Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Thüringer Landtag (Hrsg.), ,,Jetzt endlich können die Frauen Abgeordnete werden!". Thüringer Parlamentarierinnen und ihre Politik (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Bd. 20), Hain-Verlag, Erfurt und Weimar 2003, 256 S., brosch., 12,70 €.
Der Band enthält eine informative Darstellung der Beteiligung von Frauen am Thüringer Parlament seit 1919, als Frauen endlich Abgeordnete werden konnten (u.a. Marianne Weber). In der mehr als knappen Darstellung der Vorgeschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland wird durch die Autorin Theresa Wobbe - in Anlehnung an Gisela Bock - hervorgehoben, dass das Frauenwahlrecht nicht durch Bismarck von oben, sondern durch die revolutionären Ereignisse von unten verwirklicht wurde. Zwar verhalf der ,,Druck des revolutionären Umbruchs" (S. 20) 1919 dem Frauenwahlrecht zum Durchbruch, doch - auch das wird deutlich - nicht ohne den beharrlichen Einsatz der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die über Jahrzehnte den Boden bereitet hatten. Frauen trafen im Thüringer Landtag als Neuankömmlinge auf bereits lange existierende Arbeitszusammenhänge zwischen Männern. Die Leserin/der Leser erfährt einiges über die Zusammensetzung der Nationalversammlung und des Weimarer Reichstages. Die These, dass die ,,Annäherung, die zwischen der bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauenbewegung während des Krieges im Nationalen Frauendienst stattfand," den gemeinsamen Erfahrungshintergrund bildete, auf den sich die Parlamentarierinnen im Reichstag und in den Länderparlamenten beziehen konnten, lässt die Auseinandersetzung um die Kriegskredite und um eben die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung am NFD außer acht, die schließlich auch zur Spaltung der sozialdemokratischen Frauenbewegung führte.
In den ersten geschlechtergemischten Landtag nach Einführung des Frauenwahlrechts 1920 wurden sieben Frauen gewählt. Sie gehörten den Fraktionen der KPD (4), der SPD (2) und der DDP (1) an. Wie in den meisten Berichten aus dieser Zeit wird nicht vergessen, dass diese Frauen sich ausnahmslos auf den Gebieten der Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik betätigten. Nicht verwunderlich angesichts der Parteizugehörigkeit erscheint, dass sechs der Abgeordneten wegen ihrer antinationalsozialistischen Tätigkeit von den Nazis verfolgt wurden (S. 38 f.). Das rechtfertigt jedoch nicht, die Gleichschaltung bzw. Selbstauflösung konservativer Frauenverbände im NS-System und die Mittäterschaft von Frauen völlig auszublenden.
Lediglich aus Frank Boblenz' Aufsatz über die Pionierin der konservativen deutschen Frauenbewegung, Selma von Lengefeld (1963 -1934), kann man den fassbaren Einfluss der konservativen Frauenverbände erahnen. Selbst war Selma von Lengefeld nicht Abgeordnete, gehörte jedoch der Nationalliberalen Partei an, war Schatzmeisterin und Mitglied des Propagandaausschusses der Frauen und hatte sich als Befürworterin des Ersten Weltkrieges in der Vaterländischen Gesellschaft in Thüringen einen Namen gemacht (S. 119 ff.). Gegen Ende des Krieges setzte sie sich für das Frauenwahlrecht ein und sorgte dafür, dass Gertrud Bäumer, die den Bund Deutscher Frauenvereine repräsentierte, für die DDP in die Nationalversammlung gewählt wurde.
Von den ausgewählten Parlamentarierinnen im Thüringer Landtag aus den Phasen 1920 bis 1933 und 1946 bis 1952, die Heike Stange vorstellt, wurden ausnahmslos alle im NS-Regime verfolgt: Das reichte vom Berufsverbot über Verhaftungen bis zu Konzentrationslagerhaft. Die Zäsur von 1952 erklärt sich durch die Auflösung der Länder und Landtage in diesem Jahr. Wohl deshalb unterbleibt eine Bewertung der parlamentarischen Vertretungen in der DDR und die Rolle, die Frauen in den Bezirksparlamenten in Thüringen gespielt haben durch die Autorin. Theresa Wobbes Aufsatz über die Schriftstellerin Ricarda Huch, die 1946 Alterspräsidentin im Thüringer Landtag war, gibt einen guten Überblick über Leben und Wirken dieser bemerkenswerten Frau, die bereits 1946 die Ostzone verlassen hat, um über Berlin nach Frankfurt/M. zu fliehen; eine Reise, von der sie sich nicht mehr erholen sollte.
Das Buch enthält neben den wissenschaftlichen Beiträgen verschiedene zeitgeschichtlich wichtige Dokumente. Zu erwähnen ist besonders eine Denkschrift von 1917, die der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) und verschiedene andere Frauenvereine an den Landtag des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach übersandten zur ,,Stellung der Frau in der politisch-sozialen Neugestaltung Deutschlands". Aus ihr geht hervor, dass sich zu dieser Wendezeit auch in Mitteldeutschland konservative Frauenverbände für mehr Frauenrechte einsetzten. Dokumentiert wird auch das durch die Grünen eingebrachte Thüringerische Gleichstellungsgesetz von 1994, das zunächst scheiterte und erst im November 1998 von der SPD-CDU-Koalitionsregierung vorgeschlagen und dann angenommen wurde. Eine Dokumentation der weiblichen Abgeordneten nach Wahlperioden, eine kleine Chronik von Debatten, an denen mehrere Parlamentarierinnen beteiligt waren, verbunden mit statistischen Angaben zu den Politikerinnen und zahlreiche Bilder und Zeichnungen vervollständigen den Band, dem leider ein Personenregister fehlt.
Gisela Notz, Bonn