Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Die deutschen Länder. Geschichte, Politik, Wirtschaft, VS Verlag, 3., aktual. Aufl. Wiesbaden 2004, 408 S., brosch., 26,90 €.
Die Debatte um die Reform des deutschen Föderalismus führte in jüngster Zeit zu zahlreichen Spezialstudien. Besonders hilfreich ist daher ein Handbuch, wie es der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling in dritter und aktualisierter Auflage 2004 unter dem Titel ,,Die deutschen Länder" vorgelegt hat, das den Stand der Diskussion wiedergibt, ihre Probleme vorstellt und Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Das Ziel dieses Bandes ist es, einerseits die Verfassungsbestimmungen zum deutschen Bundesstaat darzustellen und einzuordnen und andererseits die Verfassungswirklichkeit und den sich daraus ergebenden Reformbedarf zu schildern. Die Perspektive dieses Bandes ist damit zum einen die politisch-historische Beschreibung der 16 deutschen Bundesländer, zum anderen die juristische und politikwissenschaftliche Analyse des Föderalismus. Die 16 deutschen Bundesländer werden teilweise weit ausholend in Entstehungsgeschichte, politischen Institutionenordnung und Wirtschaftsstruktur beschrieben. Dabei wird freilich nicht immer der Bezug zum Föderalismus und seiner Reform gewahrt.
Auf diesen stärker lexikalisch orientierten Teil folgt der problemorientierte zweite Teil zum Föderalismus. Die Autoren lassen sich dabei durchweg von der nach der deutschen Wiedervereinigung verstärkt geführten Debatte um die Reform des Föderalismus im Sinne des Wettbewerbsföderalismus leiten. Martin Große Hüttmann schildert die Kritik am bestehenden Föderalismus an seiner Trägheit und seinem Demokratiedefizit. Der Begriff der ,,Politikverflechtungsfalle" (Fritz Scharpf) hilft die Immobilität des deutschen Bundesstaates erklären. Im kooperativen Föderalismus wird die Rolle der Länder mehr und mehr auf ihre Mitwirkung an der gesamtstaatlichen Gesetzgebung reduziert. Ihre eigenstaatliche Verantwortung nahm dagegen ab. Ein Ergebnis, das von Große Hüttmann nicht diskutiert wird, ist der dramatische Bedeutungsverlust der Länderparlamente. Besonders die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern haben seit den 1990er Jahren dagegen den sogenannten Wettbewerbsföderalismus als politische Alternative ins Gespräch gebracht. Dieser Wettbewerb würde eine massive Verlagerung von Kompetenzen zurück auf die Länder und eine außerordentliche Ausweitung ihres Gestaltungsspielraumes voraussetzen. Entscheidend für die Reformfähigkeit des deutschen Föderalismus ist jedoch die Finanzfrage, d.h. die finanzielle Verflechtung von Bund und Ländern in einem System der Mischfinanzierungen. Gerhard Lehmbruch beschreibt danach noch einmal zusammenfassend seine Theorie des Föderalismus als spezifische Pfadabhängigkeit, bei der es sich als zunehmend unmöglich erweist, einmal in der formativen Phase des deutschen Föderalismus im 19. Jahrhundert getroffene Entscheidungen zu revidieren. Ursula Münch leuchtet in ihrem Beitrag die Wirkungsmuster und Vermittlungsinstanzen des deutschen Beteiligungsföderalismus aus. Nicht nur die Reformbedürftigkeit, sondern auch die Leistungsfähigkeit des deutschen Föderalismus wird damit herausgearbeitet. Die Autorin vergleicht die Mitwirkungsmöglichkeiten im Bundesrat mit denjenigen im Senat der USA und im Ständerat der Schweiz. Damit tritt die ganze Bandbreite von Gestaltungsmöglichkeiten zweiter Kammern in den Blickpunkt. Der deutsche Bundesrat ist der Kategorie der ,,leicht asymmetrischen zweiten Kammern" zuzuordnen, die von den ersten Kammern majorisiert werden können (S. 362). Den entscheidenden Punkt der Finanzverfassung des Föderalismus erörtert abschließend Wolfgang Renzsch. Im System des kooperativen Föderalismus, der starke Mitwirkungsrechte und Vetokoalitionen der Länder im Bundesrat kennt, kommt es auf die Steuergesetzgebung an. Diese liegt fast ausschließlich in der Hand des Bundes. Diese wichtigste Verquickung der Landes- und der Bundesebene ist das Ergebnis mehrerer Finanzreformen von 1955 über 1969 bis 2001. Eine Modernisierung des Bundesstaates wird daher nicht nur die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu ordnen, sondern vor allem die finanzielle Selbständigkeit politisch aufgewerteter Einheiten sichern müssen. Wer sich über dem Stand der Debatte um den deutschen Föderalismus, seine Reformfähigkeit und die Reformvorschläge orientieren will, findet in diesem Buch eine wertvolle Hilfe.
Siegfried Weichlein, Freiburg (Schweiz)