Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Heike Knortz, Innovationsmanagement in der DDR 1973/79-1989. Der sozialistische Manager zwischen ökonomischen Herausforderungen und Systemblockaden (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte), Duncker & Humblot, Berlin 2004, 288 S., kart., 72 €.
Technische und unternehmerische Innovation wird selten mit einer Zentralplanwirtschaft, wie die DDR eine gewesen ist, assoziiert. Dass Heike Knortz in ihrer Habilitationsarbeit solchen Prozessen dennoch nachgeht, ist deshalb umso verdienstvoller. Die Autorin fragt nach den Bedingungen des betrieblichen Managements im Sozialismus und damit nach der Möglichkeit für ökonomischen Erfolg in der staatlichen Planwirtschaft und den hierfür verantwortlichen Rahmenbedingungen. Dies tut sie am Bespiel einer Phase, in der die DDR-Volkswirtschaft zunehmend von Krisen erschüttert wurde und infolge des Ölschocks und der beginnenden Globalisierung Mitte der 1970er-Jahre in die Defensive geriet.
Dass man bei derartiger Zielsetzung auf die realexistierende Mikroebene dieser Planwirtschaft hinabsteigen und eine empirisch fundierte Studie durchführen muss, war für bislang vorliegende Arbeiten zum Thema nicht selbstverständlich. Entsprechende Tendenzen kritisiert Knortz in ihrem Literaturbericht zu Recht: Viele Ansätze blieben ,,ordnungstheoretischen Annahmen und idealtypischen Vorstellungen verpflichtet" (S. 31). Die vorliegende Studie will stattdessen die handelnden Akteure und deren Funktion im ökonomischen Prozess sowie die rechtlich-institutionellen bzw. sozio-ökonomischen Faktoren ihres Verhaltens in den DDR-Betrieben untersuchen. Knortz schreibt damit zwar keine Unternehmensgeschichte im engeren Sinne, aber Ausgangspunkt ist mit der sogenannten ,,Schwedter Initiative" trotzdem ein einzelnes Unternehmen, nämlich der Stammbetrieb des VEB Petrolchemisches Kombinats (PCK) Schwedt im Bezirk Frankfurt/Oder. Dieser war ab 1958/59 als VEB Erdölverarbeitungswerk Schwedt entstanden und zum Kernstück einer DDR-eigenen Mineralölwirtschaft fortentwickelt worden.
In welchem makroökonomischen und politischen Kontext diese Initiative des Jahres 1978 stand, macht die Autorin im zweiten und dritten Kapitel deutlich: Die steigenden Weltölpreise zwangen die DDR-Führung zum einen dazu, auf Braunkohle als Energierohstoff umzusteigen, zum anderen sollte mit der Veredelung von Rohöl das Handelsbilanzdefizit mit dem Westen ausgeglichen werden. Hinzu kam das Problem, dass die DDR ihre Arbeitskraftressourcen quantitativ ausgeschöpft hatte und eine Steigerung der Wirtschaftskraft nur über eine Rationalisierungs- und Effizienzstrategie realisierbar war.
In dieser Situation beschlossen die politischen und ökonomischen Führungen im PCK und in der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder 1978 die Schwedter Initiative ,,Weniger produzieren mehr". Für die Inbetriebnahme neuer Produktionsanlagen im Betrieb und dem damit verbundenen Personalbedarf sollte eine rationelle und effiziente Umgestaltung des Gesamtunternehmens in Angriff genommen werden. Tatsächlich konnten in den Folgejahren erstaunliche Erfolge erzielt werden. Bis 1985 wurden im Schnitt jährlich knapp 5% Arbeitskraft eingespart und damit die erheblich gesteigerte Produktion mit einer gleich bleibenden Beschäftigtenzahl von etwa 8.500 Personen bewältigt.
In der Folge versuchten die Partei- und Planbehörden dieses Erfolgsbeispiel auf andere Betriebe und Kombinate der DDR zu übertragen, eine Kampagne mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Die Gründe hierfür lagen zum einen im ,,Widerstandspotential der Beschäftigten", zum anderen im unbefriedigenden Engagement des Managements in den Betrieben, das Knortz wiederum auf die dysfunktionale Logik des Planungs- und Abrechnungssystems zurückführt. Rationalisierungsmaßnahmen und der effiziente Einsatz von Arbeitskraft zahlten sich für die Einzelunternehmen unter dem Strich nicht aus. Insbesondere die ab 1986 geltende Planungsordnung sah hier keine Anreize für die Betriebe mehr vor, so dass die partiellen Erfolge bis 1985 wieder konterkariert wurden.
An dieser Stelle wird Knortz' Studie besonders interessant: In Kapitel F untersucht sie das Verhalten der unterschiedlichen Hierarchieebenen bezüglich einer Weiterverbreitung des Schwedter Beispiels. Insbesondere die zentrale Staats- und Parteiebene der DDR versagte in dieser Situation, anstehende Probleme und mögliche Lösungen wurden nicht erkannt. Notwendige zentrale Entscheidungen unterblieben und man hielt stattdessen an alten Mobilisierungsritualen fest. Wenig hilfreich war auch die Arbeit der Staatssicherheit, die in ihrem Apparat zwar über volkswirtschaftlichen Sachverstand verfügte, sich aber nicht um das zentrale Arbeitskräfteproblem kümmerte. Auf der Bezirksebene arbeitet die Autorin sehr unterschiedliche Reaktionen heraus: Während in Frankfurt/Oder und in Dresden eine konstruktive Zusammenarbeit von regionalen und betrieblichen Partei- und Wirtschaftskadern zustande kam und diese Akteursnetzwerke entsprechende Erfolge verzeichneten, dominierte in den Bezirksleitungen Gera, Leipzig und Halle innovationsfeindliches Personal, das die Herausforderungen nicht erkannte.
Auf Ebene der Betriebe schließlich betont die Autorin die Schlüsselposition der Führung um den Generaldirektor bzw. Betriebsdirektor, in deren Händen die ,,Prozesse des Entscheidens, des Organisierens einschließlich des Realisierens, aber auch der hierauf bezogenen Kontrolle in der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR" (S. 230) lag und im Fall des PCK auch eindeutig wahrgenommen wurde. Gestört wurde die Ausübung dieser Managementfunktion - so Knortz - v.a. durch das Splitting zwischen politischer und wirtschaftlicher Führung - im untersuchten Fall zwischen dem 1. SED-Bezirkssekretär und dem Generaldirektor des PCK. Alles in allem kommt Knortz zu der These, dass insbesondere infolge der Kombinatsreform von 1979 und dem damit verbundenen ,,potenten Handlungsrahmen in Verbindung mit den aufgezeigten Verantwortlichkeiten und Vollmachten [...] Erfolg oder Misserfolg der Führung bei dem sozialistischen Manager [lagen]" (S. 235). Diese bauten ihre Position auf der Bedeutung Ihrer Unternehmen, auf ihren Auslandskontakten sowie auf ihren personellen, netzwerkartigen Beziehungen in der Staats- und Parteiführung auf. Die Autorin charakterisiert die Erfolgreichen unter Ihnen als ,,den mächtigen und machtbewussten, leistungsmotivierten und -willigen, innovativen und flexiblen, kommunikativen, Personal erfolgreich führenden, wenn auch mit sozialistischen, weil beschnittenen Funktionen ausgestatteten Managertypus" (S. 243).
Zusammenfassend kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass Innovationsmanagement in der DDR-Planwirtschaft eng an Initiative und Fähigkeiten der verantwortlichen Akteure in den Betrieben gebunden war und im Zeitfenster zwischen 1979 und 1985 auch teilweise stattfand. Sie betont aber, dass diese in den untersuchten Fällen von der SED-Zentralebene selten angeregt und institutionell unterstützt wurde. Zweifellos war das politische Führungsmonopol der SED in der DDR hochproblematisch, fatal wirkte sich - ironischerweise - aber die Tatsache aus, dass die Parteispitze diese Funktion nicht ausfüllte.
Wenig überzeugend ist die Einschränkung der Autorin, dass die beschriebene Managerposition erst mit der Kombinatsreform 1979 entstand und die Verfügungsrechte der DDR-Unternehmensführungen davor eingeschränkter waren. Die wenig bislang vorliegenden Studien zu sozialistischen Managern deuten ein eine andere Richtung. In der Ära Ulbricht waren es vielleicht nicht die VVB- oder die neuen Kombinatsspitzen, aber für Betriebs- und Werkleitungen der 1950er- und 1960er-Jahre lassen sich ähnliche Konstellationen nachweisen. Diese Kritik richtet sich aber weniger an die Autorin als an den allgemeinen Forschungsstand zur DDR-Planwirtschaft. Insgesamt liegt also ein wichtiges und innovatives Buch vor, das es schafft, den Einzelfall der Schwedter Initiative in einen breiten zeitgenössischen Kontext einzubetten und sich zusätzlich in der wissenschaftlichen Diskussion um die Bedeutung der betrieblichen Mikroebene in der DDR zu positionieren.
Armin Müller, Konstanz