Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Christine Beil, Der ausgestellte Krieg. Präsentationen des Ersten Weltkriegs 1914-1939, (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Bd. 97), Verlag Tübinger Vereinigung für Volkskunde e.V., Tübingen 2004, kart., 435 S., 26,00 €.
Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, in Großbritannien stets ,,The Great War" genannt, wurde in Europa lange von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs verdrängt. In den letzten Jahren hat die Forschung einige Versäumnisse wettgemacht - besonders seit sie, im Rahmen einer ,,Kulturgeschichte des Krieges", die Wirkung des Krieges auf die gesamte Gesellschaft ins Visier genommen hat. Christine Beils lesenswerte Dissertation über Kriegsausstellungen in der Zwischenkriegszeit, die im Rahmen des Sonderforschungsbereichs der Universität Tübingen ,,Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" entstanden ist, bietet einen interessanten Beitrag zu dieser Entwicklung. Ihre detailreiche Studie gibt einen wichtigen historischen Verweis für Museologen, Kuratoren und Historiker ab, die sich mit Fragen nach der Darstellbarkeit von Geschichte befassen und davon überzeugt sind, Ausstellungen als einflussreiches und normatives Medium der Gesellschaft betrachten zu können.
Kriegsausstellungen sind hierzulande ein historisches Phänomen. Heute sind sie praktisch nur als ,,Antikriegsausstellungen" realisierbar. Ausstellungsprojekte, die auch nur den Hauch einer Begeisterung für militärische Technik oder emphatischen Bewertung des Kriegsgeschehens verbreiteten, sähen sich schärfster Gegenwehr ausgesetzt. Dies war zwischen 1914 und 1939 völlig anders. Beil erklärt die damalige Entwicklung eines Ausstellungstypus', der mit seiner positivistischen Technikbegeisterung, seiner patriotischen Grundierung und besucherfreundlichen Ausrichtung bis in die Gegenwart bahnbrechend wirkte, wie man z. B. im Londoner Imperial War Museum oder im Air and Space Museum in Washington D.C. sehen kann: beides Orte, an denen Siege gefeiert, Kriege legitimiert und Militärtechnik als Abenteuer und Erlebnis dargestellt werden.
Während des Ersten Weltkriegs hatte es in Europa zahlreiche Kriegsausstellungen gegeben, bei denen technische und operative Leistungen des Heeres gewürdigt wurden. Im Deutschen Reich wurden diese Ausstellungen systematisch als Propagandamittel gegenüber der eigenen Bevölkerung eingesetzt und nahezu flächendeckend veranstaltet. Waffen der eigenen Armee, Beutewaffen und Beutefahnen wurden ausgestellt, begehbare Schützengräben und Unterstände für das Publikum nachgebaut. So errichteten Rekruten des Berliner Garde-Pionier-Ersatz-Bataillons bei der großen Kriegssaustellung 1916 im Zeughaus Schützengräben mit Unterständen, Minen- und Horchpostengängen, Wolfsgruben, Drahthindernisse und Ausfallstufen für Sturmangriffe, um den Berlinern ein anschauliches Bild der Front zu vermitteln - ein frühes Zeugnis des interaktiven ,Mitmachmuseums'. Die Ausstellungen wurden maßgeblich von Militärs konzipiert. Sie sollten u.a. die Bevölkerung beruhigen, indem das Neue und Besorgnis erregende, das der Krieg mit sich brachte, in technischer und ästhetischer Weise musealisiert wurde.
In der Weimarer Republik wurden thematische Ausstellungen zur Kriegsgeschichte ebenso wie Denkmäler, Filme oder Bildbände bald zu einem wichtigen Medium der Kriegserinnerung. Radikale Pazifisten und Kommunisten versuchten mit Ausstellungen den Schrecken des Krieges und die Skrupellosigkeit seiner Profiteure anzuprangern. Sie kombinierten dabei moderne künstlerische Mittel: Montage- und Collagetechniken sowie Environments mit traditionellen Museumsmethoden, sie kontrastierten Sarkasmus mit den Schreckensbildern der Zerstörung.
Der Pazifist und Anarchist Ernst Friedrich betrieb seit 1924 sein winziges Antikriegsmuseum in der Berliner Innenstadt. Friedrich hatte durch die Publikation des Bildbandes Krieg dem Kriege bereits eine gewisse Prominenz erreicht. Der Band zeigte in schonungsloser Weise Fälle von schweren Gesichtsverletzungen deutscher Soldaten. An der Tür des Museums stand: ,,Eintritt: Für Menschen 20 Pfg. Für Soldaten frei". Diese und andere Parolen führten mehrmals zu Gerichtsprozessen, in denen die Ankläger die Soldatenehre verletzt sahen. Viele zeitgenössische Beobachter setzten das Antikriegsmuseum in Relation zum Zeughaus und sahen in der Asymmetrie ein Menetekel der Remilitarisierung Deutschlands. Schulklassen und Jugendgruppen besuchten das Museum - sofern ihre Lehrer dazu die Initiative ergriffen. Am Ende der Weimarer Republik schüchterte die SA Besucher durch gezielte Überfälle ein.
Auch der kommunistische Rot-Front-Kämpfer-Bund erstellte im Zusammenhang mit dem ,,Antikriegstag" mehrmals Ausstellungen in einzelnen Berliner Stadtteilen. Im Gegensatz zum radikalen Pazifismus wurde das Kriegsgeschehen in den RFB-Ausstellungen in antiimperialistischer und revolutionärer Weise interpretiert. Den Gefallenen wurde posthum bescheinigt, für falsche, für kapitalistische Interessen gestorben zu sein, während gewaltsame Opfergänge für die Revolution legitim seien.
Es ist zu vermuten, dass die Ausstellungen Friedrichs oder des Rot-Front-Kämpfer-Bundes überwiegend im eigenen Lager Resonanz fanden. Dies hinderte die nationale Rechte oder auch Privatpersonen aber keineswegs daran, einzelne Ausstellungen, Publikationen oder Kunstwerke zu skandalisieren und vor Gericht zu bringen.
Noch im Krieg hatte Ludwig Justi, Direktor der Nationalgalerie, Kaiser und Parlament von seiner Idee eines Reichskriegsmuseums überzeugen können, das etwa fünf Jahre nach Kriegsende eröffnet werden sollte. Justi träumte von einem 50qm großen Westfrontrelief, von realitätsnahen Nachbauten der Gräben und Baracken, doch dazu kam es nicht. Im Zeughaus, dem zentralen Berliner Militärmuseum, hinterließen die von den Alliierten eingezogenen oder zerstörten Waffen und Trophäen zunächst einmal leere Sockel. Erst nach Jahren der Agonie eröffnete man im Herbst 1931 eine Weltkriegsausstellung, u. a. mit Flugzeugen der Fliegerhelden Oswald Boelcke und Manfred von Richthofen. Bald gehörte die Ausstellung neben dem Pergamon- und dem Schlossmuseum wieder zu den bestbesuchtesten der Stadt.
Parallel zu den heroischen Tendenzen im Kriegerdenkmalsbau, tauchten Anfang der 1930er Jahre Ausstellungen auf, die das Kriegsgeschehen mit Hilfe neuester Ausstellungstechnik simulierten und letztlich auch verklärten. Private Ausstellungsmacher nationalkonservativer oder nationalsozialistischer Provenienz schufen mit Hilfe von Modellbauern Schlachtfeldpanoramen, die von unzähligen Miniatursoldaten und verschiedenfarbigen Glühlämpchen bevölkert waren. Bewegliche Fahrzeuge und Truppenteile, detailverliebte Nachbauten von Reliefs und Grabensystemen, elektrische Effekte und geschickte Lichtregie bildeten eindrucksvolle ,,Rauminstallationen", oftmals von Veteranen in jahrelanger Arbeit angefertigt. 1931 wurde in der Nähe des Berliner Zoos ein 25qm großes Relief des Schlachtfeldes von Verdun präsentiert. Ausstellungen dieser Art arbeiteten mit avancierter Museumstechnik, historischer Detailtreue und Realitätsnähe, dennoch erweckten sie durch Miniaturisierung den Eindruck, Krieg sei plan- und beherrschbar. Die Panoramen und Reliefs wurden in Berlin an stark frequentierten Orten gezeigt, wie in der westlichen City und am Potsdamer Platz, teilweise sogar direkt in Kaufhäusern und in der Nähe der Spielzeugabteilungen. Öffentliche Stellen und die örtliche Presse unterstützten die Privatunternehmen mit Beihilfen und Werbung. Sie erreichten damit ein wahres Massenpublikum von Passanten auf Schaufensterbummel, Kindern, Invaliden oder Arbeitslosen, die sich in den Kaufhäusern die Zeit vertrieben. Die linken Antikriegsausstellungen konnten dagegen kaum ankommen.
Die Kriegserinnerung war in der Weimarer Republik ein wichtiges Feld der politischen Auseinandersetzung. Immer wieder haben heutige Forscher resümiert, Linke und Demokraten hätten politisch versagt, indem sie die Memorialkultur mit ihren Mythen, Legenden und Ritualen der Rechten überließen. Doch stimmt dieses Resümee? Die Linke setzte auf Aufklärung und Schock: Schreckensbilder von Verwundeten, zerstörte Gesichter und Körper, schonungsloser Realismus in Kunst und im Theater; doch dies wollte kaum jemand sehen, geschweige denn die desillusionierende Botschaft hören: ,,Eure Leiden sind umsonst gewesen!" Trost spendete dagegen die posthume Ehrung der Gefallenen im gewohnt pathetischen Stil des Kaiserreichs wie sie im rechten Lager angeboten wurde. Die radikale Linke hingegen präsentierte aktiv einen neuen Mythos: Der Weltkrieg als Präludium der Weltrevolution. Wer sich erfolgreich für die Revolution engagierte, verlieh den Weltkriegsopfern im Nachhinein einen Sinn. Republikaner und Sozialdemokraten wagten es dagegen nicht, laut zu sagen, der Sinn des soldatischen Opfertodes läge im späteren Gewinn der Demokratie - dazu war die politische und soziale Realität in der Weimarer Republik zu ernüchternd. Folglich bleibt die Frage, wie ein alternativer Kriegsmythos von Linken und Republikanern hätte aussehen können?
Christian Saehrendt, Berlin