ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Lindenberger, Thomas (Hrsg.), Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen (Zeithistorische Studien Bd. 33), Böhlau, Köln 2005, 286 S., geb., 39,90 €.

Die vorliegende Sammlung von Aufsätzen ist im Umfeld eines Forschungsprojektes entstanden, das im Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam 2001 entstand und dem Verhältnis von Massenmedien und Kaltem Krieg gewidmet ist. Erste Ergebnisse des von der DFG geförderten Projektes wurden auf einem Workshop am ZZF im Mai 2003 diskutiert. Wie Thomas Lindenberger in seiner Einleitung konstatiert, hat sich das Blickfeld seit 1989 erweitert. Sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen haben neben der ,,großen Politik" an Bedeutung gewonnen und inzwischen zu produktiver wechselseitiger Ergänzung geführt. Im vorliegenden Band wird Kalter Krieg als ein Stück transnationaler Gesellschaftsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstanden. Der geplante umfangreiche Band zur Kulturgeschichte des Kalten Krieges in Europa müsste die Annahme, die hier nur auf die beiden deutschen Staaten bezogen wird, für das übrige Europa überprüfen: dass nämlich ähnliche Erfahrungen der industriellen, technologischen und urbanen Moderne zu ähnlichen Problemlösungen und Verhaltensmustern disponieren. Zur Diskussion der These sind Massenmedien eine außerordentlich ergiebige Quelle. Sie waren im Kalten Krieg politisches Kampfmittel und Hersteller sozialer und kultureller Wirklichkeiten zugleich. Wie weit der für die USA der späten 1940er bis frühen 1960er Jahre entwickelte Interpretationsansatz der Cold War Culture auf europäische Verhältnisse mit stärkerer Differenzierung der Gesellschaften anwendbar ist, bleibt für Lindenberger eine noch offene Frage, die wohl erst im geplanten Folgeband erörtert werden kann. Massenmedien waren in den 1950er Jahren bei starkem wirtschaftlichem Wachstum ein bedeutender Faktor der Systemkonkurrenz. Umgekehrt ist die Systemkonkurrenz auch als spezieller Zeitabschnitt in der transnationalen Ausbreitung moderner Massenmedien zu interpretieren. Der rapide zunehmende Massenwohlstand in den USA wurde zum weithin akzeptierten Maßstab für den Erfolg eines Gesellschaftssystems und machte die Legitimitätschancen der kommunistischen Systeme abhängig von der Annäherung an ähnliche Erfolge. Fazit von Lindenbergers Überlegungen ist, dass der Staatssozialismus ,,von innen her nicht zuletzt an der Unvereinbarkeit von institutionalisiertem Wahrheitsanspruch und Massenkultur" scheiterte. Die Thesen des Bandes beziehen sich ausdrücklich nur auf Europa, weil die Systemkonkurrenzen in anderen Weltregionen mit anderen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen verbunden sind. Die hier versammelten Beiträge folgen keinem einheitlichen medientheoretischen Konzept, was auch angesichts der thematischen Breite und heterogenen geschichtswissenschaftlichen Zugriffe kaum möglich gewesen wäre. Vielmehr erweisen sich der theoretische Eklektizismus und die unterschiedliche Akzentuierung von Sozial-, Kultur-, Politik- und Mediengeschichte in den einzelnen Beiträgen als tragfähig und fruchtbar.

Das Spektrum der bearbeiteten Medien ist umfassend und reicht vom Spielfilm über Publizistik, Hörfunk, Zeitschriften, Wochenschau bis zum Fernsehen. Der Spielfilm als das in den 1950er Jahren wirkungsvollste Medium nimmt mit drei Beiträgen den breitesten Raum ein. Ulrike Weckels Darstellung des Grenzgängers Wolfgang Staudte zeigt, wie jemand beim Versuch des Ausstiegs aus dem Blockdenken an Grenzen stieß. An den Filmbeispielen ,,Der Untertan", ,,Rosen für den Staatsanwalt" und ,,Kirmes" entwickelt Weckel Staudtes Bemühungen um Figurenensembles, die in zeitgleichen ost- und westdeutschen Produktionen sonst nicht zu finden sind: keine heldenhaften Antifaschisten, wie meist in anderen DEFA-Filmen, wohl aber opportunistische Mitläufer, die in westdeutschen Produktionen sonst kaum auftauchten. Staudte inszenierte sich als ,,über den Fronten schwebender Freigeist", wie Weckel treffend formuliert. Das von Staudte erhoffte selbstkritische Publikum, das sich mit der NS-Zeit auseinandersetzen wollte, fand er weder in Ost-, noch in Westdeutschland, er blieb eine Ausnahmeerscheinung.

Im folgenden Beitrag geht Bernd Stöver auf das Genre des Cold War Movie ein, das die DEFA nach der ersten Berlinkrise 1948/49 mit mehreren Produktionen bediente. Am erfolgreichsten wurde ,,For Eyes Only" (1963). In diesem Mauerfilm flüchtet ein Agent der DDR mit der Datei westlicher Agenten in der DDR von West nach Ost. Hintergrund dieses und anderer Filme dieses Genres war die Annahme, dass die amerikanische Befreiungspolitik in einem westlichen Angriff auf die DDR am ,,Tag X" münden werde. Stöver geht von der These aus, dass neue Informationen immer nur selektiv wahrgenommen und übernommen werden und besonders wirksam sind, wenn sie vorhandene Vorstellungen bestätigen und ergänzen. Für die Cold War Movies heißt das: Die Charakterisierung von Typen als negativ oder positiv muss stimmig sein, das Bild des Westens muss an 1945 anknüpfen und mit dem NS in Verbindung gebracht werden. Der Spielfilm zur Befreiungspolitik wurde die wichtigste mediale Brücke zur offiziellen Propaganda. Der ,,dokumentare" Film, wie Maetzig ihn begründete, wurde zur politischen Beweisführung eingesetzt. Wenn er spannend und gut gemacht war, konnte er langfristige Einstellungen bestärken.

Im dritten Beitrag zum Spielfilm fragt Lars Karl nach der Rezeption des sowjetischen Kriegsfilms in SBZ und DDR 1945-1965. Interessant ist die Darstellung der Schwierigkeiten bei der Vermittlung eines positiven Bildes der Sieger. Sowjetische Kriegsfilme wurden von deutschen Stellen als ungeeignet für Jugendliche abgelehnt, Filme zum Stalinkult waren unpopulär - weniger aus politischen Gründen als wegen der künstlerischen Qualität. Das ,,Tauwetter" nach dem XX. Parteitag leitete die Wende in der sowjetischen Spielfilmproduktion ein. Die Kriegsthematik wurde aus dem Schema antifaschistischer Rhetorik und Heroisierung gelöst und zeigte individualisierte Kriegserfahrung. Lars Karl nimmt an, dass diese Filme in der DDR auf größeres Interesse als frühere Produktionen stießen. Die DDR-Führung nutzte dies zur Propagierung der ,,Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" und erhoffte sich Impulse zur Aussöhnung ehemaliger Kriegsgegner.

Während in den Filmbeiträgen der Kalte Krieg aus westlicher Sicht nicht vorkommt, thematisiert Markus M. Payk konservative Mobilisierungsbemühungen in den Öffentlichkeiten der späten Ära Adenauer. Die Publizisten William S. Schlamm und Winfried Martini werden mit den begleitenden Pressekampagnen als mediale Akteure vorgestellt. Der Antikommunismus als dominierende Integrationsideologie verschaffte ihnen eine gewisse Resonanz. Auch wenn diese publizistischen Produkte keine Mehrheit in der BRD repräsentierten, lieferten sie der DDR Argumente zum Bild des Westens und der BRD. Payk mahnt Forschungen zur konservativen transnationalen Verflechtung an - ein Desiderat für den Folgeband. Mit der Untersuchung der Hörfunkkommentare der katholischen Kirche aus Berlin 1950-1962 liegt ein weiterer Beitrag zum antikommunistischen Spektrum vor. Christine Bartlitz geht davon aus, dass Kalter Krieg nicht nur Blockbildung auf internationaler Ebene bedeutete, sondern auch Auseinandersetzung zweier konkurrierender Weltanschauungen war. Die Diözese Berlin umfasste ganz Berlin und die Katholiken in den angrenzenden Gebieten der DDR. Wegen der großen Reichweite des RIAS war die antikommunistische Medienarbeit des Bistums Berlin an der Nahtstelle zweier Systeme von besonderer Bedeutung. Sie lag in den Händen von Prälat Walter Adolph, dessen strikt antikommunistischer Kurs kirchenintern umstritten war. Einen Schwerpunkt seiner Kommentare bildete die Warnung vor kommunistischer Friedenspropaganda und vor der roten Diktatur, die gefährlicher sei als die braune. Nach Meinung der Autorin erleichterte die Nähe von christlichen und demokratischen Vorstellungen die Bindung an den demokratischen Verfassungsstaat und die weltanschauliche Annäherung an die westlichen Alliierten.

Uta C. Schmidt geht in ihrer Darstellung der geschlechterpolitischen Ordnungsvorstellungen in beiden deutschen Staaten von der ,,Schlüsselkinderzählung" aus. Sie versteht ,,Schlüsselkind" als Diskurselement, in dem sich die Gesellschaft der BRD selbst positionierte und den Konsens zum gesellschaftlichen Ort von Müttern festigte. Schmidt versteht die ,,Schlüsselkinderzählung" als geschlechterpolitische Inszenierung im Kalten Krieg. ,,Normalisierung" der gesellschaftlichen Ordnung war in Ost und West mit geschlechterpolitischen Vorstellungen verbunden, aber mit gegensätzlichen: Hausfrau und Mutter in Westdeutschland, konsequente Einbeziehung von Frauen in das Erwerbsleben in der DDR. In der ,,Schlüsselkinderzählung" wird indirekt die Systemkonkurrenz im Kalten Krieg verhandelt.

Uta Schwarz analysiert Wochenschauen aus Ost und West mit dem Ziel, ,,filmische Spuren von Tradition und Neukonfiguration auf der Ebene der Vergegenständlichung in Körper- und Geschlechtervorstellung nachzuzeichnen." Die westliche ,,Neue Deutsche Wochenschau"(NDW) unterlag direkter staatlicher Einflussnahme und kann insofern mit dem von der DEFA produzierten ,,Augenzeugen" verglichen werden. Die Autorin konzentriert den Vergleich auf die Darstellung von zwei Öffentlichkeiten: industrielle Produktion in Betrieben und Modenschauen/Messen. Die Bilder zeigen Maßstäbe von erstrebenswertem gesellschaftlichem Verhalten und Geschlechterstereotypen. Interessant sind die Verweise auf das, was nicht gezeigt bzw. gesagt wurde: In Ost wie West waren Frauen in untergeordneten Positionen selbstverständlich und nicht erklärungsbedürftig. Im Westen blieb das Bild der engagierten erwerbstätigen Frau bis Ende der 50er Jahre ein Tabu. Faktisch nahm im Westen die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern zu, während im Osten mehr Teilzeitarbeit angestrebt wurde.

Thomas Heimann untersucht den Programmaustausch des DDR-Fernsehens in den 60er Jahren. Wegen der hohen Produktionskosten war der internationale Programmaustausch eine ökonomische Notwendigkeit, d.h.das Medium überschritt die vom Kalten Krieg gezogenen Grenzen. Im Fall von importiertem Westmaterial entstand dabei ein permanenter Drahtseilakt zwischen ideologiegeleiteter Programmpolitik und pragmatischem Handeln. Nach Heimanns Forschungen erzwangen die Gesetze des Mediums die Bezugnahme auf das internationale Medienangebot und entschärften damit den Krieg im Äther.

Die Beiträge bieten ein facettenreiches Bild der beiden deutschen Gesellschaften nach 1945 und zeigen Ähnlichkeiten und Unterschiede der Entwicklungen auf. So sind die Unterschiede in den Geschlechterordnungen eindeutig - bei gleichzeitigen Ähnlichkeiten wie der selbstverständlichen Frauenarbeit in untergeordneten Positionen. Heimanns Beitrag zum Programmaustausch im DDR-Fernsehen entspricht der These aus der Einleitung, dass Erfahrungen der industriellen Moderne zu ähnlichen Problemlösungen disponieren. Insgesamt hätte man sich in den Beiträgen einen stärkeren Bezug auf den Einleitungstext gewünscht. So bleiben die interessanten Einzelstudien unverbunden nebeneinander stehen, was kaleidoskopartig wirkt. Insgesamt ist ein wichtiger Beitrag zur Mediengeschichte als Zeitgeschichte entstanden und man darf auf den Folgeband gespannt sein.

Irmgard Wilharm, Hannover


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | 06. November 2006