ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens ist in den Geistes- und Kulturwissenschaften der Nachfolgerepubliken eine verstärkte Tendenz zur nachträglichen Legitimierung der neuen, bzw. wieder erlangten Nationalstaatlichkeit festzustellen. Besonders exponiert, man möchte schon fast sagen klassisch, ist die Rolle der Geschichtswissenschaften in diesem Prozess.

Auch die kroatische Historiografie orientiert sich verstärkt an solchen Themenfeldern, wiewohl diese Orientierung auch im jugoslawischen Staat nie ganz aufgegeben wurde. (1)

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem sogenannten ,,Unabhängigen Staat Kroatien" [im folgenden ,,USK", K.S.], der zwischen 1941 und 1945 mit vor allem deutscher Unterstützung sein Dasein fristete, war dagegen immer ein Politikum und seine Analyse erfolgte (fast) immer vor der Folie des Partisanenkampfes und/oder der Kollaboration. (2)

Aber auch in der internationalen Faschismus-Forschung sucht man vergebens nach anspruchsvollen, und vor allem auch theoretisch innovativen Arbeiten zum USK. (3) Die in Kroatien publizierten Analysen sind zwar in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden, von einer durchweg nach wissenschaftlichen Kriterien operierenden Auseinandersetzung kann man aber nur bedingt sprechen. (4)

Die beiden hier rezensierten Untersuchungen genügen (mit Abstrichen für die zweite Studie) wissenschaftlichen Ansprüchen, inhaltlich und methodologisch sind sie dennoch in vielen Punkten beispielhaft für den intellektuellen Diskurs innerhalb der kroatischen wissenschaftlichen, aber auch vor allem politischen Öffentlichkeit.

Die diplomatischen und innenpolitischen Beziehungen und Verwerfungen zwischen den italienischen Faschisten und den kroatischen Machthabern stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Nada Kišić-Kolanović. Als ehemals wichtigstem Verbündeten der Ustaša-Bewegung in der Zeit des politischen Exils, erwies sich die weitere politische Zusammenarbeit mit dem faschistischen Italien als ein Dauerkonflikt im Streit um Dalmatien und Istrien, aber auch um die Herrschaftspraxis der italienischen Truppen in Kroatien. Genau hierin liegt auch die eigentliche Stärke des Buches: Die Autorin vermag es, auf der Grundlage umfassender Quellenarbeit, den Versuch der territorialen Exploitation des USK durch die italienische Administration nachzuzeichnen und die politische Beschränktheit des Usta_a-Staates zu dokumentieren - auch wenn das sicherlich nicht das primäre Erkenntnisinteresse der Studie war. Sinnbildlich für diese mangelnde, bzw. nicht vorhandene innen- und außenpolitische Manövrierfähigkeit des faschistischen kroatischen Staates ist der Abschluss der Römischen Protokolle am 18. Mai 1941. Neben dem gesamten Küstenstreifen von Zadar bis Split fielen auch sämtliche dalmatinischen Inseln Rom zu, insgesamt ein Territorium von etwa 5400 qkm (mit einer Bevölkerungszahl von 380.000, davon 280.000 Kroaten). (5) Der italienische Senator Francesco Salata brachte die politische Stimmung innerhalb der italienischen Faschisten auf den Punkt als er sagte: ,,Dalmatien, von Obrovac bis Kotor, gehört nicht zu Kroatien" (S. 52).

Die Radikalität italienischer Expansionsbestrebungen auf dem Gebiet des ,,Unabhängigen Staates Kroatien", so Kišić-Kolanović, müsse auch aus dem inferioren Verhältnis Roms zum Deutschen Reich erklärt werden, wollte man doch auf italienischer Seite die Einflussnahme Berlins in der Adria-Region möglichst gering halten, um die eigene Vormachtstellung zu bewahren (S. 157-163). Dass dies nicht gelang und auch die Versuche von Pavelić, diesen Konflikt innerhalb der faschistischen Großmächte für die kroatischen Interessen auszunutzen, scheiterten, belegt nur mehr die chaotische Verfasstheit des USK und seine innen- und außenpolitische Handlungsunfähigkeit.

Dem wenig innovativen Faschismusbegriff (Kišić-Kolanović orientiert sich hier noch sehr stark an Ernst Nolte und begreift den USK auch nicht als ,,faschistisch", vgl. S. 56-60) dieser Studie geschuldet ist aber vor allem eine, an diesem Problemkomplex einsetzende, verzerrte Beurteilung der innenpolitischen Gewaltexzesse, die sich in massiven Übergriffen auf die Zivilbevölkerung manifestierten. Leider hat die Autorin keine Notiz von der neueren Theoriediskussion innerhalb der internationalen Faschismusforschung genommen, so dass ihr die Stetigkeit der italienischen Gewaltakte als bloße ,,Undiszipliniertheiten der italienischen Armee" (S. 185 f.) erscheinen und nicht als typisch faschistische Praxis. (6) Die mangelnde Sanktionsfähigkeit durch die kroatischen Behörden kann daher nicht nur ausschließlich aus ihrer faktischen Machtlosigkeit erklärt werden, sondern muss auch das Selbstverständnis der Usta_a-Einheiten ins Blickfeld nehmen, die sich ebenfalls durch eine unbedingte Gewaltbereitschaft auszeichneten und diese faschistische Praxis auch alltäglich dokumentierten. (7) Allerdings werden die kroatischen Gewaltverbrechen in dieser Studie nur kursorisch behandelt, was zu einer verzerrten Schilderung der innenpolitischen Situation führt. Ihre Stärken hat die Untersuchung dagegen vor allem dann, wenn sie sich eher narrativ bestimmten Themenfeldern nähert, wie etwa der dramatischen Versorgungslage im USK (S. 250-255) oder der italienischen, aber auch kroatischen Zusammenarbeit mit den Četnik-Verbänden (S. 256-291). Insgesamt, so kann man bilanzieren, ist diese Studie vor allem wegen ihrer Grundlagenarbeit nützlich - eine theoretisch anregende Analyse der Beziehungen zwischen einer faschistischen Großmacht und eines peripheren Adapten kann sie aber nicht bieten.

Demgegenüber argumentiert der Zagreber Historiker Jure Kri_to in seiner auf die Innenpolitik des Usta_a-Regimes fokussierten Analyse vor allem vor der Folie von Handlungsspielräumen und Handlungsweisen unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure. Insbesondere die Rolle der katholischen Kirche Kroatiens und des Zagreber Erzbischofs Alois Stepinac steht im Mittelpunkt seiner Ausführungen. Aber auch die Beziehungen der starken serbischen Minderheit und der kommunistisch orientierten Partisanenbewegung zum neuen kroatischen Staat werden thematisiert. Den seit der Unabhängigkeit Kroatiens Anfang der 1990er Jahre geführten Diskurs über den völkerrechtlichen Status des USK aufgreifend, erweist sich für Jure Kri_to vor allem die Frage nach dem Grad der Unterstützung einer kroatischen Unabhängigkeit durch die kroatische Bevölkerung als entscheidend für die weitergehende Bewertung des USK.

Die wissenschaftliche Problematik dieser Studie erschließt sich daher vor allem aus ihrer durchgehend erkennbaren politischen Intention - der Autor ist primär darum bemüht, den Nachweis der Legitimität für einen Staat zu führen, der lediglich von den Achsenmächten und deren Verbündeten anerkannt wurde und Zeit seines Bestehens de facto unter deutscher und italienischer Superiorität stand. (8) Dahinter steht nicht zuletzt die dezidierte Absicht, die Rolle des kroatischen Klerus in klarer Abgrenzung zu den sehr negativen und pejorativen Beurteilungen durch die jugoslawische und serbische Historiografie neu zu bewerten. So wünschenswert eine kritische Auseinandersetzung mit solchen stereotypisierten Darstellungen ist, so problematisch ist aber auch ihre Umkehrung in bloßen Revisionismus. Wie unbefriedigend eine primär vom nationalpolitischen Gesichtspunkt aus argumentierende Analyse sein kann, offenbart sich schon zu Beginn der Studie. Die Proklamation des kroatischen Staates am 10. April 1941 wird vom Autor durchaus als Plebiszit der kroatischen Bevölkerung interpretiert (S. 15), gegenteilige Annahmen dagegen pauschal als ,,kommunistische (jugoslawische) Propaganda" (ebd.) disqualifiziert. So richtig auch die Beobachtung einer großen Unzufriedenheit der Kroaten mit dem ersten jugoslawischen Staat ist (S. 19 ff.), eine Zwangsläufigkeit der Entwicklung hin zum kroatischen Nationalstaat zu konstruieren stellt eine starke Verzerrung der Faktenlage dar. (9)

Die Auseinandersetzung mit der Rolle des kroatischen Klerus im Usta_a-Staat bildet den Hauptteil der Studie. Eine historisch besonders umstrittene Person ist dabei der Zagreber Erzbischof Alois Stepinac. In der jugoslawischen, aber auch der neueren serbischen Historiografie fällt die Bewertung seiner Tätigkeit sehr negativ aus und mündet im Vorwurf der ,,Kollaboration mit dem Volksfeind". (10) Unter kroatischen Historikern, und insbesondere unter den Religionswissenschaftlern hingegen überwiegen hagiografische Darstellungen, die vor allem sein Engagement für politisch und religiös Verfolgte des Regimes betonen. (11) Aus einer ähnlichen Position heraus argumentiert auch Kri_to, ohne dabei vollends in eine unreflektierte Heldengeschichte abzugleiten. Natürlich habe der kroatische Klerus die Errichtung eines unabhängigen Kroatien unterstützt, spiegelte dies doch das kroatische ,,Volksempfinden" (S. 95) wieder. Zu einer ideologischen Zusammenarbeit mit den Usta_a-Behörden sei es aber nur in vereinzelten Fällen gekommen und dies auch hauptsächlich nur im niederen Klerus (S. 98-104). Auch hier wird die berechtigte Kritik am überwiegend passiven Verhalten der kroatischen Geistlichen mit dem Vorwurf ,,projugoslawische[r] und antikatholische[r]" (S. 97 f.) Tendenzen abgewiesen. Ein weiteres Beispiel politisch motivierter Argumentationsmuster ist das im dritten Kapitel behandelte Thema der orthodoxen Bevölkerung in Kroatien. Im Unterkapitel mit der Überschrift ,,Wer hat zuerst angefangen" [!] (S. 118) versucht der Autor tatsächlich eine Verantwortungsskala für die chaotischen und gewalttätigen Verhältnisse im kroatischen Staat zu erarbeiten, um letztlich doch zur Erkenntnis zu gelangen, dass die Verhältnisse zu verworren waren, um diese Frage abschließend klären zu können (S. 126-133). Auch einige weitere Äußerungen des Autors zeugen nicht gerade von Fingerspitzengefühl. So werden im sechsten Kapitel die Judenverfolgungen im USK zwar thematisiert, doch wird die politische Verantwortung der kroatischen Behörden stark relativiert, indem auf die Gesamtsituation der europäischen Juden verwiesen wird (S. 269-271).

Diese Studie ist allerdings nicht nur aufgrund ihrer politischen Botschaft problematisch, auch methodisch leistet sich der Autor gravierende Schwächen. So werden im Kapitel zum kommunistischen Aufstand in Kroatien (S. 365-394) hauptsächlich kirchliche Quellen herangezogen, um die Beziehungen zwischen Kommunisten und katholischer Kirche zu beleuchten. Auch der Gesamteindruck der Studie vermittelt eine recht einseitige (überwiegend kirchliche) Quellen- und Literaturbasis, so dass man allein aus diesem Grund nicht von einer ausgewogenen wissenschaftlichen Analyse sprechen kann.

Jede zukünftige Weiterbeschäftigung mit dem kroatischen Usta_a-Staat sollte daher, so kann man abschließend festhalten, ein Höchstmaß an Vorsicht und Distanz zu national motivierten Bewertungskriterien walten lassen, denn die Erforschung und Aufarbeitung dieses immer noch sehr sensiblen Themas kann nur dann zufriedenstellend erfolgen, wenn sauber zwischen Wissenschaft und tagespolitischer Opportunität getrennt wird. Die neuen, kulturgeschichtlich orientierten Ansätze in der Faschismusforschung halten genügend Möglichkeiten bereit, den Usta_a-Staat anhand bisher vernachlässigter Untersuchungsfelder wie etwa der Überhöhung charismatischer Herrschaft, des spezifisch faschistischen Politikstils, der letztlich in pure Gewaltherrschaft einmündet, und der spezifischen Rituale und Ästhetiken des Faschismus zu untersuchen.

Krunoslav Stojaković, Bielefeld


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | 22. Dezember 2006