ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sascha Ott, Information. Zur Genese und Anwendung eines Begriffs. Mit einem Vorwort von Rafael Capurro, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2004, 361 S., brosch., 34,00 €.

Der Informationsbegriff fand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang in fast alle wissenschaftlichen Fachsprachen und wurde zum festen Bestandteil des allgemeinen Wortschatzes. Möglicherweise wegen dieser vielfachen und vielseitigen Benutzung wird er meist ohne exakte definitorische Bestimmung angewandt und weist Überschneidungen zu anderen Termini aus dem Bereich Kommunikation wie ,Signal', ,Zeichen' und ,Daten', aber auch zu ,Wissen' auf. Eine besondere Bedeutung kommt ihm seit einiger Zeit durch die Rede von der ,Informationsgesellschaft' zu, durch die ,Information' zum Zentrum und zur ,,Signatur unseres Zeitalters" (Rafael Capurro, Vorwort, S. 9) erhoben und in Konkurrenz zu Kategorien wie ,Leistung', ,Industrie' oder ,Konsum' gesetzt wird.

Eine umfassende begriffsgeschichtliche Darstellung des Informationsbegriffs ist schwierig, weil sie Kenntnisse in unterschiedlichen Geistes-, Sozial-, Natur- und technischen Wissenschaften voraussetzt. Dieses Problem hat der ausgebildete Physiker und Journalist Sascha Ott in seiner 2003 in Dortmund eingereichten Dissertation durch große Übersicht gelöst. Anknüpfend an Capurros Arbeit Information (1978) und mit deutlichem Bezug auf das begriffliche Instrumentarium Gernot Wersigs bietet sein Band zunächst allgemeine Reflexionen über die Etymologie und über Definitionsversuche des Informationsbegriffs sowie dessen Verwendungskontext bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Von besonderer Bedeutung für den weiteren Gedankengang ist dabei die Anwendung der drei semiotischen Ebenen ,Syntax, Semantik und Pragmatik' auf den Begriff. Als wegweisend für die weitere Entwicklung beschreibt der Autor Claude E. Shannons Studie A Mathematical Theorie of Communication (1948), in der ,Information' ausschließlich in quantitativer Hinsicht als Struktur, also aus syntaktischem Blickwinkel, betrachtet werde. Gegenüber dieser reduzierten, objektivistischen Position zeige die Begriffsverwendung in Physik, Psychologie und Philosophie das Bestreben, ,,den reinen Zeichenaspekt der Information durch einen Einbezug der semantischen und pragmatischen Aspekte zu überwinden" (S. 325). Ebenfalls als Reaktion auf einen rein strukturellen Begriffsgebrauch wird die Entwicklung des Terminus in Kybernetik, Informatik und Biologie geschildert: Auch hier seien semantische und pragmatische Aspekte hervorgehoben worden, wobei beide Ebenen in diesen Wissenschaften nicht im semiotischen Sinn eines ,Zeichens', sondern in objektiviertem, ,vermeintlichem' Verständnis gebraucht würden. Dies sei etwa der Fall, wenn mit Semantik nicht ,,die Beziehung zwischen einem Zeichen und dem von einem Individuum damit assoziierten Begriff, sondern die Beziehung zwischen einem Biomolekül und der chemischen Wechselwirkung, die durch dieses Molekül [...] stattfindet", bezeichnet werde (S. 202). Als letzte Wissenschaftsgruppe untersucht Ott die für die Theorie einer Informationsgesellschaft grundlegenden Disziplinen Ökonomie und Soziologie, in denen die Suche nach einem semantisch und pragmatisch verwertbaren Informationsbegriff dazu geführt habe, dass unter Information ,,weniger ein sinnstiftendes als vielmehr ein sinnraubendes Gut" verstanden werde (S. 249).

Damit hat Ott seiner eigentlichen These den Weg bereitet, die er im abschließenden Kapitel über die Informationsgesellschaft entfaltet: Prägend für diese Gesellschaft sei der Siegeszug des syntaktischen Informationsbegriffs gewesen, neben dem Nutzen und Sinn von Information ins Hintertreffen geraten seien. ,,An vielen Beispielen lässt sich beschreiben, dass der Wandel zur Informationsgesellschaft in wesentlichen Zügen auf einem sinnentleerten Informationsbegriff beruht, der von Kontext, Wahrheit und Nutzen der Information abstrahiert und stattdessen von einer mehr oder weniger strukturierten Menge digital verarbeitbarer Daten ausgeht" (S. 326). Diesen Befund, den der Autor an vielen positiv wie negativ besetzten Metaphern (u. a. Datenmüll, Informations-Highway und -Flut) belegt und mit Medienkritik (z. B. Überhandnehmen von Infotainment) illustriert, leuchtet im großen Ganzen ein, hinterlässt im Detail jedoch Zweifel: Benutzen die Menschen ihre Mobiltelefone heute weniger in der Öffentlichkeit oder schauen seltener in ihre Email-Accounts als noch vor zehn Jahren, weil sie der Vielzahl irrelevanter Daten und Kommunikationselemente überdrüssig geworden sind? Oder lässt sich diese Entwicklung - zumindest zum Gutteil - durch Routinen einer Modewelt erklären, in der der Umgang mit Gegenständen sich verändert, wenn diese Neuigkeit- und Exklusivitätswert einbüßen?

Diese kleinen Bedenken, die oft zu ausschweifende Darstellung von Altbekanntem und thematisch Entfernten sowie - mit Blick auf die Sprache der Untersuchung - das konsequente Ignorieren des Imperfekts, die das vergleichende Verständnis von Umständen aus unterschiedlichen Zeitschichten erschwert, können einen positiven Gesamteindruck nicht mindern: Ott bietet einen ausführlichen Überblick und präsentiert eine kulturkritische kommunikationswissenschaftliche These. Von besonderem Nutzen ist auch seine Zusammenstellung von über siebzig Definitionsversuchen des Informationsbegriffs von Vertretern unterschiedlicher Fachbereiche im Anhang seines Bandes.

Stefan Jordan, München


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