ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Zeitschriftenschau

"Journal of Modern European History - Zeitschrift für moderne europäische Geschichte - Revue d'histoire européenne contemporaine"

Seit 2003 ist das Journal of Modern European History (JMEH) auf dem Markt, das gleichzeitig neben dem englischen Haupttitel als deutsche Ausgabe unter "Zeitschrift für moderne europäische Geschichte" sowie in französischer Übersetzung als "Revue d'histoire européenne contemporaine" im Verlag C. H. Beck erscheint. Wie bereits die mehrsprachige Titelei andeutet, handelt es sich bei dem Unternehmen um den Versuch, "nationale Grenzen zu überwinden". Auf dem Feld der europäischen Geschichte sollen, so lautet gewissermaßen das Idealziel der Herausgeber, ,,Impulse zur Begründung und zum Ausbau einer ‚gemeinsamen internationalen Fachkultur'" vermittelt werden.(1)

Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, haben sich die Herausgeber, ein Kreis renommierter Neuzeithistoriker und -historikerinnen aus sieben Ländern,(2) auf verschiedene Grundsätze verpflichtet. Dazu gehört an erster Stelle die international vergleichende Anlage der halbjährlich erscheinenden Hefte. Damit ist jedoch nicht nur Komparation im engeren Sinne gemeint, wie es im Editorial der Zeitschrift heißt, sondern ausdrücklich wollen die Herausgeber die Erforschung transnationaler Fragestellungen, den internationalen Transfer sowie die Behandlung "relationaler Aspekte" fördern. In methodischer und theoretischer Hinsicht hat man sich ebenfalls auf ein denkbar offenes Verfahren geeinigt. Im Grunde finden Fragestellungen aus allen Teilfächern der Geschichtswissenschaft Berücksichtigung. Konkret heißt dies: Das JMEH stellt eine allgemeinhistorische Zeitschrift dar, deren Beschreibungszeitraum zunächst die vergangenen drei Jahrhunderte abgibt, was jedoch die Ausweitung auf Themen aus früheren Epochen nicht grundsätzlich ausschließt.

Den Einstieg suchten die Herausgeber im Jahr 2003 mit einer Aufsatzsammlung zu "Gewalt und Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg". Zuletzt kamen Abhandlungen zu "Festen in Diktaturen" (2006/1) zum Abdruck. Aus den jeweiligen Oberthemen ergeben sich die weiteren Schwerpunkte der bisherigen Hefte: Sie beschäftigen sich mit der Entwicklung kommunistischer Regime nach dem Zweiten Weltkrieg, der Geschichte agrarischer Gesellschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Zensur in der Frühen Neuzeit sowie dem Thema "Christliche Kirchen und Religion im 20. Jahrhundert". Wie wichtig den Herausgebern der Rückbezug auf neueste Forschungstendenzen ist, wird nicht nur an den Schwerpunktthemen ersichtlich, sondern vor allem im Forum. So enthält jedes Heft einen Grundlagenbeitrag zu übergreifenden Problemen und Fragestellungen der Geschichte Europas, geschrieben von erfahrenen Fachvertretern. Insbesondere in diesen sehr gelungenen Forschungsaufrissen, die durchaus quer zum Fokus des Rahmenthemas stehen können, wird der transnationale Anspruch des Unternehmens deutlich. Dazu zählen etwa James Sheehans Abhandlung "What it means to be a state" oder auch Dieter Langewiesches Betrachtungen "Zum Wandel von Krieg und Kriegslegitimation in der Neuzeit". Zu deren Vorzügen gehört, dass sie nicht nur einen gedankenreichen Überblick über die Forschungsliteratur geben, sondern darüber hinaus Anregungen für weitere Untersuchungen vermitteln. Ähnliches gilt für die vorzüglichen Betrachtungen Jürgen Osterhammels zu "Europamodellen im imperialen Kontext" oder auch Christophe Charles Essay über die Nachgeschichte "imperialer Gesellschaften" im Gefolge der früheren europäischen Kolonialherrschaft; Bruno Bongiovannis begriffsgeschichtlicher Essay zum Totalitarismus fällt im Vergleich dazu etwas ab.

Ohne jeden Zweifel löst das jeweilige Forum den Anspruch auf Internationalität und Transnationalität ein. Ob freilich der gleichberechtigte Abdruck von Manuskripten auf Deutsch, Englisch und Französisch in die gleiche Richtung weist, erscheint fragwürdig. So wurde bisher jeweils rund die Hälfte der Beiträge in deutscher und englischer Sprache publiziert, während das Französische mit fünf Aufsätzen und den Zusammenfassungen eine zu vernachlässigende Größenordnung abgibt. Angesichts eher nachlassender Sprachkompetenzen nicht nur der Studierenden in Deutschland (Kollegen aus Großbritannien berichten über nur noch schwache Kenntnisse des Deutschen; in Frankreich oder auch Italien sieht die Lage kaum besser aus, und auch in Ostmitteleuropa überwiegen mittlerweile die Kenntnisse des Englischen) wäre die klare Entscheidung zugunsten des Abdrucks rein englischsprachiger Abhandlungen sicherlich sinnvoll.

Zwar ist es jetzt noch zu früh für ein fundiertes Urteil über ein Unternehmen, das gerade erst mit sechs Heften in Gang gekommen ist. Dennoch dürfte es nützlich sein, eine vorläufige Leistungsbilanz zu ziehen: Zum einen, um die Chancen und Risiken des Projektes näher auszuloten, das einen Neuaufbau in einem schwieriger gewordenen Umfeld anstrebt. Denn ungeachtet der beträchtlichen Zunahme international vergleichend und transnational angelegter Forschungsprojekte in den letzten Jahren bleibt die anhaltende Dominanz nationaler Fachkulturen ein nicht zu übersehender Tatbestand. Zum anderen, um festzustellen, inwiefern die weiteren Zielvorgaben der Herausgeber bislang eingelöst werden konnten und um herauszustellen, welches Verständnis von Europa die bisherigen Hefte widerspiegeln.

Obwohl der Beck Verlag auf Anfrage keine Angaben über die bisherigen Absatzzahlen macht, deuten Hinweise aus verschiedenen Quellen auf einen bisher unbefriedigenden Verlauf des Vorhabens hin, jedenfalls aus verlegerischer Perspektive.(3) Die Ursachen hierfür liegen zu einem gewichtigen Teil in den weiteren Rahmenbedingungen und Konjunkturen des wissenschaftlichen Publikationsmarktes begründet. Bei dem Blick auf den wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt der letzten Jahre sticht zunächst die Tendenz zu einer fortlaufenden Binnendifferenzierung und Spezialisierung ins Auge.(4) Was nach dem Zweiten Weltkrieg von Vertretern der damals neuen Sozialgeschichte in Gang gebracht wurde (etwa mit Past and Present, seit 1959; in der Bundesrepublik weit später mit Geschichte und Gesellschaft), ist seit den 1980er Jahren zu einem immer breiteren Strom angeschwollen. Dies zeigt sich auf dem Gebiet der Ideengeschichte (History of Political Thought; seit 1980) oder der Biographieforschung (Bios, seit 1988), der Kultur- und Mentalitätsgeschichte (Historische Anthropologie, seit 1993), der Gendergeschichte (L'Homme, seit 2003) oder der Universal- und Weltgeschichte (Journal of Global History, seit 2006), um hier nur ausgewählte Beispiele zu nennen: Überall streben jeweils neu konstituierte Herausgebergremien danach, für ihre Themen und Thesen jeweils ein eigenständiges Forum aufzubauen. Ganz offensichtlich dient ihnen hierbei die Fachzeitschrift als Instrument zur fachlichen Absicherung und Durchsetzung spezifischer Forschungs- und Deutungsperspektiven.

Während in Großbritannien in den letzten Jahren vor allem die Verlage die neue Zeitschriftenkonjunktur anheizten und in Frankreich die zeitweilige Popularität der Annales-Schule einen wichtigen Schub auslöste, brachte die deutsche Einheit in der Bundesrepublik insofern eine Sonderkonjunktur mit sich, als verschiedene vormals ostdeutsche Fachorgane nun in neuem, gesamtdeutschen Kleid weiter aufgelegt wurden. In veränderter Gestalt wurde so die innerdeutsche Konkurrenz fortgesetzt. Das gilt etwa für die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft oder auch das Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Zu den wichtigeren Neuerscheinungen auf dem deutschsprachigen Zeitschriftenmarkt zählen die Zeithistorischen Forschungen, die sowohl in einer gedruckten Fassung als auch als Online-Version erscheinen und damit in Konkurrenz zu den bereits lange etablierten Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte stehen. Überhaupt haben das Internet und die jetzt stattfindende Ausbreitung elektronischer Zeitschriften den Wandel der fachlichen Kommunikation auf dem Zeitschriftensektor zusätzlich beschleunigt. Vor allem im Bereich der Rezensionszeitschriften zeigen sich schon jetzt deutlich die Vorzüge des neuen Mediums, wenn auch keineswegs von einem Siegeszug der elektronischen Medien in den Geschichtswissenschaften gesprochen werden kann.

Wenn man das JMEH in den Strom der neueren Entwicklungen einordnet, so tritt der bereits angesprochene Versuch zur Reetablierung einer allgemeinhistorischen Zeitschrift mit einem relativ breiten Epochenspektrum umso deutlicher zum Vorschein.(5) So sehr man auf der einen Seite den breiten Anspruch begrüßen mag, und viele Leser der zunehmend auf Teilgebiete und Spezialfragen angelegten Konkurrenz tun dies ausdrücklich, so schwierig erscheint es auf der anderen Seite, der Zeitschrift damit ein hinreichend klares Profil verleihen zu können, um sie zu einem kontinuierlich genutzten Referenzorgan einer weiter oder enger definierten wissenschaftlichen Fachgemeinschaft aufbauen zu können. Neben den grundsätzlichen Anlaufschwierigkeiten bei allen Neugründungen erweist sich weiteres als ausschlaggebend: Zunächst einfach die Tatsache, dass die Europaforschung weder in der Bundesrepublik noch im europäischen Ausland auf stabilen Fundamenten beruht. Obwohl in Deutschland in den letzten Jahren mehrere Professuren für europäische Geschichte ausgeschrieben wurden, liegen die Schwerpunkte der bisherigen Publikationen weiterhin eindeutig im nationalen, meist deutschen Rahmen. Selbst die neue Kulturgeschichte konnte bislang nur selten den nationalen Horizont überwinden. Wenig tröstlich wirkt in diesem Zusammenhang die Lage in den europäischen Nachbarländern, sieht es dort doch meist nicht besser, sondern eher noch schlechter aus. Spezialisten mit Kenntnissen der Geschichte Europas sind rar! Überdies ist keineswegs ausgemacht, ob das inzwischen gewachsene Interesse an außerdeutschen Themen primär einer Beschäftigung mit der Geschichte Europas zugute kommt oder nicht vielmehr Arbeiten zu globalen historischen Problemen hiervon profitieren. Keineswegs muss das eine das andere ausschließen, aber in Zeiten knapper werdender Mittel fällt die Konkurrenz zunehmend schärfer aus. Zusätzlich absorbieren viele neue Spezialzeitschriften und nicht zuletzt das Internet mit seinen aktuellen Debatten die Aufmerksamkeit von geschichtswissenschaftlich interessierten Lesern. Kaum einer kann heute daher noch ernsthaft von sich behaupten, eine systematische Durchsicht aller neuen Fachzeitschriften zu bewerkstelligen.

Aber auch das Thema "Europa" selbst wirft sowohl als Geschichtsraum als auch als historiographischer Referenzraum vielfältige Probleme auf. Das wird unter anderem durch den genaueren Blick auf die bislang im JMEH zum Abdruck gekommenen Beiträge deutlich. Denn ungeachtet des englischen Haupttitels ist die deutschsprachige Präponderanz in der Autorenschaft überhaupt nicht zu übersehen. In Zahlen ausgedrückt ergibt sich: Von den rund 40 Beiträgern und Beiträgerinnen stammt fast die Hälfte aus Deutschland. Zudem werden fünf der sechs Halbjahresbände von deutschen Herausgebern besorgt, nur ein Teilband von einem Italiener (Edoardo Tortarolo). Das muss nicht überraschen bei einer Zeitschrift, die von einem deutschen Verlag herausgegeben wird, aber doch stehen diese Ergebnisse teilweise in einem Widerspruch zu den Zielen der Herausgeber, weil damit fast zwangsläufig Forschungstendenzen und -kontroversen aus dem deutschsprachigen Kontext überwiegen. Auch im Hinblick auf die zeitlichen Schwerpunkte sind Präferenzen auszumachen, die dem Anspruch auf den breiten epochalen Zuschnitt des Vorhabens nicht gerecht werden. Das Zwanzigste Jahrhundert steht im Vordergrund und hiervon vor allem die erste Hälfte, wohingegen die Jahrzehnte zwischen 1800 und 1850 fast gänzlich ausgeblendet bleiben und auch andere Epochen mehr randständig erscheinen. Sicherlich hängt dies auch mit der einfachen Tatsache zusammen, dass bislang nur sechs Hefte erschienen sind, das Spektrum also notwendig noch sehr klein ist. Doch liegen der angeführten Schwerpunktbildung eben auch die Forschungsinteressen aus dem Herausgeberkreis zugrunde. Schon eine Stichprobe vermag den Tatbestand, der vielen ohnehin bekannt sein dürfte, aufzudecken.

Als eine sehr erfreuliche Entwicklung kann man hingegen das breite Länderprofil werten, das von den Beiträgen insgesamt erfasst wird. Weit über die Inhalte der Foren hinaus - in 17 von insgesamt 40 Beiträgen - werden Fragen zur weiteren europäischen Geschichte (mehr als zwei Länder betreffend) angeschnitten. Daraus ergeben sich zahlreiche Anstöße für weitergehende Reflexionen und für Versuche, europäische Geschichte zu schreiben. Zudem findet in den entsprechenden Abhandlungen nicht nur die westeuropäische Geschichte Berücksichtigung, sondern ausdrücklich gehören zum hier abgebildeten europäischen Raum ebenso all die Gebiete, die vor 1989 unter "Osteuropa" figurierten. Vor allem Russland, aber auch die Tschechoslowakei und Polen sind bislang zum Gegenstand weiterführender Betrachtungen gemacht worden, wobei allerdings nicht übersehen werden darf, dass im West-Ost-Vergleich die herkömmlichen Perspektiven - sprich die westeuropäische - Dominanz erhalten geblieben ist. Das Resultat ist jedoch nicht zuletzt einer anhaltend schwierigen Forschungslage mit Brüchen entlang der alten Ost-West-Blockgrenzen geschuldet.

Problematischer wirkt hingegen die Entscheidung der Herausgeber für Themenhefte mit teilweise zu engem oder auch nur herkömmlichem Periodisierungsschema. Mit einer solchen Entscheidung steht das JMEH keineswegs allein, denn auch die Herausgeber vieler anderer Zeitschriften haben sich in den letzten Jahren - aus nahe liegenden Gründen - für einen solchen gleichen Weg entschieden, darunter in der Bundesrepublik der Kreis um Geschichte und Gesellschaft. Was auf den ersten Blick, selbst aus der Perspektive des Nutzers, als ein Vorzug gelten mag, entwickelt sich jedoch regelmäßig in relativ knapper Zeit zu einem Nachteil. Denn solche Hefte veralten ebenso schnell wie die heute überhand nehmenden Sammelbände mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Tagungen. Da auch hier die Internationalität zum Markenzeichen geworden ist, bieten die Konferenzakten meist mehr als die wenigen Aufsätze des JMEH es grundsätzlich überhaupt erreichen können. Sicher: Nicht alle sechs vorliegenden Hefte wirken wie Kurzfassungen von neuen oder bereits älteren Sammelbänden, aber doch fragt sich, um hier ein Beispiel zu benennen, ob fünf Beiträge zur Geschichte der Zensur in der Frühen Neuzeit mit den geographischen Schwerpunkten Italien, Frankreich und Skandinavien in thematischer Hinsicht das "europäische Element", den Transfer oder gar die Transnationalität dieser Fragestellung hinreichend abdecken können. Hier bleibt doch manches eher in der handelsüblichen Komparation stecken.

Vor allem das von Friedrich Wilhelm Graf und Lutz Raphael herausgegebene Heft über "Christian Churches and Religion in the 20th Century" (2005/2) zeigt jedoch, dass es auch anders geht: Hier wird umfassender als in den anderen Heften in die Grundprobleme der Epoche eingeführt (in die christlichen Glaubenswelten des 20. Jahrhunderts), origineller als in herkömmlichen Ansätzen verglichen ("Die Deutschen Christen im Nationalsozialismus und die Lebendige Kirche im Bolschewismus" sowie "Cinéma et religion dans l'Europe du XXe siècle"). Außerdem handelt es sich auch deswegen um ein wegweisendes Heft, weil es die Neugierde in bislang nur wenig erforschten Bereichen (Religious Crises of the 1960s) weckt. So arbeiten Hugh Mcleod nicht nur verschiedene Phasen einer religiösen Krise in den langen 1960er Jahren heraus, sondern er verknüpft diese geschickt mit dem Wandel generations- und geschlechtsbedingter Einstellungen. Zusätzlich werden, was zum kontinuierlichen Ausweis des JMEH gehören sollte, in einem Abschlussbeitrag weiterführende Fragestellungen - hier zur Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts - formuliert. Mit der ihm eigenen Polemik richtet sich Friedrich Wilhelm Graf an dieser Stelle gegen das ,kulturalistisch' überformte Interesse an Kirche und Religion aus den letzten Jahren. An der Stelle einer überbordenden Konzentration auf "weiche Elemente des Religiösen" wünscht er sich mehr ,hard science', also etwa die präzise Erforschung der ökonomischen Grundlagen religiöser Organisationen oder eine Sozialgeschichte kirchlicher Berufe, wobei er zugleich vor falschen Alternativen warnt. Harte und weiche Themen müssen sich ja weder auf dem Feld der Religionsgeschichte noch in anderen Themenfeldern ausschließen.

Ein solch offenes Modell, wie es im vorliegenden Heft zur Religionsgeschichte präsentiert wird, ließe sich auf weitere Themenbereiche erweitern, wobei von Vorteil sein dürfte, herkömmliche Periodisierungsgrenzen zu durchbrechen, ja die Periodisierung der europäischen Geschichte selbst zu einem Thema zu machen. Denn was dem einen die neuere Geschichte ist, gehört für den Historiker aus einem anderen Land Europas zur neuesten Geschichte, zur Zeitgeschichte. Und dass die Weltkriege, um hier nur ein Beispiel zu nennen, nicht in allen Ländern Europas zum gleichen Zeitpunkt einsetzten und aufhörten, dass auch ihre Folgewirkungen gerade in den Ländern beträchtlich waren, die regelmäßig dem Horizont des Historikers entgleiten - Serbien wäre ein Beispiel -, gehört leider bis heute weder zum Kenntnisstand unter Studierenden noch zu dem einer weiteren Fachgemeinschaft. Durch den originellen Zuschnitt von Themen- und Epochenbereichen sowie den internationalen Vergleich von Forschungsmethoden ließen sich sehr unterschiedliche Rahmensetzungen denken. Allerdings mangelt es dem JMEH, abseits der Beiträge im Forum, bislang an einer ausgeprägten Bereitschaft zur Diskussion grundsätzlicher Fragen, die sich aus dem Konzept "Geschichte Europas" ergeben. Dazu gehören beispielsweise Überlegungen zu all den Bereichen, die Europa letztlich ausmachen, geographisch, historisch und kulturell. Es kann hierbei sicher nicht nur darum gehen, die Diskussionen nachzuzeichnen, wie sie auch andernorts, etwa im Jahrbuch für Europäische Geschichte, der Zeitschrift Central European History oder auch über das Internet-Portal H-Soz-u-Kult in den letzten Jahren geführt worden sind. Noch weniger ist darunter der Appell zu normativen historiographischen Setzungen zu verstehen. Doch liegt in den Überlegungen über die Grenzen der Geschichtsregionen in Europa, vor allem im Blick auf die Territorien, die meist eher weiße Flecken bleiben (Südosteuropa oder auch der äußerste Westen), aber auch in den Diskussionen über die Bedeutung der Nationalgeschichte im Verhältnis zu transnationalen Entwicklungen ebenso wie in der Reflexion über Signaturen der europäischen Geschichte im globalen Kontext weiterhin viel Sprengkraft enthalten. Eine Zeitschrift mit dem Anspruch auf eine Repräsentation der Geschichte Europas in der neueren und neuesten Zeit kann eine solche Grundlagendiskussion nicht stillschweigend anderen Organen überlassen. Weiterhin gehört eine intensive und vergleichende Debatte über die Strukturen nationaler Fachkulturen zur notwendigen Selbstreflexion des hier präsentierten Ansatzes. Im Grunde haben es sich die Herausgeber in ihrem Editorial etwas zu einfach gemacht. Zwar konstatierten sie dort den entsprechenden Sachverhalt, aber sie untersuchen ihn nicht. Überdies könnte die Zeitschrift an Aktualität und Zuspruch gewinnen, wenn sie konsequent die Diskussion wichtiger Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Europäischen Geschichte suchte. Wo, wenn nicht an diesem Ort, darf man beispielsweise eine Leitbesprechung von Tony Judds Buch über die Geschichte Europas seit 1945 erwarten, um nur ein Beispiel aus der Welt der Neuerscheinungen zu benennen?

Ohne Teilkorrekturen auf dem bislang eingeschlagenen Weg wird es also, so die hier vertretene Einschätzung, nicht weitergehen können. Sowohl den Herausgebern als auch dem Verlag bleibt jedoch zu wünschen, dass ihr Projekt alsbald in eine ökonomisch erfolgreiche und damit überlebensfähige Phase eintritt. Denn dass es einer geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift zur Geschichte Europas mit dezidiert internationalem Anspruch bedarf, daran konnten und können weiterhin keine Zweifel bestehen.

Christoph Cornelißen, Kiel


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | 31. Oktober 2006 (Korrektur: 10.2.2010)