ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Markus Albert Diehl, Von der Marktwirtschaft zur nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. Die Transformation der deutschen Wirtschaftsordnung 1933-1945 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Nr. 104), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, 195 S., brosch. 34,00 €.

Die Ordnungsökonomik ist wieder auf dem Vormarsch. Zu Recht, denn sie kann mit bemerkenswerten Ergebnissen aufwarten. Ein Beispiel ist die lesenswerte Dissertation von Markus Albert Diehl über die Transformation der deutschen Wirtschaftsordnung durch die Nationalsozialisten. Das Ergebnis seiner Analyse lautet: ,,Die deutsche Wirtschaftsordnung unter der nationalsozialistischen Herrschaft entfernte sich immer weiter vom Idealtyp der Marktwirtschaft und entsprach schließlich weitgehend dem Idealtyp der Zentralplanwirtschaft." (S. 179) Möglichen Kritikern, die das Fehlen einer zentralen Lenkungsstelle bemängeln werden, nimmt Diehl den Wind aus den Segeln. Dies ändere nichts am zentralplanwirtschaftlichen Charakter der deutschen Wirtschaftsordnung, denn entscheidend sei, ,,dass die marktwirtschaftliche Lenkung ausgeschaltet und jeweils durch die direkte Mengenlenkung zentraler Stellen ersetzt wurde." (S. 181)

Diehls gleichermaßen solide wie konzise Darstellung stützt sich auf zeitgenössische Veröffentlichungen, wegweisende Gesetze und Verordnungen sowie den aktuellen Forschungsstand. Sein theoretisches Rüstzeug stammt von den Neo- bzw. Ordoliberalen, besonders von Walter Eucken, der die beiden Idealtypen der Lenkung des Wirtschaftsprozesses entwickelt hat. In der Marktwirtschaft erfolgt die Lenkung über den Preis - Wettbewerb, stabile Währung und Konsumentenorientierung sind weitere wesentliche Merkmale. In der Zentralverwaltungswirtschaft erfolgt die Lenkung über staatliche Instanzen nach Gütermengen - Preise und Geld werden weitgehend überflüssig, die Konsumenten spielen eine untergeordnete Rolle, systemimmanente Fehldispositionen ziehen staatliche Interventionsspiralen nach sich.

Diehl widmet sich nach den theoretischen Grundlagen der Analyse der Teilordnungen, die er in Außen- und Binnenwirtschaft, Geldordnung und Staatsfinanzen gliedert. Detailliert untersucht werden die Ausschaltung des Preismechanismus in der Ernährungs- und der gewerblichen Wirtschaft, die Ausschaltung des Lohnmechanismus, die güterwirtschaftliche Lenkung der Ernährungs- und der gewerblichen Wirtschaft sowie die Lenkung des Arbeitseinsatzes. Eine zu knappe Skizze der Auswirkungen der güterwirtschaftlichen Lenkung auf die Konsumenten (Entmachtung), Unternehmer (Ausschaltung und Instrumentalisierung) und die Währung (Zerstörung) beendet die Studie.

Diehl schafft es, die Lücke einer ordnungstheoretischen Analyse der NS-Wirtschaft zu schließen. Anschaulich systematisiert er die Fülle der nationalsozialistischen Lenkungsmaßnahmen. In der Außenwirtschaft war die Marktwirtschaft ,,bereits vor 1933 weit gehend ausgeschaltet". (S. 43) Gleichwohl schalteten die Nationalsozialisten den Preismechanismus vollständig aus und koppelten Deutschland von der Weltwirtschaft ab. ,,Neuer Plan", Regelung der Auslandschulden, Importlenkung und Exportförderung, Bilateralisierung des Handels, primitive Verrechnungs- und Tauschabkommen lauten die Schlagworte. In der Binnenwirtschaft wurden zunächst einzelne Preise, dann alle Preise gestoppt und eine Mengenbewirtschaftung eingeführt. Gütererzeugung und -verbrauch wurden vorgeschrieben und zugewiesen. Diehl urteilt: ,,Mit den realen Knappheitssituationen in der Volkswirtschaft hatten die Preise und Löhne in Deutschland bei Beginn des Zweiten Weltkrieges nichts mehr zu tun." (S. 59) Der Preisstopp (1936), Kalkulationsvorschriften, Richtzahlen und Kostenvergleiche sowie Festpreissystem sind Stationen auf dem Weg zur Zentralverwaltungswirtschaft, die in einer zentralen Planung unter Kehrl und Speer gipfelte. En passant deutet sich mit der Vereinheitlichung der Buchführung und der Preisnachweispflicht die Totalität des immer weiter vordringenden Staates an. Durch den Ausfall der Preise wurde das Instrumentarium der Gütermengenlenkung von Erzeugung und Verbrauch immer differenzierter. An der fortgesetzten Notwendigkeit, schwere Störungen abzuwenden, änderte dies nichts. Dafür nutzten die Nationalsozialisten geschickt die effiziente Organisationsfähigkeit der Unternehmer. Die Konsumenten verloren mit der umfassenden Bewirtschaftung der Güter des täglichen Bedarfs im Jahr 1939 ihre Souveränität und den Einfluss auf die Produktion. Parallel büßte das Geld durch den staatlichen Zuteilungswillen seine Bedeutung ein. Idealtypisch war dies keine Marktwirtschaft mehr.

Die vorliegende Studie birgt Diskussionsstoff. Erstens, kann Diehls ordnungstheoretische Sicht auch die Handlungsspielräume der Unternehmer, die schließlich den Transformationsprozess mitgestalteten und sehr wohl dauerhafte Gewinne erzielten, schlüssig integrieren? Zweitens, muss die bereits von zeitgenössischen Liberalen festgestellte Identität des braunen und des roten Sozialismus als Spielarten des Kollektivismus neu diskutiert werden? Drittens bietet die Neue Institutionenökonomik Optionen, die Beschränkung der älteren polaren Idealtypen aufzubrechen, die bereits Wilhelm Röpke mit Skepsis betrachtete.

Michael von Prollius, Berlin


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | September 2006