Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Thoralf Klein/Frank Schumacher (Hrsg.), Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburger Edition, Hamburg 2006, 369 S., geb., 35,00 €.
Was der genaue Gegenstand dieses Bandes ist, ist alles andere als klar und so gehen die beiden Erfurter Historiker als Herausgeber denn auch pragmatisch vor und begnügen sich mit einem Frageraster an die Autoren ihres Bandes: Bedingungen und Verlauf, ,,Gesicht" des Krieges, Diskurs über den Krieg, Erinnerung an den Krieg. Asymmetrische Kriege? Selbstverständlich, aber das reicht nicht. Kriege zur Befestigung formeller kolonialer Herrschaft? Übersee? Imperialismus? Zivilisationsmissionen? Alles dies mag hier oder da zugetroffen haben, aber es reicht nicht. So bleibt der durch die Fragen angedeutete kulturhistorische Ansatz.
Auch Dierk Walters großflächiger Aufsatz ,,Warum Kolonialkrieg?" vermag eher Emphase auf die Wichtigkeit des Themas zu erzeugen und eine Fülle von Parametern zu benennen als Klarheit zu schaffen. ,,Der Kolonialismus" taucht dann auch verschiedentlich auf, wo es sich eher um unbestreitbare Merkmale eines ansonsten eher vagen Phänomens handelt. Ob die koloniale Herrschafts- und Gesellschaftsordnung ,,vor allem in Siedlerkolonien" ,,strukturell latent genozidal" war (S. 39), lässt sich gerade trotz dieser Vagheit bezweifeln, auch wenn etwa Michael Hochgeschwender später das ,,Massaker" als konstitutiv für Kolonialkonflikte herausarbeitet. Wohl aber lässt sich bei dem Fokus des Bandes zurecht fragen, ob die angeblich staatlichen und symmetrischen Kriege des ,,westfälischen Systems" nicht eher die welthistorische Ausnahme darstellten. Dann sind Kolonialkriege also ,,Normalkriege"?
Das ist keine Kritik an der Qualität des Bandes. Informative Fallstudien sind anzuzeigen, die zeitlich von den Indianerkriegen im Westen der USA (Hochgeschwender) bis zum Algerienkrieg (Daniel Mollenhauer) reichen. Längere Verlaufskriege und kürzere Kriegsakte stehen also gegenüber, der Krieg zwischen Buren und Briten war ein Krieg zwischen Weißen, dem Cord Eberspächer mehrfach die Komponente afrikanischer Träger und Hilfstruppen hinzufügt - was aber am Gesamtcharakter nichts änderte. Japans Aggression gegen China von 1931 bis 1945 war ein asiatischer Krieg zwischen Nicht-Weißen. Was bei dem innovativen Aufsatz von Reinhard Zöllner allerdings zum Titel ,,Ein asiatischer Holocaust?" führte, bleibt lange offen: Das Nanking-Massaker 1937 war ein Massenmord, ein ,,einzigartiges Massaker", Züge von B- und C-Kriegführung sind noch wenig bekannt. Aber erstmals fällt der Begriff als Furcht vor dem Bombardement japanischer Städte - und im Schluss werden der Holocaust von Hiroshima und Nagasaki benannt. Gehen da nicht ziemlich alle herkömmlichen Begriffe durcheinander? Hat sich weltweit der jüdischer religiöser Opferung entstammende Begriff für den Genozid an den europäischen Juden durchgesetzt, so sucht Zöllner diesen Begriff auf eine Ursprungsbedeutung des Massenbrandes von Menschen zurückzuführen, bei dem man wohl zu schnell bei Jörg Friedrich landet; das will der Autor aber wohl kaum: Luftkrieg als Brandopfer.
Besonders instruktiv ist Thomas Morlangs Schilderung des deutschen Krieges in Ostafrika gegen die Hehe 1890 bis 1898 - kaum bislang bei uns beschrieben. Susanne Kuss zeichnet demgegenüber im Verlauf die wohl bekannten deutschen Kolonialkriege in Südwest- wie in Ostafrika im folgenden Jahrzehnt nach. Sehr zu begrüßen ist es, wenn Ulrich Mücke den spanischen Krieg in Marokko von 1921-1927 auslotet (aber von der französischen Seite kaum etwas berichtet), während Giulia Brogini Künzi zum italienischen Krieg in Ostafrika 1935/36 trotz ihres gleichzeitig erschienenen Buches zum Thema kaum Anschauliches oder gar Kategoriales beitragen kann. Mollenhauers Beitrag zum Algerienkrieg 1954 bis 1962 fördert dagegen wieder viel Unbekanntes im einzigen ,,Kolonialkrieg" nach dem Zweiten Weltkrieg zutage. Gerade hier wird man bei künftigen Forschungen für andere Teile Afrikas und Asiens, aber wohl auch anderer Weltregionen noch sehr viel mehr zutage fördern.
Die beiden Herausgeber sind mit ihren eigenen Aufsätzen einzubeziehen: zum US-Kolonialkrieg auf den Philippinen trägt Frank Schumacher einige wesentliche Akzente bei, welche den antikolonialen US-Anspruch wesentlich relativieren, während Thoralf Klein der in manchem singulären multilateralen europäischen Boxerexpedition 1900/01 nachgeht, die in letzter Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln größere Aufmerksamkeit gefunden hat.
Angesichts des behaupteten neuen Untersuchungsfeldes Kolonialkrieg lässt sich die zeitliche Begrenzung dieses Versuches bezweifeln, aber auch die Konstruktion als systematische Kategorie im Vergleich zu vielen anderen kriegerischen Konflikten oder Ereignissen kollektiver Gewalt außerhalb der Metropolgebiete. Dennoch ist ein überaus anregender Band entstanden, der seine Qualität vor allem aus den gut gearbeiteten (und somit nicht allen) Fallstudien bezieht. Die Erscheinung von wie auch immer gearteter Kollaboration mit den Kolonisierern taucht häufig auf, was aber zugleich das Phänomen des Überlaufens zu den Gegnern der Kolonisierer aufwirft. Das lässt die harte dichotomische Grenze gelegentlich verschwinden und bedürfte weiterer Untersuchung.
Unterschiede zwischen kolonialer Eroberung, kolonialer Durchsetzung und Unterdrückung antikolonialer Befreiungsbestrebungen werden immer wieder benannt, obwohl ebenso deutlich wird, dass die Frontstellungen, Ziele und Motivationen oft viel komplexer sind und sowohl mit den der Kolonisierung unterliegenden Gesellschaften (oft mehreren Ethnien etc.) zusammen hängen. Autoren wie Frederic Cooper oder Wm. Roger Louis haben neben vielen anderen im allgemeinen die koloniale Situation oder coloniality zu einem sehr vielfältigen Interaktionsgeflecht aufgelöst, das vermutlich auch in Kriegen stärker zu berücksichtigen wäre. Aber gerade hier leisten viele Autoren des Bandes Beachtliches an Erfassung derartiger indigener Strukturen und Motive, die zumindest im deutschen Sprachbereich so noch nicht bekannt waren.
Ein anderer Fokus, der auf die Nachwirkungen und Erinnerungskulturen, bietet gleichfalls ein zumeist gut eingelöstes Aufgabengebiet. Insbesondere gefällt die Einbeziehung moderner, Mythen stiftender Medien wie der Spielfilme auf Seiten der Kolonialherren. Hier wird deutlich, welche riesigen Aufgaben wissenschaftlicher Geschichte zur Rekonstruktion harren, wie wichtig aber auch die Erinnerungsgeschichte an Kriege ist. Dass die Seite der Kolonisierten im Erinnerungsdiskurs eher schwächer herausgearbeitet wird, ist zu bedauern, hängt aber allein am Forschungsstand.
Fazit: sehr viel neue, innovative Quellenarbeit fügt sich in die pragmatisch formulierten Fragen der Herausgeber ein und fördert hierzulande wenig Bekanntes zutage. Er bringt die Forschung somit deutlich weiter, gerade den bisweilen deutlichen deutschen Provinzialismus, der allerdings von etlichen Tagungen und Sammelbänden vergleichbarer Art im letzten Jahrzehnt schon aufgebrochen ist. Ob die Grundkategorie taugt, sollte sich im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen zeigen.
Jost Dülffer, Köln