ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Stiller, Eike (Hrsg.), Literatur zur Geschichte des Arbeitersports in Deutschland von 1892 bis 2005. Eine Bibliographie. Trafo Verlag, Berlin 2006, 333 S., geb., 39,90 €.

Verfolgt - verboten - verdrängt - vergessen: so könnte man plakativ die Geschichte der Arbeitersportbewegung in Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 beschreiben. Die Geschichte dieser in den 1920er Jahren zu einer Massenorganisation herausgewachsenen Sport- und Kulturorganisation wird durch die Bibliografie zur Geschichte der Arbeitersportbewegung wieder in Erinnerung gerufen.

Bibliografien sind wichtige Arbeitsmittel für die Wissenschaft. Sie erleichtern den Zugriff auf Fachliteratur im Rahmen studentischer Seminar- und Examensarbeiten, aber auch für die akademische Lehre und die wissenschaftliche Forschung sind sie sehr hilfreich. Die hier vorliegende Bibliografie zur Geschichte des Arbeitersports geht jedoch weit über eine ,normale' Bibliografie hinaus, da sie nicht nur die Literatur über die Geschichte des Arbeitersports - die sogenannte Sekundärliteratur - erschließt und zusammenstellt, sondern darüber hinaus auch die zeitgenössischen ,,Publikationen und Lehrbücher des ATB/ATSB aus dem ,,Arbeiter-Turnverlag Leipzig" und die ,,Arbeitersportzeitungen" nachweist, sowie einen Überblick über ,,Archive, Sammlungen, Bibliotheken und internationale Organisationen der Arbeitersportbewegung" gibt. In einem umfangreichen Bildanhang können die Leserinnen und Leser einen Eindruck von der Gestaltung und den Motiven von Zeitschriften-Cover und Plakaten, Abzeichen, Ansichtskarten und Urkunden gewinnen.

Nach der Aufhebung der Sozialistengesetze gründete sich am 21./22. Mai 1893 der Arbeiter-Turnerbund (ATB), der sich im Jahre 1919 in Arbeiter-, Turn- und Sportbund (ATSB) umbenannte. Neben dem ATB/ATSB gab es noch verschiedene weitere Arbeitersportorganisationen wie u.a. den Arbeiter-Schwimmverband, den Arbeiter-Athletenbund, den Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität. Alle diese Arbeitersportorganisationen hatten sich bereits im Jahre 1912 in der Zentralkommission für Sport und Körperpflege (ZK) zusammengeschlossen. Die Arbeitersportorganisationen verstanden sich als Interessenvertretungen der Arbeiterklasse - im bewussten Gegensatz zu den bürgerlichen Turn- und Sportverbänden wie u.a. der Deutschen Turnerschaft (DT), dem Deutschen Fußballbund (DFB), dem Deutschen Schwimmverband (DSV). Mit über 700.000 Mitgliedern in ca. 700 Vereinen zählte der ATSB Ende der 1920er Jahren zu den Großorganisationen in der deutschen Turn- und Sportbewegung und innerhalb der Arbeiterkulturbewegung. Organisiert war der ATSB in Bezirken und Kreisen.

Aus dieser Vielfalt der Sportorganisationen innerhalb der Arbeitersportbewegung und der regionalen Gliederung erklärt sich die Vielfalt der Arbeitersportzeitungen (S. 29-72). In Anbetracht der Fülle an Arbeitersportzeitungen ist es hilfreich, dass Stiller neben dem Titel der Zeitung, Redakteure bzw. Herausgeber, Erscheinungszeitraum und -ort aufführt und - soweit ermittelbar - den Fundort der Zeitung nennt. Insbesondere der Fundortnachweis erleichtert die weitere Recherche für den Nutzer ungemein. Die zentrale Anlaufstelle für die Einsicht in Arbeitersportzeitungen ist die Friedrich-Ebert-Stiftung/Bonn - für Kenner der Materie keine Überraschung -, sowie das Sportmuseum Leipzig. Leider fehlt im Inhaltsverzeichnis der Verweis auf die ,,Rotsport-Zeitungen" (S. 45-49), die ,,KPD-orientierten Oppositionszeitungen" (S. 49), die ,,SASI/ATUS/ASKÖ/SATUS-Zeitungen" (S. 50-57), die ,,Naturfreunde-Zeitungen" (S. 57-62), die ,,Arbeiterkultur-Zeitungen" (S. 63-70) und die SASI-Zeitungen/Mitteilungen" (S. 70-72).

Die Zusammenstellung der ,,Publikationen und Lehrbücher des ATB/ATSB aus dem Arbeiter-Turnverlag Leipzig" gibt einen eindrucksvollen Überblick über die Themenvielfalt der Arbeitshilfen und Handreichungen, die den Übungsleitern in den Vereinen für die tägliche Vereinsarbeit zur Verfügung standen.

Die ,,Literatur zum Arbeitersport" (S. 73-287) ist thematisch und chronologisch geordnet und bietet einen Mix aus weiteren zeitgenössischen Quellen und Sekundärliteratur. Zeitgenössische Quellen in Form von Festschriften, Programmheften, Festführern etc. finden sich in den Kapitel ,,1. ATB-/ATSB-/ASKÖ-/ATUS-/SATUS-/SASI-Turn- und Sportfeste/Arbeiter-Olympiaden" (S. 73-84) sowie ,,2. ATB/ATSB/ATUS/ZK-Vereins-Festschriften" (S. 84-97). Das Ortsregister im Anhang ist dabei eine wertvolle Hilfe für den Benutzer, schnell die Festschrift ,,seines" Vereins zu finden. Im Kapitel ,,3. Veröffentlichungen zum Arbeitersport (vor 1945)" (S. 97-123) hat der Autor mit Adressenverzeichnissen, Jahrbüchern, Turntagsprotokollen, Tätigkeitsberichten, Statuten und Satzungen, Regelbüchern und Wettkampf-Bestimmungen sowie weiteren Lehrbüchern umfangreiche zeitgenössische Quellen zusammengestellt und - soweit auch hier ermittelbar - den Fundort samt Signatur aufgeführt. Gerade diese drei Kapitel sind eine wahre Fundgrube für weitere lokal- und regionalhistorische Untersuchungen.

Den umfangreichsten Teil der Bibliografie nimmt die Übersicht über die ,,Veröffentlichungen zum Arbeitersport (nach 1945)" (S. 124-203) mit nahezu einem Viertel des Gesamtumfanges des Buches ein. In alphabetischer Reihenfolge hat Stiller in mühevoller Kleinarbeit und zeitaufwändigen Recherchen die Literatur, die sich mit dem Thema des Arbeitersports befasst, zusammengetragen. Auch wenn nicht immer direkt aus dem Titel der unmittelbare Bezug zum Arbeitersport erkennbar ist, hat der Autor sie in seine Bibliografie aufgenommen und durch detaillierte Hinweise und Angabe der betreffenden Seitenzahlen auf die in der Publikation enthaltenen Passagen zum Arbeitersport verwiesen. So findet der Nutzer viele wertvolle Hinweise gerade zur Geschichte einzelner Arbeitersportvereine, die in allgemeinhistorischen lokalen und regionalen Untersuchungen nicht auf den ersten Blick zu vermuten sind. In Anbetracht der Fülle an Publikationen zum Arbeitersport ist es nachzuvollziehen, dass Stiller die Zeit - und vielleicht auch die Kraft - gefehlt hat, alle diese ,,Literatur zum Arbeitersport" noch thematisch zu ordnen, wie es der Rezensent in seiner Bibliografie zum ,,Sport im Nationalsozialismus" (1) gemacht hat. Die Systematisierung der Literatur nach Themenfeldern ist nicht ohne Tücken und wirft in vielen Fällen Probleme in der gewählten Systematik und der anschließenden Zuordnung der einzelnen Publikationen auf - und bietet damit manche Ansatzpunkte für Kritik. Wer sich jedoch die Mühe macht, die von Stiller recherchierte und zusammengestellte Literatur zum Arbeitersport durchzuschauen, wird überrascht sein, welche breite Themenvielfalt durch die bisherigen Publikationen bereits abgedeckt ist und wie viele Untersuchungen insbesondere zur Geschichte einzelner Arbeitersportvereine bereits vorliegen.

In der akademischen Lehre und Forschung hat das Thema ,,Arbeitersport und Arbeiterkulturbewegung" offensichtlich lange Zeit einen hohen Stellenwert gehabt - und das nicht nur in der DDR. Anders ist die enorme Zahl an ,,Examens-, Diplomarbeiten und Dissertationen" zum Thema nicht zu erklären (S. 203-225).

Die Arbeitersportbewegung hat sich immer als ein wesentlicher Teil der Arbeiterkulturbewegung verstanden. Diesem Selbstverständnis trägt Stiller Rechnung, indem er auch Literatur z. B. zum Arbeiter-Theater-Bund, zur Arbeiterwohlfahrt und zum Proletarischen Freidenker-Verband aufnimmt. Insgesamt gliedert Stiller seine Publikation unter 34 (!) Aspekten. In seinem letzten Kapitel informiert Stiller über ,,Archive, Sammlungen, Bibliotheken und Internationale Organisationen der Arbeitersportbewegung" (S. 188-293).

Auch wenn in letzter Zeit vereinzelt versucht wird, die Arbeitersportbewegung in ihrer historischen Bedeutung zu marginalisieren, in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens hat die sie wichtige Akzente für die Entwicklung des Sports in Deutschland gesetzt. Nicht zuletzt dadurch, dass sie vor allem Mitgliedern der Arbeiterklasse überhaupt erst den Zugang zu körperlichen Aktivitäten ermöglicht hat. Das Prinzip einer ganzheitlichen Erziehung und Bildung war das oberste Gebot der Arbeitersportbewegung.

In den letzten Jahren ist die ,,Geschichte des Arbeitersports" in der sporthistorischen Forschung in den Hintergrund gedrängt worden. Vielleicht kann die hier vorliegende umfassende Bibliografie neue Impulse in der sporthistorischen Lehre und Forschung setzen.

Lorenz Peiffer, Westerstede


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | 12. März 2007