Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Josef Kreiner (Hrsg.), Der russisch-japanische Krieg (1904/05), Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2005, 186 S., kart., 38,90 €.
Vor seiner militärischen Eskalation verglich die Presse des beginnenden 20. Jahrhunderts den heraufziehenden Konflikt zwischen dem zarischen und dem japanischen Kaiserreich mit dem ungleichen Kampf eines kraftstrotzenden Bernhardiners gegen einen aufmüpfigen Mops. (1) Nach dem Fiasko der zarischen Land- und Seestreitkräfte 1904/05 ist das Bild eines vor der aufgehenden Sonne Japans taumelnden russischen Bären haften geblieben. Der für westliche Beobachter zu Beginn des letzten Jahrhunderts unerwartete Ausgang des Streits um die regionale Vorherrschaft an den nordöstlichen Küsten Asiens hat den Bären wiederholt zum Thema der politischen Geschichte werden lassen. Denn bevor der Erste Weltkrieg diesen Eindruck überlagerte, galt der Konflikt von 1904/05 als das Ende des 19. Jahrhunderts, ja als weltgeschichtliche Zäsur - hatte doch erstmals eine etablierte Großmacht nicht lediglich ein Gefecht, sondern einen ganzen Krieg gegen einen ,außereuropäischen' Gegner verloren. Entsprechend stimulierend haben die japanischen Siege von Tsushima oder Mukden weltweit auf koloniale Befreiungsbewegungen gewirkt. Dass mit dem im amerikanischen Portsmouth geschlossenen Friedensvertrag ein Kompromiss gefunden und kein eindeutiger Sieger gekürt wurde, weil beide Gegner finanziell und militärisch ausgezehrt waren, hat die symbolische Wirkung ebenso wenig beeinträchtigt, wie die Tatsache, dass Japan schon vor dem Krieg nicht nur die Rüstungstechnik, sondern auch die imperialistischen Ambitionen westlicher Großmächte übernommen hatte.
In deutscher Sprache liegt bislang keine wissenschaftliche Darstellung des russisch-japanischen Kriegs vor, so dass eine Annäherung an das Thema mit den disparaten Methoden einer Aufsatzsammlung begrüßenswert ist. Der Band vereint die mehr oder weniger überarbeiteten Vorträge eines Symposiums, auf dem Anfang 2005 Osteuropa- und Politikhistoriker mit Japanologen zusammengekommen waren. Wie meist bei solchen der Interdisziplinarität verpflichteten Treffen ist daraus keine Synthese, sondern ein Mosaik von Teilgeschichten entstanden. Eine Einleitung fehlt, die Informationen entsprechend bündeln, Redundanzen abbauen und Lücken hätte füllen können. Einen roten Faden bilden allein die militärischen, diplomatischen und politischen Ereignisse von 1904/05, die in mehreren Aufsätzen und einer Datentabelle zusammengefasst werden. Ein Ausblick auf das spätere 20. Jahrhundert mit dem zweiten russisch-japanischen Krieg fehlt; ausführlich wird die Rivalität zwischen den beiden Ländern nur in die internationale Politik von 1890-1910 eingeordnet. Dies übernehmen der britische Japanhistoriker Ian Nish und der Bonner Historiker Klaus Hildebrand. Ausführlich werden sowohl das militärische Kräfteverhältnis, der Kriegsverlauf und die Friedensverhandlungen als auch der Interessensgegensatz und -ausgleich in der Mandschurei bzw. in Korea zusammengefasst, die als imperiale Einflusssphären beansprucht wurden. Diese beiden Länder, nicht Russland, waren die eigentlichen Verlierer und Leidtragenden des Krieges. Sie finden allerdings in dem Sammelband nur marginale Beachtung wie auch eine weitere ambitionierte Macht der Region, die USA, unter deren Vermittlung der Friede von Portsmouth ausgehandelt wurde. Ein eigener Beitrag ist dagegen Großbritannien gewidmet, dem japanischen Bündnispartner von 1902, ohne dessen Unterstützung das ostasiatische Inselreich den Krieg gegen den großen Nachbarn im Westen nicht gewagt hätte. Dies gilt als Beleg für die außenpolitische Reifung Japans, die ihren Abschluss in den Jahren vor dem Weltkrieg mit einer geschickt ausgehandelten Annährung an Russland und die englisch-französische Allianz fand (hierzu die Beiträge von Benedikt Stuchtey und Christian Oberländer). So entsteht insgesamt ein ausführliches, aber letztlich oberflächliches Bild von den Machtverhältnissen in Ostasien, das eine Analyse nicht ersetzen kann, wie sie vor gut drei Jahrzehnten Dietrich Geyer geleistet hat. (2)
Den vier Beiträgen, die sich um ein genaueres Porträt der Kriegsgegner bemühen und nach den Wurzeln des Konflikts fragen, wird damit mehr an Erklärungskraft abverlangt als sie leisten können. Jeweils ein Überblicksaufsatz untersucht den historischen Hintergrund (Josef Kreiner für Japan, Dittmar Dahlmann für Russland), zwei weitere Aufsätze greifen einen Einzelaspekt heraus: den Zusammenhang von Industrialisierung und Rüstungspolitik in Japan (Günter Distelrath), bzw. eine so verhängnisvolle wie überhebliche Geringschätzung des japanischen Gegners in der öffentlichen und offiziellen Meinung Russlands (Jan Kusber). Die Beiträge zu Japan spannen den Erklärungsrahmen weiter. Japan habe im ausgehenden 19. Jahrhundert, d.h. nach seiner ,Öffnung' durch die westlichen Mächte, eine konsequente Politik der revolutionären Erneuerung betrieben, zu der bald auch ein Expansionsprogramm gehörte. Der Krieg habe nicht nur die politische, militärische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des neuen Japan demonstriert, sondern auch einen neuen Nationalismus gebündelt, der einerseits die zurückliegenden Reformanstrengungen legitimierte, andererseits eine mobilisierende und einheitsstiftende Wirkung des Krieges erkennen ließ. Über Russland erfährt man dagegen kaum mehr als die Chronologie der ersten russischen Revolution, für die der in Russland unpopuläre Krieg mit Japan aber nur als Auslöser, nicht als Ursache gelten kann. Allein Kusber untersucht mit der strukturellen Handlungsschwäche der russischen Regierung einen Faktor im Detail.
Als Fazit des Bandes bleibt die Gegenüberstellung der Kriegsgegner und der erreichten Ziele. Der erzwungene Verzicht Russlands auf Korea und auf einen Teil seines Einflusses in der Mandschurei wog leichter als der entsprechende Macht- und Prestigezuwachs für Japan. Für das Zarenreich war der Krieg von 1904/05 nicht der Anfang vom Untergang, für Japan markierte er die Anerkennung als ebenbürtige Großmacht. Kein Beitrag zieht eine Parallele zwischen diesem Aufstieg Japans und der Geschichte Russlands seit 1700. Doch noch vor Japan hatte das Zarenreich eine Politik der anpassenden Modernisierung betrieben, um als gleichwertig von den Mächten Europas akzeptiert zu werden, ohne diesem Vorbild in Allem blind zu folgen. Die vergleichende Imperiumsforschung der letzten Jahre hat solche Fragen aufgegriffen und in den Kontext internationaler Politik gestellt. Hieran anzuknüpfen, wäre eine Möglichkeit gewesen, hinter die militärischen Ereignisse und über die beiden untersuchten Kriegsjahre hinaus zu dringen.
Andreas Renner, Köln
Fußnoten:
1 Entsprechend dem Wortpaar monarchisch/monarchistisch wird in der neueren Russlandhistoriographie vom zarischen statt wie bisher vom zaristischen genannten Russland gesprochen.
2 Dietrich Geyer, Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860-1914, Göttingen 1977.