ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Hans-Jürgen Lüsebrink (Hrsg.), Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, Wallstein Verlag, Göttingen 2006, 408 S., brosch., 48,00 €.

,,Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich Eins und doppelt bin"

Der vorliegende Band versammelt einen großen Teil der Vorträge, die auf einer Tagung mit dem gleichen Titel gehalten wurden - allerdings im Jahre 2001. (1) Die dadurch symbolisierte Ruhe der Erkenntnis geht in einer ganzen Reihe von Texten auf Kosten der Dialektik der Aufklärung.

Schon die beiden einführenden Beiträge machen das deutlich. Wenn Hans-Jürgen Lüsebrink in seinem Beitrag ,,Von der Faszination zur Wissenssystematisierung: die koloniale Welt im Diskurs der europäischen Aufklärung" (S. 9-18) einleitend die Frage stellt, was denn Aufklärung mit Kolonialismus, ,,Freiheit, Emanzipation, Wissen und Erkenntnis" mit ,,Eroberung, Gewalt und Unterwerfung" zu tun habe (S. 9), könnte dies den Verdacht erwecken, seine Überlegungen haben nicht bloß fünf Jahre abgehangen, sondern deutlich länger. Sein eindimensionaler Blick auf Henri Grégoire macht klar, dass hier ein komplexer Sachverhalt zu vereinfacht dargestellt wird. So unzweifelhaft die Verdienste Grégoires sind, so unverkennbar ist auch das repressive Moment seines toleranten Universalismus. (2) Ganz nebenbei hätte der Hinweis auf seine Unterstützung der ,,Wortergreifung der Kolonisierten" (S. 14) auch Gelegenheit geben können, auf die aufgeklärte Ambivalenz des Umgangs mit diesen hinzuweisen. Zu den von Grégoire hervorgehobenen ,,Negern, die sich in Wissenschaften und Künsten auszeichneten", gehörte nämlich auch Angelo Soliman. (3) Der ehemalige ,Hofmohr' hatte in Wien als angesehener Bürger gelebt und die Schwester eines Generals und Witwe eines gräflichen Sekretärs geheiratet. Zu Lebzeiten angesehenes Mitglied einer Freimaurerloge, zogen ihm seine aufgeklärten Freunde nach seinem Tod die Haut ab, stopften sie aus, dekorierten das Präparat mit Federkrone, Federgürtel, Muschelkette und Glasperlen und stellten die so als Wilden kenntlich gemachte Figur im k.k. Naturalienkabinett in Wien zusammen mit tropischen Tieren aus. (4)

Die posthume Verwandlung des ,edlen Mohren' in den ,primitiven Neger' demonstriert die Bandbreite aufgeklärten Umgangs mit den zu Rassen gemachten anderen. Wenn Jürgen Osterhammel seine Überlegungen zu den ,,Welten des Kolonialismus im Zeitalter der Aufklärung" (S. 19-36) mit der Bemerkung schließt, es sei ,,erstaunlich", ,,wie stark die Aufklärungskritik an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert die angebliche Mitverantwortung der philosophes für europäische Arroganz, koloniale Unterdrückung oder gar Rassismus unterstreicht" (S. 35), verdeutlicht schon die Rhetorik, dass der in der deutschen Diskussion nach wie vor ungenügend aufgearbeitete Zusammenhang von Aufklärung und Rassismus sich nicht zuletzt einer analytischen Verweigerungshaltung verdankt. Sie wird sich angesichts der internationalen Diskussion (5)nicht aufrechterhalten lassen. Außerdem wirkt sie, wie der vorliegende Band selbst demonstriert, auch methodisch nicht eben erkenntnisfördernd.

Ute Fendler und Susanne Greilich, die sich mit ,,Afrika in deutschen und französischen Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts" (S. 113-137) beschäftigen, interessieren sich dabei für Aussagen über Land und Leute und fragen, ,,welches Wissen über den afrikanischen Kontinent und seine Bewohner" vermittelt wurde. Anhand der ,,Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers" ( Jean Baptiste le Rond d'Alembert und Denis Diderot), der ,,Encyclopédie, ou dictionnaire universel raisonné des connoicances humaines" (Fortuné-Barthélemy de Félice), des ,,Grossen vollständigen Universal-Lexicons aller Wissenschaften und Künste" (Johann Heinrich Zedler) und des ,,Conversationslexikons mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten" (Gotthelf Löbel und Christian Wilhelm Franke; später Brockhaus) finden sie heraus, dass die Artikel ein negatives Afrikanerbild vermitteln was nicht hindert, dass es zur Frage der Sklaverei höchst ,,widersprüchliche Positionen" gibt (S. 119, 133).

Leider wird das zwar für die französischsprachigen, nicht aber für alle vier behandelten Lexika gleichermaßen verdeutlicht. Für Zedler etwa liegt der Skandal der Sklaverei überwiegend darin, dass ,,Christen-Sclaven unter den Türcken und Barbaren [...] sehr übel dran sind, während er glaubt, dass ,,Mohren-Sclaven" in ,,America" insgesamt ,,ganz erträglich" lebten []. (6) Weil ,,die Negres in ihren Wollüsten gantz viehisch, daneben faul, dumm und unwissend" sind, können sie seiner Meinung nach froh sein, wenn sie ,,Christliche Kauffleute" vor der ,,grausamen Sclaverey" in Afrika retten, sie in Amerika ,,in eine gelinde Dienstbarkeit versetzen" und zudem ,,zur Erkänntniß des wahren Gottes" bringen. (7) In der Enzyklopädie von d'Alembert und Diderot zeigt sich den Autorinnen der ,,Humanismus der Aufklärung" im Artikel ,,Esclavage", während der Eintrag ,,Nègre" die im subsumierten Menschen ,,als Handelsware präsentiert" (S. 124). Hinsichtlich des Conversationslexikons schweigen sie sich in dieser Beziehung aus. Zwar äußert es sich zum ,,Negerhandel" zwiespältig, doch verweist es ausführlich auf die Debatten zur Aufhebung der Sklaverei in Frankreich und England. (8) Vor allem aber enthält sein 1800 erschienener Band einen umfangreichen Beitrag zum Stichwort ,,Racen der Menschen", den die Autorinnen mit offensichtlich eingeschränktem Blickwinkel nicht zur Kenntnis nehmen, obwohl er ausführlich ,,bei dem Neger verweilt". (9) In dieser Enzyklopädie werden die Menschen Afrikas nicht, so behaupten die Autorinnen, ,,auf der niedrigsten Entwicklungsstufe" (S. 135) verortet. Der Artikel gibt sich vielmehr alle Mühe, die Hautfarben als nicht-hierarchisches Unterscheidungsmerkmal der Rassen darzustellen und dem gegenüber angebliche Unterschiede des Knochenbaus, der Schönheit und des Verstandes als bloße ,,Spielarten" (S. 22) zu behandeln, wie sie innerhalb sämtlicher Rassen vorkämen. Freilich lässt er dadurch gleichzeitig auch deutlich werden, dass der Versuch, die Menschen lediglich durch die Farben der Haut zu unterscheiden, nur dadurch möglich ist, dass offen diskriminierende Positionen (wie die von Christoph Meiners) stillschweigend übergangen, anthropologische Herabminderungen (wie die von Samuel Thomas Soemmering) relativiert und hierarchische Ordnungsmodelle (wie das von Immanuel Kant) unterschlagen werden. Wer in der Rassenfrage mit ungeteiltem Humanismus ,,dem Urheber der kritischen Philosophie folgen" (S. 19) will, muss dessen moralische Werturteile (,schwarz = dumm'), soziale Idiosynkrasien (,alle Neger stinken') und vertikale Menscheneinteilung (,kulturschöpferische Europäer' über ,gelehrigen Asiaten, ,faulen Afrikanern' und ,lebensschwachen Amerikanern') ausblenden. Im übrigen kämpft er ohnehin auf verlorenem Posten, weil die cranialisiernde gegenüber der pigmentierenden Rasseneinteilung bereits auf dem Vormarsch ist. (10)

Eine vergleichbare Unschärfe gibt es auch in den Ausführungen von Peter Stein zu Christian Georg Andreas Oldendorps ,,Historie der caribischen Inseln Sanct Thomas, Sanct Crux und Sanct Jan, insbesondere der dasigen Neger und der Mission der evangelischen Brüder unter denselben" als Enzyklopädie einer Sklavengesellschaft in der Karibik (S. 175-192). Leider hat der Beitrag das Temperament seines Titels und informiert umständlich und mit langatmigen Zitaten über die verschiedenen von Oldendorp behandelten Materialien. Zu deren Stellenwert für die Dialektik der Aufklärung trägt er aber nur wenig bei.

Oldendorp teilt die Vorurteile seiner Epoche. Er behauptet, dass ,,wohl jederzeit den Negern das wenigste Gute zugeschrieben worden" sei und sieht ,,darin kein Unrecht". (11)

Gleichwohl hält er an der aufgeklärten Vorstellung von der Bildbarkeit der Menschen fest. Die ,,Schwarzen" gelten zwar als ,,ungemein unwissend". Indessen ,,fehlet [es] ihnen nicht am Verstande". (12) Obwohl Oldendorp die Sklaverei scharf kritisiert, werden seine aufgeklärten Maximen von seinen christlichen Überzeugungen durchkreuzt. Drastisch zeigt sich das bei seiner moralischen Würdigung des Sklavenlebens, die hervorhebt, dass ,,ein armer Sklav, welcher [...] seinem Herrn treu ist, Unrecht leidet ohne zu murren [...] und überhaupt als ein fleißiger und mit seinem Stande vergnügter Sklav sich beträgt - [...] mehr Standhaftigkeit und Edelmut als mancher Tugendheld" beweist. (13) Dass aber Sklaverei keine natürliche, sondern eine aufgeherrschte Daseinsform ist, steht für Oldendorp außer Zweifel. Sein Freiheitsverständnis umfasst die Menschheit insgesamt. Das Verhältnis der Sklaverei schließt deswegen Widerstand ein: ,,Den Menschen, auch den Schwarzen, ist die Freiheit von Natur so süß und die Sklaverei so bitter, daß sie das äußerste wagen, jene zu behaupten und von dieser sich zu befreien". (14) Sein Verständnis für den Widerstandswillen der Schwarzen beruht nicht zuletzt auf seiner Beschreibung der Sklaverei als eines Prozesses der Entmenschlichung, in dem ,,Menschen [...] wie Tiere gekauft, besichtigt, nach ihrer Stärke oder Schönheit bezahlt und wie Tiere gebraucht und behandelt werden". (15)

Unbeschadet dieser Anmerkungen sind die Autorinnen und Autoren der Beiträge des vorliegenden Bandes natürlich viel zu spezialisiert und versiert, als dass ihre Texte nicht vielfältige Perspektiven zur vom Herausgeber (S. 11) akzentuierten und auch auf der Rückseite des Bandes annoncierten dreigliedrigen Schwerpunktsetzung des Bandes lieferten: zur ,,Problematik des Wissenstransfers", zu den ,,interkulturellen Beziehungen zwischen Europa und der außereuropäischen kolonialen Welt" und zur ,,'Wortergreifung' außereuropäischer Historiker, Journalisten und Literaten". Allerdings wäre dabei gelegentlich eine Mischung der Temperamente wünschenswert gewesen - so etwa, wenn Annelore Rieke-Müller ausführlich aber umständlich ,,Die außereuropäische Welt und die Ordnung der Dinge in Kunst- und Naturalienkammern des 18. Jahrhunderts" am ,,Beispiel der Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle" inventarisiert (S. 51-73) und Gudrun Loster-Schneider unter der Fragestellung ,,Toni, Babekan und Homi Bhabha?" ein diskursives aber auch assoziatives Feuerwerk ,,Zu Problemen kultureller und ästhetischer Hybridisierung in Heinrich von Kleists ,Die Verlobung in St. Domingo'" abbrennt (S. 228-248). Außerdem hätte einigen Texten angesichts des heftig beschworenen Wissenstransfers eine Erhöhung ihrer Komplexität gut angestanden - auch wenn York-Gothart Mix zum Thema ,,'Der Neger malt den Teufel weiß'. J. G. Herders Neger-Idyllen im Kontext antiker Traditionsgebundenheit und zeitgenössischer Kolonialismuskritik" (S. 193- 207) den Kontext von Herders Eurozentrismus ausblendet (16) oder wenn Stefanie Arndt sich bei ihren Betrachtungen über ,,Interkulturelle Begegnungen. Europäer und Kannibalen in der (Reise-)Literatur der Frühen Neuzeit: von Kolumbus bis Wezel" (S. 326-352) so nachhaltig in Hans Stadens Bericht über die ,,wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser" Amerikas einliest, dass sie vergisst, auf Annerose Menningers akribisch begründeten ,,Zweifel an der Aufrichtigkeit des Augenzeugen" (17) hinzuweisen (obwohl deren Arbeit in den Fußnoten zitiert wird).

In vielen der von Akribie und Empathie gekennzeichneten Texte des vorliegenden Bandes erschöpft sich die Auseinandersetzung mit der Dialektik der Aufklärung, die angesichts der durch den Titel vorgegebenen Fragestellung zu erwarten nicht unbillig ist, im Tenor des lyrischen Hinweises Goethes in ,Ginkgo biloba'. Teruaki Takahashi, der ,,Japan und Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung von Wirkungen des deutschen Japan-Forschers Engelbert Kaempfer" eine ,,Historische Skizze" widmet (S. 208-227), zitiert das Gedicht zum Abschluss seines Beitrags, um dessen Überlegungen als ,,Streifzüge" durch die ,,Liebesbeziehung von Japan und Deutschland" (S. 227) zu charakterisieren. In den Strophen geht es um die Liebe zwischen Mann und Frau und um die Beziehungen zwischen Osten und Westen, die von der hybriden, ein japanisches mit einem lateinischen Wort verschmelzenden botanischen Benennung symbolisiert werden, die Linné durch die Übernahme der von Kaempfer nach Europa gebrachten Bezeichnung der ,Silberaprikose' (,ginkyô') geprägt hat (S. 224 ff.). Die beiden letzten Verse lauten: ,,Fühlst du nicht an meinen Liedern | Daß ich Eins und doppelt bin". Wenn sie als Ausdruck für die »interkulturelle Liebe" der ,,west-östliche[n] Kulturverbindung" gedeutet werden (S. 226 f.), so verweist das auf einen romantischen Angleichungswillen, der der Kritik wenig dienlich ist. Er äußert sich denn auch da am deutlichsten, wo diese profiliert formuliert zu werden scheint. Kaempfer beschreibt, wie er vor dem Shôgun gezwungen wird, allerlei Kunststücke vorzuführen und ,,ordentliche Affenpossen auszuüben". Takahashi interpretiert mitfühlend, er wäre ,,etwa so behandelt [worden,] wie die zahlreichen ,Wilden' aus den Kolonien, die im Europa der Aufklärung dem neugierigen Publikum zur Schau gestellt wurden" (S. 216). Davon kann keine Rede sein. Erstens hatte sich Japan, nicht zuletzt der von den Portugiesen dort offenbarten Unfähigkeit zur ,interkulturellen Liebe' wegen, gerade nahezu hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Das hieß nicht nur, dass keine Ausländer in Japan geduldet wurden, sondern dass das Land auch seine eigenen Außenkontakte samt der Erkundung des Pazifiks einstellte und Kolonialismus damit sozusagen offiziell verboten war. Zweitens waren die unter Ausnahmerecht stehenden holländisch-japanischen Kontakte zwar für die Europäer mit zahlreichen unangenehmen Einschränkungen versehen, ihnen aber jedenfalls nicht gewaltsam aufgeherrscht worden.

Dass es auch anders geht, belegen die herausragenden Beiträge von Christiane Küchler Williams und Bernd-Peter Lange. Die eine zeigt in ,,Südsee, Sex und Frauen im Diskurs des 18. Jahrhunderts" (S. 302-325), dass hier nicht nur eine wissenschaftliche und eine arkadische Dimension vorlag, sondern es auch pornographische Bestandteile der Literatur gab, ,,geschrieben von Männern für Männer" (S. 322). Die Überlegungen Langes zum ,,'Trafficking with the Other'. Ambivalenzen des frühen Orientalismus bei William Jones" (S. 273-286) verdeutlichen nicht nur die klassenspezifische ,,Beschränkung des Kulturkontakts" (S. 283), sondern arbeiten auch ,,die Gespaltenheit zwischen historischem Lobpreis der (alten) Kultur des ,Orients' und rassistischer Aversion gegenüber der gegenwärtigen Bevölkerung" (S. 286) so sorgsam heraus, dass Jürgen Osterhammels flapsige Bemerkung, Jones wäre zwar ,,ein wissenschaftlicher Eroberer großen Stils" gewesen, ,,doch seine heutigen Kritiker sollten ihm nachweisen, wie er Indien dadurch geschadet hat" (S. 33), um so entlarvender klingt. Im übrigen machen beide Beiträge deutlich, dass die Berücksichtigung der Herrschaftsdimensionen aufgeklärten Wissenstransfers und der dazu gehörenden Verflechtungen sexistischer, klassistischer und rassistischer Diskriminierung zur Luzidität der Argumentation beiträgt.

Insgesamt eröffnet sich dem Leser ein anregendes und materialreiches Buch, das zahlreiche Widersprüche in der Thematik offenlegt. Unter dem Gesichtspunkt des Wissenstransfers scheint dies eine gute Perspektive zu sein.

Wulf D. Hund, Hamburg


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