture", und er nimmt dieses Theorem sehr ernst. Die wissenschaftliche Forschung blieb den landwirtschaftlichen Praktikern jedoch stets eng verbunden; Harwoods ,,Dilemma" ist in dieser Beziehung ein wichtiges Memento. Überhaupt lassen die vier vorgestellten Studien erahnen, wie sehr die agrarwissenschaftliche Forschung an Farbe gewinnt, wenn sie nicht nur die Studierstuben und Labore der Wissenschaftler, sondern zugleich die vielfältigen Anforderungen der Agrarpraxis mit in den Blick nimmt. Verwissenschaftlichung war, so scheint es, in der Landwirtschaft stets ein relativer Begriff, die ,,wissenschaftliche Landwirtschaft" stets ein Amalgam wissenschaftlicher Ergebnisse und praktischer Erfahrung; die Schlüsselrolle der landwirtschaftlichen Berater, auf die etwa Büschenfeld hingewiesen hat, wird auch in diesen Pionierstudien immer wieder erkennbar. So bleibt zu hoffen, dass die Erforschung der Geschichte der Agrarwissenschaften nicht in seiner randständigen Position verbleibt, sondern die Agrargeschichte insgesamt von einem neuen Gesichtspunkt aus aufmischt. An Themen mangelt es jedenfalls nicht: Wie lässt sich eine Brücke schlagen von der Geschichte der Agrarwissenschaften zu jenem sozioökonomischen Umwälzungsprozess von präzedenzloser Brutalität, der den ländlichen Raum im 20. Jahrhundert prägte? Und wie präsentieren sich die gegenwärtigen Bemühungen um eine ,,Agrarwende" vor dem Hintergrund der Geschichte der Agrarwissenschaften? Bislang hat sich nur Ulrich Kluge mit seinem Buch ,,Ökowende" als Historiker in die gegenwartspolitische Debatte eingemischt, obwohl die Verbindung historiografischer und aktueller Perspektiven für beide Seiten befruchtend wirken dürfte. (4) Und eines ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahren wohl sicher: Der nächste ,Landwirtschaftsskandal' kommt bestimmt.

Frank Uekötter, München

Fußnoten:


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