Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
David F. Crew (Hrsg.), Consuming Germany in the Cold War (Leisure Consumption and Culture), Berg Publishing, Oxford etc. 2003, 209 S., brosch., 25,95 $.
Die Konsumgeschichtsschreibung hat in den letzten Jahren immer wieder auf sich aufmerksam gemacht, gehört sie doch zu jenen Sparten, die nicht nur als eigenständiges Teilgebiet analytisches Interesse erregen, sondern auch Brücken zu anderen Bereichen der Geschichtswissenschaft schlagen. So verbindet sie wechselseitig Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte, Sozialgeschichte, Geschlechtergeschichte und politische Geschichte, wie der von David F. Crew herausgegebene Sammelband exemplarisch zeigt. Die Autoren und Autorinnen gehören vorwiegend der jüngeren Generation an; ihre Studien konzentrieren sich auf West- und Ostdeutschland in der Zeit des Kalten Krieges.
Katherine Pence untersucht kenntnisreich die Leipziger Messen in den 1950er Jahre. Diese gaben sich ein internationales Flair, spielten ihre lange Tradition aus und boten generös Waren und technologische Neuerungen an, die es jedoch in der DDR kaum oder gar nicht zu kaufen gab. Bei genauerem Hinsehen ist erkennbar, dass die Messen unterhalb der glänzenden Oberfläche die ökonomischen Probleme der SBZ/DDR widerspiegelten, weil die Ausstellungsstücke oft nicht das internationale Niveau der Warenproduktion erreichten. Die praktische Bedeutung der Messen lag in ihrer Funktion nach innen, als Hoffnungsträger für ,bessere Zeiten'. Doch gerade daran entzündete sich häufig Kritik - besonders der Besucherinnen - an den Diskrepanzen zu eigenen Alltagserfahrungen, wie die Autorin an einigen Beispielen demonstriert. Die Messen waren überdies Kommunikationsbrücken zwischen Ost und West, was in Zeiten des Kalten Krieges besonders wichtig war. Der Zugang erleichterte den Vergleich, vor allem mit der florierenden Hannover Messe.
Internationalen Flair sollten auch die Modenschauen in der frühen DDR verbreiten, deren Analyse Judd Stitziel vornimmt. Da es hier erneut um Systemkonkurrenz ging, verwundert es aus heutiger Sicht nicht, dass DDR-Modenschauen als Leistungsschauen konzipiert wurden. Die Diskrepanzen zwischen Gezeigtem und Kaufbarem aber waren ebenso groß wie die bei den auf der Leipziger Messe ausgestellten Haushaltsgegenständen. Allerdings gerieten im Unterschied zu anderen Konsumbranchen die Modenschauen in der Frühzeit der DDR in das Visier kommunistischer Puristen, die hierin die Verkörperung kapitalistischen Geistes sahen. Der Proletkult als gegenkultureller Entwurf konnte jedoch außerhalb der Arbeitszeiten keinen Ersatz bieten. Schließlich wurde den Modenschauen die Aufgabe zugewiesen, den Menschen zu einem ,sozialistischen Kleidergeschmack' zu verhelfen, also eine sozialistische haute couture zu etablieren. Dies erwies sich als äußerst schwierig, denn, wie schon der Beitrag von Pence deutlich macht, legten Konsumentinnen in der DDR bei ihrer Bewertung der Waren ähnliche Kriterien wie die im Westen lebenden Frauen an: Ästhetische Normen unterschieden sich wenig voneinander. Es ist nicht verwunderlich, dass die aus dem Westen kommenden Einflüsse bei Modeartikeln - ungeachtet aller Neudefinitionen - nicht versiegten.
Bessere Chancen, die eigenständige Leistungskraft und Modernität der DDR unter Beweis zu stellen, hatte die Plastikbranche, da sie Ausdruck einer der großen Leitsektoren der DDR-Wirtschaft war: der Chemieindustrie. Eli Rubin zeigt zwar die konkrete Verbindung zur Produktion auf, widmet sich jedoch primär dem Konsum. Plastikwaren sollten das tägliche Leben verändern, die Hausarbeit der Frauen beschleunigen und das, in der DDR recht verbreitete, Camping erleichtern. Indem Plastikwaren, als Nichtwegwerfwaren deklariert, zum favorisierten, eher teuren DDR-Produkt und zum Ausdruck spezifisch sozialistisch-moderner Konsumgesellschaft hochstilisiert worden waren, erhielten sie einen großen Symbolwert. Durch diesen konnte erstens eine Abgrenzung gegenüber dem Westen vorgenommen werden, zweitens diente, wie der Autor hervorhebt, sein Gebrauch, aber auch Nicht-Gebrauch, als soziales und eventuell sogar latent politisches Distinktionsmittel der Menschen innerhalb der DDR-Gesellschaft.
Zeitlich weiter gefasst als die ersten Beiträge und allein auf Westdeutschland bezogen ist der Artikel, der sich dem Getränk Coca Cola widmet. Jeff R. Schutts beschreibt die Geschichte eines Produkts, das nach Kriegsende keinen Schaden aus der Tatsache erlitt, dass es auch im NS-Deutschland präsent gewesen war. Vielmehr schaffte das amerikanische Unternehmen es mit seiner Franchise-Struktur, allgemeine Ängste vor einer Amerikanisierung zu unterlaufen und sein Getränk als Sinnbild der freien Welt und der Demokratie zu platzieren. Die Universalität des Produkts hatte hohen Symbol- und großen Verkaufswert. Gleichzeitig stand Coca Cola für kurzzeitige Erfrischung. Der Werbespruch ,,Mach mal Pause" verband das Getränk in der Öffentlichkeit in ansprechender Weise mit dem Wiederaufbauwillen der Westdeutschen und ließ es zum Zeichen des ,,Wirtschaftswunders" werden. Die Creolisation des Markenprodukts machte es möglich, dass Coca Cola auch das traditionsbewusste deutsche Arbeitsethos in sich aufnahm und problemlos in die westdeutsche Alltagskultur inkorporiert werden konnte.
Den Fokus auf Westdeutschland legt auch Jonathan Wiesen in seinem Beitrag über Werbung und Konsum. Er argumentiert überzeugend, dass das ,,Wirtschaftswunder" selbst als Konsumprodukt aufgebaut worden sei; dies habe zu einem ökonomischen Patriotismus geführt und im Kalten Krieg die entscheidende Abgrenzungslinie gegenüber dem Osten markiert. Auf den traditionellen, Produktion und Produzenten herausstellenden Messen, die als Schaufenster der Wirtschaftsleistung galten, wurde das ,,Wirtschaftswunder" in materialisierter Form dargeboten. Mit der Entstehung der Konsumgesellschaft seit den späten 1950er Jahren wuchs die Bedeutung der Werbung auf der Basis des fortgeschrittenen amerikanischen know how. Ihr Vordringen führte jedoch nicht, wie ihre Kritiker damals meinten, zur Uniformität, sondern zur Herausbildung differenzierter Lebensstile.
Dazu gehörte auch die Entstehung einer Drogenszene, wie der letzte Aufsatz von Robert P. Stephens am Beispiel der Stadt Hamburg zeigt. Diese entwickelte sich unter dem Einfluss einer neuen internationalen Jugendkultur und forderte die Autoritäten in besonderem Maße heraus. Der Autor integriert deshalb seine Untersuchung in die Geschichte des Jugendschutzes seit der Weimarer Republik und in die Diskurse über Genussmittel und deren Missbrauch. Er thematisiert ferner auf der Basis von Interviews die mit dem Drogenkonsum verbundenen Rituale, die teilweise von einem östlichen Spiritualismus beeinflusst waren, und benennt die Orte des Konsumierens, etwa Beatclubs oder kleine Bohème-Zirkel.
Mit der Erörterung einiger Leitfragen führt der Herausgeber in die Thematik kenntnisreich ein. Unter anderem verweist er auf die Frage, ob und ggf. inwieweit man die Geschichte der DDR und die der BRD zusammenführen kann und sollte. Ungleichgewichte seien offensichtlich. So zeigten die Beiträge, dass der Osten mehr auf den Westen schaute als umgekehrt. Er verweist ferner auf die Bedeutung des westdeutschen Konsums für die Verankerung der Demokratie - eine Sichtweise, die durch die Aufsätze bestätigt wird. Darüber hinaus betont er den engen Zusammenhang zwischen Konsum und gender, dessen analytische Berücksichtigung den betreffenden Beiträgen eine zusätzlich relevante Dimension verleiht.
Gewiss geben die hier veröffentlichten Aufsätze nur Ausschnitte aus der Konsumgeschichte der Kalten Kriegszeit wieder, doch gelingt es allen Autoren und Autorinnen, in ihren Beiträgen, zu Grundzügen der beiden Gesellschaften vorzudringen. Deutlich wird, dass der Konsumbereich zu jenen Gebieten gehört, denen im Wettkampf der beiden Gesellschaften große Symbolkraft zukam, was die DDR vor massive Legitimationsprobleme stellte, während die bundesrepublikanische Legitimation daraus entscheidend profitierte. Doch zeigen die Autoren und Autorinnen auch, dass die Betonung der Unterschiede nicht leichtfertig von vornherein zu polaren Analysemustern führen darf, weil dadurch zahlreiche Zwischentöne verloren gingen. Insgesamt handelt es sich um eine gewinnbringende Einführung in die moderne Konsumgeschichtsschreibung an Hand konkreter Fallstudien.
Adelheid von Saldern, Hannover