Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Christian Sonntag, Medienkarrieren. Biografische Studien über Hamburger Nachkriegsjournalisten 1946-1949 (Forum Kommunikation und Medien, Bd. 5), Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München 2006, 376 S., brosch., 42,90 €.
Er war Gründungsmitglied und Vorsitzender der ,,Berufsvereinigung Hamburger Journalisten", Ressortleiter und Chefredakteur der ,,Hamburger Freien Presse", Mitbegründer des Deutschen Presserats, Lehrbeauftragter für Journalistik an der Universität Hamburg, zuständig für die Volontärsausbildung beim Axel-Springer-Verlag, stellvertretender Landesvorsitzender der Hamburger FDP und deren Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft: Alfred Frankenfeld. Als ,,Repräsentant jenes aufgeklärtes Bürgertums, das Hitler als Rattenfänger verachtete, den Schritt zum Widerstand aber nicht zu gehen bereit war und statt dessen Karriere durch Anpassung auch im NS-Staat machte" (S. 190), hatte er das Dritte Reich unbeschadet überstanden. Die Redaktionen des ,,Berliner Tageblatts" und der ,,Frankfurter Zeitung" hatten ihm Zuflucht in jenem bürgerlich-liberalen Milieu geboten, das ,,den ideologischen Forderungen des NS-Staats zwar weitgehend widerstand, ihm aber auch nichts Entscheidendes entgegensetzte." (S. 181) Obgleich er 1937 der NSDAP beigetreten war und seit 1940 für das NS-Vorzeigeblatt ,,Das Reich" geschrieben hatte, konnte er nach Kriegsende starke Fürsprecher bis in die Reihen der Sozialdemokratie für sich mobilisieren: ,,Die Stunde Null dauerte für Frankenfeld somit nicht lange" (S. 189). Als aus den Trümmern der zerbombten Hansestadt Hamburg das Medienzentrum der britischen Besatzungszone erstand, wurde er ,,zu einer begehrten Person beim Wiederaufbau der deutschen Presse" (S. 181). Dass Männer wie er schon bald nach Kriegsende 1945 Schlüsselpositionen in der neuen Medienlandschaft einnehmen konnten und von der Siegermacht im Zweifelsfall jenen Kollegen vorgezogen wurden, die Hitler-Deutschland verlassen hatten, gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der soeben als Monographie erschienenen Hamburger Dissertation des Historikers und Journalisten Christian Sonntag. Er betont, dass die heimkehrenden ,,Emigranten, so genannte Remigranten, keine große Rolle in den Medien der Nachkriegszeit [spielten]. (...) Von den 308 Journalisten, die zwischen 1946 und 1949 für die Hamburger Zeitungen arbeiteten, kamen 18 aus dem Exil, ein Anteil von knapp 6 Prozent." (S. 246) Dabei spielte neben der Haltung der emigrierten Journalisten, die sich ,,oftmals ganz bewusst" gegen eine Rückkehr nach Deutschland entschieden, aber auch die ,,Skepsis der britischen Politik" eine Rolle, ,,die die Exildeutschen während des Krieges in London als konfus und heterogen wahrgenommen hatte. (...) Die britischen Planer wollten verhindern, dass die Rückkehrer als lebendes schlechtes Gewissen den zu Hause Gebliebenen ihre politische Lethargie vorhalten konnten und dass sie als Sieger in der Heimat auftraten, um alte Rechnungen zu begleichen." (S. 247)
Es ist hinlänglich bekannt, dass der Übergang vom Nationalsozialismus zur Demokratie westlicher Prägung im Deutschland der Nachkriegsjahre von hoher personeller Kontinuität in nahezu allen Berufsfeldern begleitet und bestimmt war. An diesem Punkt setzt die vorliegende Studie an: Am Beispiel des von den Briten aufgebauten Medienstandortes Hamburg, der für die westlichen Zonen bzw. die spätere Bundesrepublik schon bald die Rolle der einstigen deutschen Pressehauptstadt Berlin übernahm, arbeitet Sonntag heraus, wer in den sieben zwischen 1946 und 1949 in Hamburg erschienenen Zeitungen journalistisch tätig gewesen ist und bedient sich dabei der Methode der quantitativen Sozialforschung. Das Ergebnis ist eine ,,kollektive Biografie" (S. 14), die ein von Sonntag geschaffenes Sample von 308 namentlich bekannten Journalisten nach Alterstruktur, Geschlechterproporz, Ausbildung und beruflichem Werdegang untersucht und dabei insbesondere ,,die Frage nach der Tätigkeit (...) zwischen 1933 und 1945 und damit verbunden die Frage nach Bruch, Kontinuität und Restauration in personeller Hinsicht" (S. 284) fokussiert. Exemplarisch werden zudem zehn Biografien von Personen, die jeweils einen bestimmten Typus des Nachkriegsjournalisten verkörperten, ausführlich dargestellt. Neben Alfred Frankenfeld begegnen dem Leser u.a. der scheue Chefredakteur der ,,Welt" Rudolf Küstermeier, Sozialdemokrat und Überlebender der Konzentrationslager, Rolf Seutter von Loetzen, ,,Protagonist der Hugenbergpresse in Weimar, Hauptschriftleiter im NS-Staat und Durchhaltepropagandist während des Krieges" (S. 198), der nach 1945 dafür sorgte, dass weder Frauen noch heimkehrende Emigranten oder journalistische Neueinsteiger einen Platz in der von ihm geleiteten ,,Hamburger Allgemeinen Zeitung" fanden, und die beiden Remigranten Ernst Friedländer und Peter Blachstein; Ilse Eisner, die 1948/49 zunächst Leiterin der Wirtschaftsredaktion des ,,Hamburger Echos" war und später als politische Redakteurin zur ,,Welt" wechselte, wird als ,,Frau in der Männerdomäne" (S. 224) porträtiert. Diese Kapitel sind für die Arbeit von besonderer Bedeutung, setzen sie doch individuelle, konkret rekonstruierte Lebensläufe und Karrieremuster an die Stelle abstrakter Anonymität.
Sonntags Werk überzeugt durch klare Konzeption und eine fundierte, datengesättigte Argumentation. Unter dem Titel ,,Journalismus in der Diktatur" zeichnet er in einem einleitenden Kapitel zunächst die Konturen nationalsozialistischer Pressepolitik nach und wirft einen gesonderten Blick auf ,,Hamburgs Presse zwischen Anpassung und Gleichschaltung" (S. 40), bevor er sich mit den Grundlagen anglo-amerikanischer Pressepolitik als ,,Rahmenbedingungen für den Neuanfang" (S. 47) beschäftigt und schließlich Entstehungsgeschichte, Konzeption und redaktionelle Zusammensetzung der sieben Zeitungen analysiert. Neben den relativ rasch zugelassenen Parteizeitungen - dem sozialdemokratischen ,,Hamburger Echo", der kommunistischen ,,Hamburger Volkszeitung", der liberalen ,,Hamburger Freien Presse" und der christdemokratisch orientierten ,,Hamburger Allgemeinen Zeitung" - etablierte sich ab 1948 Springers ,,Hamburger Abendblatt" als überparteilich-unabhängige Lizenzzeitung; hinzu kamen die von den Briten als ,,Modell" für die künftige deutsche Presse konzipierte Tageszeitung ,,Die Welt" sowie die Wochenzeitung ,,Die Zeit" in ihrer selbstgewählten Rolle als ,,Anwalt deutscher Interessen" (S. 102). Im zweiten Teil des Buches präsentiert Sonntag die Ergebnisse der biografischen Datenerhebung, wobei übersichtlich gestaltete Tabellen den Text sinnvoll ergänzen. Deutlich werden in erster Linie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Zeitungsredaktionen: ,,Erkennbar ist, dass sich die beiden Arbeiterzeitungen Hamburger Echo und Hamburger Volkszeitung in vielen Punkten ähneln und zugleich von den übrigen fünf bürgerlichen Zeitungen stark abgrenzen. (...) Der Redaktionen der bürgerlichen Zeitungen stehen dabei ganz unzweifelhaft im Zeichen der Kontinuität." (S. 284)
Der stets an die herrschenden Verhältnisse angepasste Rudolf Michael, später Springers Mann für die ,,Bild"-Zeitung, hatte 1946 den Grundsatz postuliert, dass ein Journalist ,,aus dem Tage und für den Tag" schreibe und daher verlangen könne, dass man seine Arbeit ,,aus der jeweiligen Situation heraus" beurteile; Michael wollte damit die Entscheidung eines Entnazifizierungsausschusses rückgängig machen, der ihn aufgrund seiner antisemitischen Publikationen im NS-Staat als ,,journalistisch untragbar" eingestuft hatte. Damit hatte er ,,die Erfolgsformel für die Rückkehr der NS-Schriftleiter in ihren Beruf" formuliert: ,,Denn wirklich gemeint, so lautete das gängige Argumentationsmuster, hatte keiner der Journalisten das, was er in den Jahren zwischen 1933 und 1945 geschrieben hatte." (S. 11) Während die Karrieren der prominenten Spitzenleute des braunen Propagandaapparates in Zeitung, Rundfunk und Verlagswesen 1945 in der britischen Zone ,,ein für allemal vorbei" (S. 297) waren, spielte die zweite Garnitur der im NS-Staat tätigen Journalisten die ausschlaggebende Rolle beim Aufstieg der Medienmetropole an der Elbe. Die Siegermacht installierte die angelsächsische Form des Journalismus in Deutschland ,,notgedrungen mit Hilfe der alten Schriftleiter" (S. 295). Das Erstaunen über die Tatsache, dass die publizistische ,,Ankunft im Westen" (Axel Schildt) dennoch relativ rasch und reibungslos gelang, ist in Sonntags abschließenden Betrachtungen deutlich spürbar. Umso bedauerlicher ist es, dass er auf eine inhaltliche Analyse der Hamburger Nachkriegspresse weitgehend verzichtet; hier wäre ein ertragreiches Feld für weitere Forschungen.
Dagmar Bussiek, Kassel