ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Herrmann Knell, Untergang in Flammen. Strategische Bombenangriffe und ihre Folgen im Zweiten Weltkrieg (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg, Bd. 12), Verlag Ferdinand Schöningh, Würzburg 2006, 340 S., 17 Abb. + 5 Karten/Register, kart., 14,50 €.

Im Zentrum der hier zu besprechenden Darstellung über den strategischen Luftkrieg gegen das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg steht die Frage nach dem Warum. Gestellt wird sie von einem 1926 geborenen Laienhistoriker, der als junger Erwachsener die Bombenangriffe auf seine Geburtsstadt Würzburg miterlebt hat und heute in Kanada lebt. ,,Warum mußte die Stadt im März 1945 vollkommen zerstört werden, knapp zwei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und nur zwei Wochen, bevor die US Army vor ihren Toren stand?", fragt Hermann Knell auf Seite 3 seiner zuerst 2003 auf Englisch erschienenen Arbeit, die jetzt in deutscher Übersetzung als Band 12 der Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg vorliegt. (1) Für den Verfasser, der nach eigenen Angaben in umfangreichen Recherchen 300 ,,einschlägige" Bücher und ,,unzählige" Archivalien zum Thema eingesehen hat (S. 311), fällt die Antwort ernüchternd aus. ,,Selbst heute [...] kann ich immer noch nicht begreifen, warum Würzburg zerstört wurde" (S. 3). Leider ist der Ertrag der jahrelangen Forschungen nicht nur für den Verfasser gering, sondern auch für den potentiellen Leser bzw. die Leserin des immerhin 300-seitigen Werkes. Schlimmer noch: durch die Art und Weise, wie dieses Buch die alliierte (Luft-)Kriegführung ,,an den Pranger" (S. 40) stellt, während es den rassenideologischen Vernichtungskrieg Deutschlands verharmlost und die deutsche Kriegsgesellschaft zu einer Opfergemeinschaft stilisiert, wird es zum Ärgernis.

Indem der Verfasser am Beispiel der Zerstörung Würzburgs der Frage nachgeht, warum noch im Frühjahr 1945 Hunderttausende Menschen sterben mussten und Dutzende von Städten zerstört wurden, bevor Nazi-Deutschland den bereits seit langem verlorenen Krieg einstellte, berührt er ein Problem, mit dessen Erklärung sich die historische Forschung schwer tut. (2) Allerdings konzentriert sich Knell in seiner Suche nach Antworten ausschließlich auf die Eigendynamik des strategischen Luftkrieges, der von den Westalliierten seit 1942 mit wachsender Intensität gegen das Deutsche Reich geführt wurde. Die Erörterung von Handlungsalternativen, die auch auf deutscher Seite bestanden, bleibt außerhalb des Reflexionshorizonts. Wie der Verfasser in einem erst in der deutschen Übersetzung eingefügten Abschnitt überraschend freimütig bekennt, ist dies kein Zufall. Die Genese des Buches entstammt dem Bedürfnis, die deutschen Verbrechen, die in den Nürnberger Prozessen verhandelt worden waren, gegen vorgebliche alliierte Verbrechen aufzurechnen. Zwar sei die NS-Führungselite zu recht verurteilt worden, weil sie ,,Unheil [...] vor allem über die Deutschen" gebracht habe (S. 40). Aber auch die für den Bombenkrieg Verantwortlichen hätten auf ,,der Anklagebank sitzen sollen", wie der Verfasser schreibt: Als ,,Besiegter" die alliierten ,,Kommandeure, Strategen und Soldaten [...] an den Pranger [zu] stellen" -, daraus bezog der Verfasser die Motivation zur ersten Beschäftigung mit dem Thema (ebd.). Zwar räumt Knell ein, dass mit den Jahren das Bedürfnis nach Anklage dem Wunsch nach ,,objektiver Beurteilung" gewichen sei (S. 42), aber eine apologetische Tendenz hat sich auch dem veröffentlichten Text eingeschrieben.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Während Abschnitt eins den 'Untergang' Würzburgs im Frühjahr 1945 behandelt, zeichnet Abschnitt zwei in groben Zügen die Geschichte des strategischen Luftkrieges von seinen Anfängen im Ersten Weltkrieg über die Kolonialkriege und den Spanischen Bürgerkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nach. Beide Abschnitte schöpfen neben persönlichen Erinnerungen vor allem aus der Literatur der Achtzigerjahre, wobei immer wieder auf so tendenziöse Gewährsmänner wie David Irving, Franz Kurowski und Maximilian Czesany zurückgegriffen wird. Gleichzeitig fehlen einschlägige Veröffentlichungen. So wird zwar Olaf Groehlers Standardwerk von 1990, ,,Bombenkrieg gegen Deutschland", im Literaturverzeichnis geführt, aber kaum benutzt. Das vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt verantwortete ,,Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" findet noch nicht einmal dort Erwähnung, von weiterführender Spezialliteratur - etwa zu den Bevölkerungsverschiebungen in Folge der Flächenangriffe - ganz zu schweigen. (3) Punktuell greift die Arbeit auch auf Archivalien zurück. Von einer aus den Quellen gearbeiteten Studie, wie dies im Vorwort behauptet wird, kann jedoch keine Rede sein.

Der mit ,,Würzburg" überschriebene erste Abschnitt schildert in knapper Form die Geschichte des Luftkrieges aus lokaler Perspektive. Würzburg im Krieg wird als eine ,,Stadt der Bürger" dargestellt, ,,ein angenehmer und friedlicher Ort", der am 16. März 1945 sinnlos zerstört wird (S. 8). In Knells Krieg schaut eine imaginierte Wir-Gruppe fassungs- und teilnahmslos zu, wie die ,,RAF- und USAAF Bombergeschwader [...] deutsche und andere europäische Städte in Schutt und Asche" legen (S. 12). Dabei fällt sowohl die eigentliche Rekonstruktion des Angriffs vom 16. März 1945 als auch die Untersuchung der Umstände, unter denen Würzburg im Frühjahr 1945 als zweitrangiges industrial area target auf die Zielliste des Combined Strategic Targets Committee geriet, weit hinter den inzwischen von der Lokalgeschichte erreichten Forschungsstand zurück. Den im Mainfränkischen Jahrbuch erschienenen grundlegenden Arbeiten von Heinrich Dunkhase und Ursula R. Moessner hat Knell nichts hinzuzufügen. (4) Letztere findet sich noch nicht einmal im Literaturverzeichnis. Überraschenderweise verzichtet der Verfasser sogar darauf, die katastrophalen Ereignisse aus der Perspektive des rückschauenden Zeitzeugen zu beschreiben: ,,Es ist nicht die Absicht dieses Buches, dieses Elend zu schildern", bemerkt Knell lediglich, bevor er recht kursorisch Ablauf und Folgen des Angriffs skizziert (S. 26f.).

Für den Verfasser liegen die Ursachen für die Zerstörung der Geburtsstadt weder in der Kriegspolitik Nazi-Deutschlands begründet noch in der Fortführung eines längst verlorenen Krieges im Frühjahr 1945, sondern ausschließlich in der alliierten Luftkriegführung. Folgerichtig wendet sich der Hauptteil des Buches der Geschichte des strategischen Luftkriegs zu. In elf Unterkapiteln beschreibt Knell die militärtheoretischen Grundlagen von Luftangriffen gegen Ziele im feindlichen Hinterland, stellt Vordenker und Befehlshaber der europäischen und japanischen Luftstreitkräfte vor und gibt schließlich einen Abriss über die Entwicklung des Luftkrieges von 1914 bis 1945. Dabei sind es weniger die meist oberflächlichen Darstellungen zur Sache selbst, die das Buch zu einer schwer erträglichen Lektüre machen, als weitschweifige Ausführungen, die bedenkenlos auf zentrale Interpretamente der apologetischen Literatur zurückgreifen. Da wird die britische Internierungspraxis im Burenkrieg der Jahre 1899 bis 1902 zu einem ,,Vorläufer des Flächenbombardements" (S. 84 f.); der Versailler Vertrag von 1919 zur Hauptursache des Zweiten Weltkrieges (S. 118); und das Münchner Abkommen von 1938 zu einem Beitrag zum Frieden (S. 152). Der Überfall auf die Sowjetunion im Jahr 1941 wird vom Verfasser in die Nähe eines Präventivkriegs gerückt (S. 185 f.), die ,,deutsche Regierung" für ihre ,,Fürsorge" gegenüber den Luftkriegsgeschädigten gelobt und selbst der Legende von den 135,000 Opfern des Luftangriffs auf Dresden schenkt der Verfasser Glauben (S. 272; 244). Angesichts dieser Tendenz kann Knells abschließendes Urteil nicht überraschen: Während der strategische Luftkrieg als militärisch sinnlos und moralisch verwerflich eingestuft wird, mutieren seine (deutschen) Opfer zu ,,vergessenen Helden" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (S. 315).

In einem Geleitwort spricht die Würzburger Oberbürgermeisterin Dr. Pia Beckmann dem Verfasser Dank und Bewunderung aus und wünscht dem Buch ,,nicht nur bei den fachlich interessierten Lesern, sondern gerade auch in der Würzburger Bürgerschaft" eine große Resonanz (S. X). Diesem Wunsch kann sich der Rezensent nicht anschließen. Wer sich über die Geschichte Würzburgs im Zweiten Weltkrieg informieren möchte, findet im Mainfränkischen Jahrbuch sachkundige und differenzierte Beiträge. (5) Die Geschichte des strategischen Luftkrieges wurde zuletzt von Rolf-Dieter Müller sachlich und kompetent dargestellt.[6] (6) Und wer schließlich nach tendenziöser Literatur zum ,,anglo-amerikanischen Bombenterror" (Franz Kurowski) sucht, wird in jeder Bahnhofsbuchhandlung leicht fündig werden.

Jörg Arnold, Southampton

Fußnoten:


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