ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Annette Brauerhoch, ,,Fräuleins" und GIs. Geschichte und Filmgeschichte, Frankfurt a. M./Basel: Stroemfeld/Nexus 2006, 532 S. m. zahlr. Fotos, kart., 28,00 €.

,,Geschichte und Filmgeschichte" heißt es im Untertitel des Buches, und diese Formulierung ist Programm: Die Filmgeschichte wird mit der allgemeinen Geschichte verknüpft, sie ist Teil eines Prozesses der Aneignung und Deutung von Wirklichkeit, der nicht losgelöst von der sogenannten Realgeschichte gedacht werden kann. Gibt es seit einigen Jahren in der Geschichtswissenschaft vermehrt Versuche, das Forschungsfeld der Ikonografie zu den laufenden Bildern, d.h. zu den Filmen zu erweitern, so kommt Annette Brauerhoch den Historikern nun aus der Warte der Film- und Fernsehwissenschaften entgegen. Trifft man sich in der Mitte? Entsteht durch diese Annäherung ein Forschungsdesign, das sich auch Historiker zu Eigen machen können, die, wie sie es formulieren würden, den Film als Quelle nutzen wollen?

Das Thema von Brauerhochs Habilitationsschrift über ,,Fräuleins und GIs" jedenfalls ist von Geschichte nur so gesättigt. Die Beziehungen zwischen deutschen Frauen und amerikanischen Besatzungssoldaten, die nach 1945 zu Hunderttausenden bestanden, sind gleich mit mehreren Problemfeldern verbunden, die in der Geschichtswissenschaft stark beachtet werden. An erster Stelle ist hier das Phänomen der ,,Amerikanisierung" der bundesdeutschen Gesellschaft nach 1945 zu nennen, das gewiss nicht erst mit den ,,Halbstarken" und deren James Dean- und Elvis Presley-Begeisterung, sondern schon mit den ,,Fräuleins" seinen Anfang nahm. Zweitens befanden sich unter den betroffenen GIs auch zahlreiche Afroamerikaner, so dass Fragen der grundsätzlichen Bewertung von biethnischen Beziehungen und der eventuell aus ihnen hervorgegangenen ,,Mischlingskinder" berührt werden. Drittens sind Liaisons zwischen Männern und Frauen, in denen ein so deutliches Machtgefälle besteht, auch für die Geschlechtergeschichte von besonderem Interesse. Viertens wird das Fraternisierungsverbot berührt, mit dem die Amerikaner ihre spezifische Haltung gegenüber den besiegten Deutschen markieren wollten. Fünftens spiegelten sich in den ,,Fräuleins" viele Probleme der deutschen Nachkriegsgesellschaft: Armut und Perspektivlosigkeit, soziale Entwurzelung und Werteverlust sowie das Fehlen der deutschen Männer, die zu Millionen im Krieg gefallen waren oder noch in den Gefangenenlagern festgehalten wurden. Außerdem verwiesen die Beziehungen zwischen deutschen Frauen und amerikanischen Soldaten auf ein tiefgreifendes sozialpsychologisches Problem. Viele Deutsche warfen den betroffenen Frauen vor, sie verrieten ihr Land, sie würfen sich in würdeloser Form den Siegern an den Hals, ja sie verhielten sich wie Prostituierte, indem sie den Besatzern für materielle Vergünstigungen zu willen waren. Die ,,Fräuleins" fügten Deutschland nach der Kriegsniederlage eine zweite Niederlage, eine sexuelle Niederlage zu. Durch ihr Verhalten schien eine ganze Nation gedemütigt zu werden.

Diese Bewertung beherrschte nicht nur das Reden hinter vorgehaltener Hand. Auch in den Printmedien, auch in Zeitungen, Illustrierten und Romanen wurde aus der Verachtung der ,,Fräuleins" kein Hehl gemacht - Bezeichnungen wie (immerhin noch witzig) ,,Amizone" oder, schon deutlich beleidigender, ,,Amiflittchen", machten die Runde. Brauerhoch, die solche gedruckten Quellen ebenfalls, wenn auch nicht schwerpunktmäßig, in ihre Untersuchung einbezieht, macht nun aber die überraschende Beobachtung, dass der diskriminierende Diskurs über die ,,Fräuleins" an den Grenzen des Films halt macht: Kein einziger Spielfilm präsentiert in einem wichtigen Handlungsstrang eine deutsche Frau, die eine so negativ konotierte Beziehung mit einem amerikanischen Soldaten unterhält, wie es in den Printmedien an der Tagesordnung ist. Höchstens als Nebenfiguren dürfen auch Frauen auftauchen, deren Verhalten auf die übel beleumdeten ,,Veronikas" anspielt. Fragt man nach den Gründen für dieses ,,Bilderverbot", dann liegt für die amerikanischen Filme die Vermutung nahe, dass das Image der eigenen Soldaten nicht beschädigt werden durfte: Sie sollten als heroische Vorkämpfer und Boten der Demokratie erscheinen, nicht als Schwerenöter, die sich mit Nylonstrümpfen die Gunst deutscher Frauen erkauften. Für biethnische Beziehungen sprach der amerikanische production code ohnehin ein generelles Darstellungsverbot aus (S. 254). Auch die deutsche Filmproduktion war in ihren Möglichkeiten durch Verbote eingeschränkt. So war jegliche Kritik an den Besatzungsmächten untersagt. Der Zugriff der amerikanischen Soldaten auf die deutschen Frauen hätte, plakativ im Film dargestellt, beim deutschen Publikum feindselige Gefühle gegenüber den Besatzern schüren können. Aber auch der Umstand, dass im Kino niemand sehen wollte, was schon in der Realität als so demütigend empfunden wurde, trug zur weitgehenden Tabuisierung des Negativklischees vom ,,billigen" Fräulein bei (S. 308f.).

Die ,,Fräuleins", die uns in deutschen und amerikanischen Spielfilmen tatsächlich begegnen, sind also immer wieder ganz anders als ihre verschrienen Schwestern. Hat eine junge deutsche Frau einen amerikanischen Soldaten zum Freund, dann diskutiert sie mit ihm die Frage deutscher Kollektivschuld an den NS-Verbrechen, führt ihn als treu sorgende Hausfrau zu häuslichem Glück oder wird umgekehrt von ihm zur Demokratie, zur am Konsum orientierten Lebensfreude und zur Emanzipation bekehrt - um nur einige Varianten zu nennen. Jedes Mal ist das Arrangement weder für ihn - und sein Land - noch für sie - und ihr Land - peinlich oder demütigend. Mit diesem Befund begnügt sich Brauerhochs Analyse aber keineswegs. Ein Film transportiert grundsätzlich nicht nur in der Weise Realitätsdeutungen, dass er sie in Figurenensemble, Figurenrede und Handlung explizit macht - er kann auch subtilere Mittel einsetzen. So gibt es beispielsweise den Aussagemodus des ,,signifikanten Fehlens", einer Abwesenheit, die vom Zuschauer sehr wohl bemerkt und in sein Verständnis des Films einbezogen wird. Außerdem treten Sozialtypen in Konstellationen ein, die immer als Ganzes gedacht werden, auch wenn nur ein einzelnes Element sichtbar wird. Das Gegenbild zur ,,Amizone" im Sinne einer positiven weiblichen Ikone des Nachkriegsdeutschlands war die Trümmerfrau, die asketisch ihren Stolz bewahrte und selbstlos für den Wiederaufbau der Nation arbeitete (S. 142). Taucht eine der beiden Figuren auf, reicht schon die kleinste Andeutung aus, um auch den komplementären Typus im Bewusstsein des Zuschauers aufzurufen. Zieht man zudem in Betracht, dass der Skandal um die ,,Fräuleins" eine primär sexuelle Grundlage hat, leuchtet es ein, dass Brauerhoch auch der Körpersprache in den Filmen viel Aufmerksamkeit schenkt. Diese Körpersprache ist nach ihrer Auffassung nicht nur Regiewerk, sondern auch Ausdruck der Lebenslage, in der sich die Darsteller außerhalb des Filmsets befinden: Auch in den bewegten Körpern der Schauspieler lagert sich Geschichte ab (S. 146). Auf dieser Basis gelingen Brauerhoch subtile Beobachtungen zum Wechselspiel des Begehrens von Männern und Frauen, Jungen und Mädchen, sowie, auf der Schiene der nationalen Zuordnungen, zur kraftvoll-lässigen Körperlichkeit der amerikanischen Sieger im Gegensatz zur ausgemergelten Niedergeschlagenheit der deutschen Verlierer. Untersuchungskategorien der Geschlechterforschung werden hier in analytischer Feinarbeit mit der exakten Aufschlüsselung von Kameraeinstellungen und -fahrten, Schnitttechniken und Bildkompositionen verbunden.

Mit diesem Anliegen verbindet sich eine methodische Vorgehensweise, die immer wieder Sequenzen aus den einzelnen Filmen herausgreift und nach thematischen Gesichtspunkten vergleichend untersucht. Nur bei einigen bekannteren Arbeiten - so z. B. Billy Wilders ,,A Foreign Affair" (1948), Henry Kosters ,,Fraulein" (1956) und Helmut Käutners ,,Schwarzer Kies" (1960/61) - werden komplette Interpretationen des gesamten Films entwickelt. Diese Vorgehensweise, gerne unter dem Etikett ,,Diskursanalyse" geführt, hat sich mittlerweile in den meisten kulturwissenschaftlichen Fächern etabliert. Bei den Filmwissenschaftlern scheint es noch keinen Begriff dafür zu geben, jedenfalls wird er von Brauerhoch nicht genannt. In der Sache ist diese Methode jedenfalls mit der Fragestellung des Buches bestens abgestimmt. Ein wenig negativ ins Gewicht fällt nur, dass die Beobachtungen aus den Einzelanalysen nicht zu einem klaren Ergebnis gebündelt werden können. Das mag aber am Gegenstand liegen: Die Interpretation der Beziehungen zwischen ,,Fräuleins" und GIs im Nachkriegsfilm zerfällt offenbar in eine Vielzahl von Facetten, ohne dass eine konsensfähige oder auch nur dominierende Deutungsstrategie erkennbar wäre.

Eine Frage, die Brauerhoch offen lässt, ist die, ob sich nicht möglicherweise in den ,,Fräuleins" auch bestimmte Erfahrungen mit Sexualität fortschrieben, die in der NS-Zeit gemacht worden waren. Die neuere Forschung hat mehrfach darauf hingewiesen (zuletzt Dagmar Herzog, Sex after fascism. Memory and morality in Twentieth-century Germany, Princeton, NJ u. a. 2005), dass der Nationalsozialismus im Zeichen einer ,natürlichen' Körperlichkeit sexuelle Freiheiten gewährte, die in krassem Gegensatz zur traditionellen religiösen Morallehre standen und folglich von den Kirchen heftig kritisiert wurden. Als sich nach 1945 der Einfluss des bürgerlich-konservativen Establishments und der Kirchen zunächst wieder vergrößerte und eine weitgehende Restauration der ,alten' Sexualmoral erfolgte, markierte die NS-Zeit im Rückblick möglicherweise eine Phase, in der man sich sexuelle Freiheiten erlaubt hatte, die nun aufs Neue massiv eingeschränkt wurden. Die ,,Fräuleins", die außereheliche Sexualbeziehungen unterhielten, könnten vor diesem Hintergrund als eine Projektionsfläche gedeutet werden, auf der viele Deutsche sich mit ihrem eigenen ,schlechten Gewissen' auseinandersetzten. Die Distanzierung von dem, was in der NS-Zeit gestattet und nun wieder verboten war, fand in der Verunglimpfung der ,,Fräuleins" ihren Ausdruck.

Es ist wohl unvermeidlich, dass bei den Interpretationen, zu denen der Film als Quelle herausgefordert, dem Historiker generell das eine oder andere zu spekulativ gerät. In dieser Hinsicht genießen die Kunst- und Medienwissenschaften Freiheiten, die in der Geschichtswissenschaft im Regelfall nicht gewährt werden. Trotzdem können sich auch Historiker, wenn sie Mediengeschichte betreiben wollen, der Notwendigkeit der Interpretation nicht verschließen. Auch wenn die Rahmenbedingungen von Produktion und Distribution ebenfalls wichtig sind: Letztlich ist eine Mediengeschichte ohne Medieninhalte nicht denkbar - und diese Inhalte sind in ihrer Zeichenhaftigkeit stets interpretationsbedürftig und bis zu einem gewissen Grade auch deutungsoffen. Wer das nicht zu akzeptieren bereit ist, sollte darauf verzichten, Mediengeschichte zu betreiben. In ihrer Verbindung von historischer Kontextualisierung und inspirierter Interpretation markiert Brauerhochs Untersuchung den Schritt auf ein interdisziplinäres Feld, auf das sich auch eine geschichtswissenschaftliche Medienanalyse letztlich vorwagen muss. Es wäre der flüssig, oft elegant geschriebenen Untersuchung über ,,Fräuleins und GIs" zu wünschen, dass sie (auch) viele Historiker zu Medienanalysen ermutigen wird.

Frank Becker, Münster/Wien


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