ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Martin Kohlrausch, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie (Elitenwandel in der Moderne; Bd. 7), Berlin: Akademie Verlag, Berlin 2005, 536 S., geb., 59,80 €.

Wilhelm II. gilt in vielfacher Hinsicht als ,,media monarch" (Christopher Clark). So wurde er als der ,,erste deutsche Filmstar" (Martin Loiperdinger) bezeichnet, als meist karikierte Persönlichkeit des späten Kaiserreiches untersucht (Jost Rebentisch), und die Konflikte um sein öffentliches Auftreten, wie die Daily Telegraph Affäre oder die Hunnen-Rede, zählen in vielen Überblicksdarstellungen zu den zentralen Ereignissen des Kaiserreiches. Dank seiner zahllosen öffentlichen Auftritte war der Kaiser für viele Zeitungen und Zeitschriften einer der wichtigsten kontinuierlichen Referenzpunkte. Ebenso bediente er sich der Medien, wie jüngst eine Berliner Ausstellung über Monarchien und Massenmedien verdeutlichte.

Trotz verschiedener Einzelstudien ist dieser Zusammenhang zwischen Medialisierung und Monarchie bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Martin Kohlrauschs Dissertation liefert einen wichtigen und interpretationsfreudigen Beitrag zu dieser Thematik. Er geht der Frage nach, wie sich die Monarchie durch das Aufkommen von Massenmedien veränderte. Mit einem diskurshistorischen Ansatz will der Autor insbesondere anhand von Presseausschnittssammlungen über Wilhelm II. sprachliche Strategien und Regeln ausmachen, wobei zweitrangig bleiben soll, ,,wer etwas sagte und welches die Intentionen des Autors waren." Bildmedien weist Kohlrausch eine untergeordnete Rolle zu. Vielmehr konzentriert er sich auf vier Fälle, deren Gemeinsamkeit in ihrem Skandalcharakter gelegen habe: Die Caligula-Affäre 1894, die Eulenburg und die Daily-Telegraph-Affäre 1908 und den Rücktritt des Kaisers 1918.

Nach einer generellen Einführung über die Entwicklung der Massenmedien um 1900 und deren Bedeutung für die Monarchie fasst er die Caligula-Affäre als Tabubruch auf, der vorher erkannte Probleme verhandelbar machte. Sie entzündete sich bekanntlich an der kaum verhüllten Caligula-Gleichsetzung von Ludwig Quidde, die durch eine scheinbar empörte Besprechung der ,,Kreuzzeitung" ein Publikumserfolg wurde. Diese Affäre habe dabei die Überspanntheit der veröffentlichten Erwartungen offenbart und die Problematik der Jugendkaiseridee und die Individualisierung des Monarchen gezeigt. Indem sie die Grenzen der positiven Kommentierung markierte, unterstrich sie das Primat der öffentlichen Meinung. Der breite Metadiskurs über den Kaiser sei dabei der eigentlich skandalöse Aspekt der Affäre gewesen. Eine Restabilisierung sei dadurch erreicht worden, dass durch die Öffentlichkeit Bedingungen für die Unterstützung der Monarchie herausgestellt wurden.

An die Caligula-Affäre schließt Kohlrausch den Eulenburg-Skandal 13 Jahre später an, mit dem die Kommentierung des Monarchen in eine neue kritische Phase getreten sei. Das Krisenbewusstsein des Jahres 1906 ging mit der Vorstellung einher, der Kaiser würde sich nicht mehr ändern. Dem Kamarillatopos weist er dabei eine zentrale Bedeutung zu, weniger der verhandelten Homosexualität, die Harden dem Kaiserumfeld vorgeworfen hatte. In der Darstellung des Prozesses gerät allerdings der Monarch etwas aus dem Blickfeld, zumal dieser eben nicht explizit im Mittelpunkt des Geschehens stand. Die kurz darauf folgende Daily-Telegraph-Affäre sei zum Skandal geworden, weil der Fehltritt sinnbildhaft für vorausgegangene Fehlleistungen gestanden habe und die Annahme stärkte, der Kaiser würde sich nicht ändern. Die Bismarckentlassung galt dabei als Ausgangspunkt der Negativbilanz. Durchgesetzt hatte sich nun die Umdeutung, der Kaiser müsse vom Volk kontrolliert und erzogen werden. Nach 1908 hatten sich aus Enttäuschung über den Monarchen immer radikalere ,,Führerforderungen" durchgesetzt. Diese Führerkonzeption deutet Kohlrausch als ,,Ausfluß einer medial mobilisierten Gesellschaft". Die Monarchie sei auf die Person des Kaisers reduziert worden, und seine Flucht 1918 habe dementsprechend persönliches Versagen und Schwäche symbolisiert. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Skandal handelte, ist sicherlich diskutabel, wenn man das öffentliche ,Verschwinden' des Monarchen gegen Kriegsende berücksichtigt.

Die Stärken von Kohlrauschs Studie liegen darin, dass sie innovativ die öffentliche Kommunikation mit dem Kaiser interpretiert. Die eingeforderte und umgesetzte Kommunikation mit dem Kaiser deutet er als ein Element der Partizipation. Die Skandale hätten, als Surrogate für Wahlen, den Glauben an die demokratische Erweiterbarkeit und Steuerbarkeit der Monarchie durch die öffentliche Meinung gefördert. Der Monarch sei dabei bürgerlichen Leistungsbegriffen unterworfen worden.

Die Grenzen der Studie ergeben sich dagegen aus der Korrelation zwischen der begrenzten Fallauswahl und den teilweise sehr weitreichenden Deutungen. Ob etwa die Presse eine Übermacht gegenüber dem Parlament erreichte und eine Verlagerung der politischen Diskussion aus dem Parlament in die Presse erfolgte, kann man nicht allein an zwei Monarchieskandalen von 1907/08 feststellen. Schon ein Blick auf andere Skandale (etwa die Kolonialskandale 1906 oder die Korruptionsskandale 1912) legen etwas andere Ergebnisse nahe, da sie maßgeblich vom Reichstag aus öffentliche Akzente setzten. Dass ,,nur" die Monarchieberichterstattung die Medien hätte transformieren können, da nur diese ein verbindendes Top-Thema bildete (S. 297), spart ebenfalls andere Schlüsselthemen aus. Inwieweit sich tatsächlich über die Parteigrenzen hinweg gemeinsame Rhetoriken entwickelten, ließe sich sicherlich diskutieren. Ob dies ein strukturell, durch die Massenmedien bedingter Vorgang war oder auf deutsche Besonderheiten zurückzuführen war, hätte ein Seitenblick auf die Nachbarländer zeigen können. Ebenso hätte ein flüchtiger einführender Rückblick auf die Medienpräsenz von Monarchen vor Wilhelm II. Argumente schärfen können, auch wenn dies angesichts der Forschungslage nicht ganz einfach ist. Auch wenn es Kohlrausch weniger um die Genese von Skandalen als um Monarchenbilder geht, wäre es zudem denkbar gewesen, die eigenen Argumente an den zahlreichen weiteren Skandalen um Wilhelm II. zu schärfen. Den meisten Diskussionsstoff birgt sicherlich die These einer medial bedingten Führerkonzeption, die zumindest unausgesprochen vom Scheitern Wilhelms II. auf Hitler zu verweisen scheint und so einige Teleologie nahe legt, die andere Länder mit ähnlichen Medialisierungsprozessen nicht durchlebten.

Gerade dass Kohlrausch sich nicht auf die erneute Wiedergabe der vom Ablauf her erforschten Medienereignisse beschränkt, sondern vielfältige anregende Anstöße für Diskussionen bringt, zeichnet jedoch diese Arbeit aus. Selbst für eine derartige umfassende Kaiserforschung, wie John Röhl sie über Wilhelm II. betreibt, ist sie damit eine wichtige Ergänzung.

Frank Bösch, Bochum


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