ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Paul Betts, The Authority of Everyday Objects. A Cultural History of West German Industrial Design, University of California Press, Berkeley etc. 2004, 348 S., geb. 32,50 £.

Die Geschichte von Alltagsgegenständen ist in der deutschen Historiografie derzeit noch nicht ,angekommen', vielmehr wird sie meist als ,,Sachkulturforschung" einem älteren Zweig der Volkskunde zugeordnet. Paul Betts, ein Historiker der jüngeren Generation, der an der University of Sussex lehrt, zeigt, welche Chancen in diesem Themenfeld auch für die Geschichtsschreibung liegen.

Paul Betts konzentriert sich in seinem Buch auf die fünfziger Jahre und bettet seine Untersuchung des Alltagsdesigns in ein Koordinatenkreuz ein, das von bundesrepublikanischer Identitätsstiftung, der Kalten Kriegs-Kultur, der NS-Vergangenheitspolitik sowie der klassischen bzw. internationalen Moderne bestimmt wurde.

Im ersten Kapitel steht das historische Erbe in Form des NS-Designs im Mittelpunkt der Betrachtung. Hervorzuheben ist Betts Revision der landläufigen Erzählung, nach der die Nationalsozialisten die Moderne scharf zurückgewiesen und damit deren Weiterentwicklung unterbrochen hätten. Stattdessen sei, so Betts, das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Moderne weitaus komplexer. Widersprüchlich war die Zusammenbindung von vormoderner völkischer Kultur und technologischen Modernismus aus der Zeit der Weimarer Republik. Zwar wurden Bauhaus und Werkbund verboten, aber ihre Mitglieder konnten in der NS-Zeit weiterarbeiten, wenn auch ihre Produkte - und das war entscheidend - einem veränderten Deutungshorizont unterlagen. So wurde die Neue Sachlichkeit der sozialen Vision ihrer früheren Träger entkleidet und stattdessen in rassistische Zusammenhänge eingebettet.

Im zweiten Kapitel widmet sich der Autor der Geschichte des Neuen Werkbundes nach 1945. Als eine Art Gewissen der Nation habe dieser, so Betts, mehr Einfluss gehabt, als in der Literatur bisher zu lesen sei. In seinem kultureller Kreuzzug knüpfte er an die Neue Sachlichkeit und den Funktionalismus aus der Zeit vor 1933 an. Seine Protagonisten erhofften sich eine kulturelle Regeneration der westdeutschen Bevölkerung, falls dem Echten und Wertvollen im Design ausreichend Rechnung getragen werden. Neu errichtete Wohnungsberatungsstellen führten seit 1953 einen ethisch und moralisch motivierten Kampf gegen den schlechten Geschmack der Zeit, konkret: gegen den Nierentisch-Stil, die Vorlieben für das Gelsenkirchener Barock, das Stromlinien-Design (sowohl in der amerikanischen als auch in der nationalsozialistischen Version), schließlich auch gegen den dämonisierten, höchst erfolgreich operierenden amerikanischen Designer Raymond Loewy, weil er eine rein kommerziell orientierte Berufsauffassung vertrat. Eine kritische Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit wurde dabei nicht angestrebt, stattdessen das Verbot des Werkbundes in der NS-Zeit herausgestellt.

Im dritten Kapitel geht es um den Nierentisch-Stil, der trotz der Missachtung durch den Neuen Werkbund in der Retrospektive zu einem der markantesten Symbole der fünfziger Jahre avancierte. Ungeachtet seines auf das postfaschistische Westdeutschland abzielenden Symbolcharakters stand der Nierentisch-Stil durch organische Formen und Anklänge an die Stromlinienform in der Kontinuitätslinie zur NS-Zeit. Bezeichnend ist aber, dass der Nierentisch-Stil auch die Herstellung von Kontinuitäten zur Bauhaus-Moderne erlaubte, und zwar zu einer ihrer eher populären Spielarten. Deutlich wird dieser Zusammenhang, wenn der Blick auf die Popularität der abstrakten Malerei in den fünfziger Jahren fällt, etwa auf Klee, Kandinsky und Feininger. Schließlich wurde der Nierentisch-Stil unter gewissen Aspekten auch mit dem Jugendstil und dem Dadaismus in Verbindung gebracht. Kurzum, gerade die Vieldeutigkeit des Nierentisch-Stils gab ihm in der Bevölkerung eine Chance, akzeptiert zu werden - ganz abgesehen von der geringen Größe seiner Möbel, die sich für kleine Sozialwohnungen gut eigneten.

Im vierten Kapitel steht die Ulmer Hochschule für Gestaltung im Mittelpunkt. Diese Ausbildungsstätte war vom Geist des Antifaschismus geprägt, propagierte eine demokratische Erziehung und kooperierte mit der amerikanischen Militärregierung. Ihre Lehrer verwarfen sowohl die organizistische Design-Kultur als auch die arts and craft-Tradition des Werkbundes. Anknüpfend an das Bauhaus traten die in Ulm Lehrenden für eine Verwissenschaftlichung und ein maschinell erzeugtes Industrie-Design ein. Vom moralischen Regenerationsanspruch und vom geistigen, Abendland-orientierten Idealismus des Werkbundes wollte man dort nichts wissen.

Das fünfte Kapitel beschreibt den 1951 gegründeten Rat für Formgebung, der den Funktionalismus mit einer bundesdeutschen Identitätspolitik verband. Das Industriedesign sollte nicht dem Zufall überlassen werden. Der Rat verwarf sowohl den Nierentisch als auch den international gepriesenen organischen Stil samt Stromlinien-Design. Ausdrücklich wurde die NS-Kultur lediglich mit der Blut und Boden-Kultur verbunden, während die ,,NS-Moderne" außen vor gelassen wurde. Auf diese Weise sollte das Erbe von Weimar in die neue bundesrepublikanische Identitätsstiftung inkorporiert werden. Modernes Design fungierte als sichtbare Distanzierung sowohl von der NS-Vergangenheit als auch von der kleinbürgerlichen Gegenwartskultur (S. 260). Als in den späten 1950er Jahren auf internationalem Parkett die Vorlieben für den organizistischen Stil nachließen und ein allgemeiner Umschwung zugunsten funktionalistischer Formen einsetzte, wie auf der Brüsseler Weltausstellung von 1958 deutlich wurde, erfuhr das Beharren des Rates, des Werkbundes und der Ulmer Hochschule auf die klassische Moderne eine Bestätigung.

Das sechste Kapitel beinhaltet Streifzüge in den Umkreis der Geschichte der Häuslichkeit. Zwar sind einige Aussagen nicht ganz zutreffend, (1) doch liegt Betts Stärke darin, für Historikern ungewohnte Verbindungslinien aufzuzeigen, seien es seine Hinweise auf die Rolle der Illustrierten bei der Popularisierung des modernen Designs (S. 215) oder die Zusammenführung von modernem Design und Familie, wobei zu erinnern sei, dass die Familie damals noch als eine gewichtige moralische Instanz gegolten hat.

Betts zeigt, wie die Technisierung der Hausarbeit, die erst in den 50er Jahren Realität wurde, die Hausarbeit als Arbeitsleistung marginalisierte, eine Tendenz, die allerdings, wie hinzugefügt werden kann, schon in den 1920er Jahren beobachtet werden konnte. In den 1950er Jahre hätten sich, so Betts, zudem private Tugenden, materieller Lebensstil und die Kultur des Individualismus mit dem individuellen Dekor verbunden, und das neue Amalgam sei für die Formung einer postfaschistischen Identität und eines an der atlantischen Gemeinschaft orientierten Lebensstils wichtig geworden. Doch sei, so betont Betts, die Kultur des Individualismus der 1950er Jahre bereits in den 1930er Jahren vorgeprägt worden, und zwar durch die damalige depolitisierte Privatsphäre. Die These von der depolitisierten Privatsphäre in der NS-Zeit birgt freilich viele Missverständnisse in sich und lässt sich auch nicht als allgemeine Kennzeichnung halten, selbst dann nicht, wenn ,,lediglich" Bereiche wie Haushaltsrationalisierung und Design gemeint sein sollten.

Im Schlusskapitel geht es um einen Ausblick auf das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts. Der Impetus der Design-Kultur endete mit der Schließung der Ulmer Hochschule im Jahre 1968, die auch das Ende des Glaubens an den Erfolg von social engineering bedeutet habe; selbst der Werkbund habe seine Visionen verloren. Zudem wurde damals, wie Betts ausführt, der Funktionalismus in Frage gestellt, die Ambivalenz der Rationalität herausgearbeitet, die Warenästhetik grundsätzlich des schönen Scheins (Wolfgang Haug) entkleidet und damit der Werkbund demoralisiert.

Während im Allgemeinen in der Geschichtsschreibung die Unterschiede der politischen Systeme und ihrer Gesellschaften herausgearbeitet werden, dominiert in der Studie von Betts die These, dass sich das Design in Deutschland einschließlich der DDR nach außen hin zwischen 1925 und 1965 wenig verändert habe. Verändert haben sich hingegen die Kontexte und Deutungen des Designs, denn jedes neue politische Regime wollte sich vom vorhergehenden absetzen. Die Besonderheit des Buches liegt darin, dass sein Autor als Historiker andere Fragen stellt und andere Kontexte offen legt als die Kunst- und Designhistoriker. Insofern handelt es sich um eine aufschlussreiche Studie, die einen von vielen Wegen zu einer kulturgeschichtlich eingebetteten neuen politischen Geschichte aufzeigt.

Adelheid von Saldern, Hannover


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