ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Walter Lehmann, Die Bundesrepublik und Franco-Spanien in den 50er Jahren. NS-Vergangenheit als Bürde? (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 92), Oldenbourg-Akademie Verlag, München 2006, 247 S., brosch., 24,80 €.

Die vorliegende aus einer Hamburger Dissertation hervorgegangene Studie untersucht ein bislang zu Unrecht vernachlässigtes Thema: die vielfältigen Beziehungen zwischen der spanischen Diktatur unter Franco und der jungen, sich aus alliierter Gängelung und Bevormundung befreienden Bundesrepublik. Diese Beziehungen waren, wie der Autor nachweist, überaus facettenreich, voller Gegensätze und Widersprüche und verbieten eine simplifizierende Schwarzweißmalerei. Den historischen Hintergrund beider Staaten bildete die militärische Komplicenschaft zwischen Hitler-Deutschland (und Mussolini-Italien) mit den aufständischen Militärs in Spanien, die zum blutigen Sieg und der nachfolgenden drückenden Diktatur Francos führte. Die von manchen Vertretern des Franco-Regimes immer wieder mit Dankbarkeit und Bewunderung beschworene Liaison zwischen den Diktatoren war der jungen Bundesrepublik, deren Bemühungen um demokratische Reputation unter ihren westlichen Partnern durch derartige Hypotheken aus der NS-Zeit überschattet wurden, keineswegs angenehm. Andererseits wurde in beiden Ländern gelegentlich der gemeinsame Antikommunismus als mögliche Grundlage für eine beiderseitige Annäherung beschworen - und zugleich als Weg, die belastete Vergangenheit beider Staaten aus dem Bewusstsein zu verdrängen.

Dabei waren die frühen Beziehungen zwischen beiden Staaten keineswegs voller Harmonie. Das zeigte sich bei dem langwierigen, stets von alliierten Vorbehalten und internen personalpolitischen Problemen blockierten Weg zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Madrid. Da etliche der für den Botschafterposten in Madrid zunächst in Erwägung gezogenen deutschen Diplomaten wegen NS-Belastung doch nicht in Frage kamen, gewann man 1952 Adalbert von Bayern, einen Angehörigen des bayerischen Königshauses, für diese Aufgabe. Der kultivierte und hochgebildete Prinz, der bislang nur als Schriftsteller und Historiker tätig gewesen war, besaß den Vorteil, politisch unbelastet, durch seine Verwandtschaft mit dem spanischen Königshaus Sprache, Land und Geschichte zu kennen und zudem Vorsitzender einer Deutsch-Spanischen Gesellschaft zu sein, verfügte aber über keinerlei politische oder diplomatische Erfahrungen und wurde bereits 1955 wieder abberufen.

Weitaus schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen um die Rückgabe deutschen Eigentums, das Spanien im Vollzug der westlichen Feindvermögenspolitik 1948 enteignet, zugunsten der Westalliierten liquidiert und dabei vereinbarungsgemäß zu 30% für sich behalten hatte. Diese Maßnahmen betrafen nicht nur staatliches deutsches Eigentum, sondern auch das von deutschen Staatsbürgern in Spanien. Die Verhandlungen zwischen Bonn und Madrid zogen sich bis 1958 hin, wobei die spanische Seite eine Rückgabe strikt verweigerte. Das ausgeblutete und verarmte Land wäre hierzu wohl auch kaum in der Lage gewesen und wollte weitere befürchtete Entschädigungsforderungen auf diese Weise blockieren. Die von beiden Seiten wiederholt beschworene historische Verbundenheit beider Länder führte dazu, dass die deutsche Seite schließlich aus Einsicht in ihre schwache Position resignierte und ihre Forderungen zugunsten höherer diplomatischer Ziele aufgab.

Ebenso schwierig gestalteten sich die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen in den 1950er-Jahren, bei denen diesmal die Spanier am kürzeren Hebel saßen. Beim Handel zwischen dem inzwischen von ,,Wirtschaftswunder" gezeichneten Exportland Deutschland und dem bis 1959 an Autarkievorstellungen orientierten Agrarstaat Spanien ging die Kluft immer weiter auseinander. Spanien konnte seine Importe nicht bezahlen und strapazierte durch zunehmende Verschuldung und Insolvenz den bilateralen Verrechnungsverkehr. Hier blieb die deutsche Seite hart: Die gewünschten Kredite wurden von deutscher Seite verweigert und Madrid auf die Möglichkeit privater Kapitalinvestitionen verwiesen, für die Spanien aber erst die politischen und gesetzlichen Voraussetzungen schaffen musste. Man kann darüber spekulieren, ob die Bundesrepublik den Spaniern damit nicht langfristig einen großen Gefallen getan hat.

Diese beiden Themenfelder erschwerten zwar in den 1950er-Jahren am meisten die bilateralen Beziehungen, konnten aber die von beiden Seiten beschworene ,,historische Freundschaft" nicht ernsthaft gefährden. Die folgenden Problemfelder der deutschen Spanienpolitik strapazierten dagegen das Verhältnis der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie zu ihren westlichen Partnern. Zum einen befürwortete die Bundesregierung frühzeitig eine Mitgliedschaft Spaniens in der NATO, wozu sie sich seit dem spanisch-amerikanischen Stützpunktabkommen von 1953 und der aufgehobenen Ächtung des Landes durch die UNO in guter Gesellschaft glaubte. Demokratische Bedenken wegen der autoritären Herrschaftsform wurden durch das seit der NS-Zeit überlieferte positive Bild Francos in der deutschen Öffentlichkeit verdrängt. Regierung und auch viele Mitarbeiter des Auswärtigen Amts sahen in Spanien ein Bollwerk gegen den Kommunismus, zumal die NATO auch gegenüber der Mitgliedschaft des gleichfalls autoritären Portugals keinerlei Skrupel empfunden hatte. Hier zeigte es sich aber, dass die Bundesregierung noch nicht ganz in einer post-faschistischen Ära angekommen war und die massiven Widerstände gegen ihr Ansinnen in den west- und nordeuropäischen NATO-Staaten und besonders in Großbritannien unterschätzt hatte. Obwohl auch der Ende der 1950er-Jahre wieder an die Macht zurückgekehrte General de Gaulle die deutschen Initiativen unterstützte, scheiterte die deutsche Politik in dieser Angelegenheit.

Das andere Feld war die von der Bundesregierung und insbesondere von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß angestrebte militärische Zusammenarbeit mit Spanien und vor allem der Erwerb deutscher Stützpunkte auf der iberischen Halbinsel. Den Hintergrund dieser Bemühungen bildeten Überlegungen, dass das Bundesgebiet im Kriegsfall als Schlachtfeld zahlreiche unlösbare logistische Probleme aufwerfen würde und zudem als dicht besiedeltes Land kaum Möglichkeiten für Nachschub, Ausbildungs- und Trainingsräume hatte. Obwohl Frankreich sich gegenüber diesen Plänen reserviert verhielt und die USA und Großbritannien sowie andere NATO-Partner ablehnte, verfolgte die Bundesregierung das Ziel einer eigenständigen Außenpolitik mit einem bemerkenswerten diplomatischen Realitätsverlust. Sie erkannte nicht, dass eine militärpolitische Zusammenarbeit des ehemaligen Kriegsgegners Deutschland mit dem ehemaligen NS-Bündnispartner Spanien weltweite Besorgnisse auslöste. Trotz der Vorbehalte des NATO-Oberbefehlshabers und anderer Signale aus den Hauptstädten der Alliierten stellte sich Bonn stur. Erst als die Amerikaner durch eine lancierte Pressekampagne die Ziele der Bundesregierung torpedierten, ließ sie wie ein begossener Pudel von ihren Zielen ab.

Mangelnde Sensibilität zeigte sich auch im Umgang mit der Vergangenheit. Das Erbe der Legion Condor und ihres spanischen Pendants, der Blauen Division, die Frage einer rentenrechtlichen Anerkennung ihrer Diensteinsätze und das Problem der Traditionspflege innerhalb der Bundeswehr bedeuteten letztlich eine Konfrontation mit der NS-Geschichte, bei der die alten Kräfte vielfach den Ton angaben. In der Regel betonte die frühe Bundesrepublik den demokratischen Neuanfang und den Bruch mit der NS-Geschichte. Gegenüber Spanien herrschte auf beiden Seiten ein sonderbar ambivalentes Geschichtsverständnis vor. Zwar wurden Veteranen der Legion Condor von Franco empfangen, jedoch wurde dieses Ereignis auf spanisches Betreiben geheim gehalten. Erst als Condor-Legionäre in Madrid ihre ideologische Nähe zum NS demonstrierten, ging Bonn auf Distanz. Gegenüber den Angehörigen der Blauen Division als Verbündeten im Kampf gegen den ,,Bolschewismus" wurden - nach jahrelanger dilatorischer Behandlung des Problems - schließlich 1964 Versorgungsleistungen beschlossen.

Ein besonderes Kapitel stellten schließlich die republikanischen spanischen Opfer der NS-Diktatur dar, die meistens während des Krieges im besetzten Frankreich inhaftiert und in deutsche Arbeitslager verbracht worden waren. Bis Ende der 1960er-Jahre wurden ihnen von deutschen Behörden und Gerichten Entschädigungsansprüche abgesprochen. Nicht nur das überlieferte Zerrbild des Spanischen Bürgerkrieges als eines Kampfes gegen die kommunistische Bedrohung, auch Rücksichten auf das Franco-Regime, als dessen Gegner die ehemaligen ,,Rotspanier" angesehen wurden, blockierten jahrelang eine halbwegs gerechte und vertretbare Lösung des Problems.

Hier wie in den anderen Fragen warf die NS-Vergangenheit lange Schatten, die sich innen- und außenpolitisch über die deutsch-spanischen Beziehungen legten. Lehmanns auf breiter Quellengrundlage gründlich recherchierte und überdies gut lesbare Studie zeigt, wie sehr das jeweilige Bild des anderen Landes durch die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges und der Komplicenschaft zwischen Hitler und Franco bestimmt wurde und das Denken von Politikern, Diplomaten und Beamten prägte. Eingebettet in den Ost-West-Konflikt, der diese Epoche als lässliches Sündenregister ebenso bagatellisierte wie den Fortbestand diktatorischer Verhältnisse in Spanien, mussten Regierung und Öffentlichkeit der Bundesrepublik vielfach von außen auf die Prämissen ihres demokratischen Neubeginns gestoßen werden: ,,Nur durch die stetige Einflussnahme der westlichen Demokratien konnte der ,lange Weg nach Westen` zu einer republikanischen Erfolgsgeschichte werden."

Patrik von zur Mühlen, Bonn


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