ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Rolf Walter, Geschichte der Weltwirtschaft. Eine Einführung, Böhlau Verlag, Köln etc. 2006, 257 S., brosch., 16,90 €.

Die Globalisierung entspringt dem Streben der Menschen nach Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Sie ist ein historisches Phänomen, das weit in die Vergangenheit zurückreicht, und eine segensreiche Kraft: Die Grundlage unseres Wohlstandes und unserer Vorfahren sind die Güter- und Dienstleistungsmärkte, mit anderen Worten die Verbesserung der eigenen Situation durch (weltweiten) Austausch.

Der Wohlstand der Nationen entwickelte sich immer dann besonders kräftig, wenn innovationsfreudige Unternehmer auf der Grundlage von Freihandel und der Herrschaft des Rechts im Wettbewerb um innovative Produkte, Techniken und Organisationsformen standen. Eine Voraussetzung für den Erfolg bildet seit jeher die Bündelung von Wissen in städtischen Zentren. Die erfolgreiche Aufrechterhaltung einer regionalen Führungsposition in der Weltwirtschaft hat multifaktorielle Ursachen, die pfadabhängig sind und wesentlich durch eine kluge Ordnungspolitik geprägt werden.

,,[D]ie alte Frage nach den dynamischen Elementen der Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft" (S. 7) durchzieht die Einführung in die Weltwirtschaft von Rolf Walter, deren Grundzüge er in außerordentlich kompakter und strukturierter Weise anschaulich skizziert.

Rolf Walter hat sich bereits mit einem nützlichen Studienbuch zur (deutschen) Wirtschaftsgeschichte einen Namen gemacht. Nun hat der Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ein weiteres Lehrbuch vorgelegt, dessen Konzeption Maßstäbe setzt: Theorien und Modelle werden verbunden mit einem Überblick über die Entwicklung der Weltwirtschaft seit den Kreuzzügen anhand von Fallstudien sowie Längs- und Querschnitten; dabei werden Träger und Akteure, institutionelle Aspekte und Zentren des Welthandels berücksichtigt. Insofern schließt Rolf Walter nicht nur inhaltlich eine Lücke für Studenten und Dozenten in einer Zeit erneuter, weltweiter Verflechtung von Wirtschaft, Kultur und Politik, sondern weist auch den Weg für eine Alternative zu den Masternarratives, ohne diesen bis zu Ende zu gehen.

Der Inhalt des Studienbuches gliedert sich in drei Abschnitte. Die Einleitung beinhaltet eine Annäherung an den Begriff der Weltwirtschaft und seine zeitabhängige dogmengeschichtliche Entwicklung. Heute umfasst der Begriff ,,generell alle Beziehungen und Verflechtungen, die durch internationale Transaktionen (Handel, Bewegung von Faktoren, wie z.B. (Human-)Kapital, Arbeit, Wissen) zwischen den Märkten entstehen" (S. 6) schreibt Walter. Sein anschließendes Plädoyer für eine weltoffene statt einer eurozentristischen Sicht bleibt jedoch weitgehend folgenlos. Abhilfe könnte für die zweite Auflage eine Fallstudie zu den USA leisten.

Der zweite theoretische Teil enthält einen derart komprimierten Abschnitt über Theorien, die die Funktionsweise und Entwicklung der Weltwirtschaft zu erklären versuchen, dass diese - anders als die Erläuterung der Modelle - ohne tiefere Vorkenntnisse vielfach unverständlich bleiben. So fasst Walter das Ziel des Forschungskonzepts von Christopher Lloyds ,,Holoscene History" als ,,Erklärung des sozio-ökonomischen Wandels als Ergebnis sozialer Strukturierung unter spezifischen Anpassungsbedingungen" (S. 24) zusammen. Gleichwohl hängt dieser Teil nicht isoliert in der Luft. Vielmehr finden sich Aspekte etwa der Evolutions- und Institutionentheorie oder der Kaufmannseigenschaften in der historischen Darstellung wieder.

Der dritte Hauptteil enthält 14 aufeinander folgende Kapitel: Kreuzzüge und Marco Polo, Ostkolonisation und Hanse, die Pest und ihre Folgen ließen sich als einen ersten Block zum Mittelalter bündeln. Als Scharnier zur frühen Neuzeit dient ein Kapitel zu kommerziellen Innovationen, Verflechtungen und Expansion. Es folgen die portugiesische Expansion nach Osten und Westen, dann unter dem Blickwinkel der Verlagerung der Welthandelsmetropolen die Entdeckung und Eroberung Amerikas sowie eine Fallstudie zu Antwerpen. Hier werden die Ursachen für Aufstieg und Niedergang sowie Haupthandelsgüter und Finanzgeschäfte betrachtet. Anschließend rücken die Augsburger Fugger und Nürnberg exemplarisch für Mitteleuropa in der frühen Neuzeit in den Vordergrund. Als einen weiteren Block ließen sich die Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert und England im Merkantilismus zusammenstellen. Es folgt der Dreieckshandel. Die Industriellen Revolutionen und die Weltwirtschaft im Industrialisierungszeitalter bilden im Grunde genommen bereits das Ende des historischen Überblicks. Das 20. Jahrhundert bleibt faktisch weitgehend ausgespart. Ein Manko, das ähnlich unerklärlich bleibt wie der unvermittelte Einstieg mit den Kreuzzügen. Zumindest eine Fallstudie aus der Alten Geschichte hätte sicherlich noch Platz gefunden. Ohnedies hätten die kollektivistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts und ihre teilweise Realisierung etwa als ,,NS-Großraumwirtschaft" und als Zentralplanwirtschaft des Ostblocks einen bemerkenswerten Kontrast zu Freihandel und internationaler Arbeitsteilung abgegeben. Das letzte Kapitel zur Globalisierung reicht zwar bis an die unmittelbare Gegenwart heran, dennoch bleibt fraglich, ob der überwiegende Teil zu den globalen Trends mit Abschnitten, die das Klonen und Multimedia betreffen, nützlich ist. Lesenswert wäre eine zusammenfassende Bewertung der wichtigsten Entwicklungsfaktoren der Weltwirtschaft, des Auf- und Abstiegs von Nationen, die als Schlusspunkt leider fehlt. Hier ließe sich zugleich die spätestens seit Adam Smith andauernde politische Betrachtung der Weltwirtschaft einflechten, vor allem zum Gegensatzpaar Freihandel und Protektionismus. Auf diese Weise fände eine ordnungspolitische Analyse der Rahmenbedingungen für die wechselvolle Geschichte der Weltwirtschaft Platz. So verbirgt sich die Erkenntnis zu zurückhaltend im Text: Die Menschheit kann ohne einen möglichst freien Handel nicht auskommen. Die Fieberkurve der menschlichen Wohlfahrt lässt sich an der weltwirtschaftlichen Verflechtung ablesen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass beim Überschreiten von Grenzen an die Stelle von Waren erfahrungsgemäß Soldaten treten.

Positiv hervorzuheben gilt es die Prüfsteine und Literaturangaben am Ende eines jeden Kapitels. Die Vielzahl der Darstellungen und Tabellen sowie das umfangreiche, thematisch gegliederte Literaturverzeichnis runden zusammen mit einem knappen Register den optisch gelungenen Band ab. Leider benötigt man für viele der ansonsten guten Karten eine Lupe. Hilfreich für ein schnelles Erschließen des Textes und dessen übersichtliche Strukturierung sind die durch Fettdruck hervorgehobenen Schlüsselbegriffe.

En passant gelingt es Rolf Walter, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsgeschichte als wissenschaftliche Integrationsdisziplin aufzuzeigen. Das Studienbuch gewinnt durch das Einflechten betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Aspekte in die Darstellung historischer Entwicklungen und Konstellationen. Die Geschichte der Weltwirtschaft ist ein Bildungsbuch, zu dem man gern, auch als Nachschlagewerk greift.

Michael von Prollius, Berlin


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | 06. November 2006