ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Bräuel, Ulrich/Samerski, Stefan (Hrsg.), Ein Bischof vor Gericht. Der Prozeß gegen den Danziger Bischof Carl Maria Splett 1946, fibre Verlag, Osnabrück 2005, 317 S., geb., 24 €.

In den Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche Deutschlands und Polens im zwanzigsten Jahrhundert gibt es immer noch nicht beigelegte Kontroversen, die unter den Katholiken beider Nationen heftige Emotionen wecken. Zu den wichtigsten von ihnen gehören die Tätigkeit des Danziger Bischofs Carl Maria Splett in den Jahren 1939-1945 und das Vorgehen der Volksrepublik Polen gegen den Bischof in den Jahren 1945-1956.

Angesichts der völligen Lahmlegung des Kirchenlebens in der polnischen Diözese Kulm durch die Nationalsozialisten, ernannte der Vatikan den Bischof der Nachbardiözese Danzig, C. M. Splett, zum Apostolischen Administrator von Kulm. Man hoffte, dass der deutsche Bischof von den NS-Besatzern geduldet werde und die Seelsorge zumindest teilweise wiederherstellen könne. Diese Aufgabe meisterte Splett in der Tat, allerdings zum Preis einer vollständigen Germanisierung des Kirchenlebens. Besonders schwerwiegend war das von dem Bischof entgegen den fundamentalen Prinzipien der Katholischen Kirche verhängte Verbot der polnischsprachigen Beichte, selbst im Angesichts des Todes des Gläubigen. Freilich handelte Splett in einer Zwangslage: Das Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Nationalsozialisten ermöglichte eine mindestens ansatzweise intakte Seelsorge, ein Widerstand hätte mit der völligen Zerstörung der Kulmer Kirche enden können.

Nach dem Krieg wurde Bischof Splett von den neuen polnischen Machthabern verhaftet, antipolnischer Maßnahmen beschuldigt und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Abbüßung der Gefängnisstrafe wurde Splett nicht freigelassen, sondern in einem Kloster interniert. Erst im Zuge der Entstalinisierung im Jahre 1956 wurde ihm die Ausreise nach Westdeutschland gestattet.

Für die marxistischen Historiker Polens war Splett ein NS-Verbrecher, unter den polnischen katholischen Historikern begann eine intensivere Splett-Debatte erst nach dem Fall des Kommunismus. Ein Teil von ihnen verteidigte dann die Handlungsweise des Bischofs und verurteilte den kommunistischen Prozess gegen ihn. Andere hingegen beurteilen Splett bis heute sehr negativ.

In der Bundesrepublik betonten katholische Historiker und Publizisten praktisch seit der Verurteilung Spletts die Unschuld des Bischofs und den Unrechtscharakter der gegen ihn gerichteten Maßnahmen der polnischen kommunistischen Behörden. Diese Veröffentlichungen gehen mit Splett meistens auf eine unkritische, apologetisierende und hagiographische Weise um.

Es gibt nur wenige kritische Würdigungen der Tätigkeit des letzten deutschen Bischofs von Danzig; zu ihnen gehören vor allem einige Veröffentlichungen von Stefan Samerski, der sich, anders als manche deutsche oder polnische Historiker aus dem katholischen Spektrum, bemühte, methodologisch sauber zu arbeiten, Emotionen keinen freien Lauf zu lassen und eine national gefärbte, einseitige Sicht der Dinge abzulehnen.

Dieser Befund veranlasst zu der Hoffnung, dass der von Samerski zusammen mit dem Rechtswissenschaftler Ulrich Bräuel herausgegebene Sammelband einen authentischen Beitrag zur endgültigen Klärung der Splett-Kontroverse darstellen würde. Das war auch das erklärte Ziel der Herausgeber, das dank einer sorgfältigen Analyse der Tätigkeit Spletts, des Prozesses gegen ihn sowie des politischen Hintergrunds dieser Ereignisse erreicht werden sollte. Zurecht entschieden sich die Autoren für einen interdisziplinären, historisch-juristisch-kirchenrechtlichen Charakter der Untersuchung der komplizierten Materie. Zurecht luden sie auch polnische Forscher zur Zusammenarbeit ein, denn nur so können binationale Kontroversen überzeugend beigelegt werden.

Bevor der Frage nachgegangen wird, inwiefern es den Herausgebern gelang, ihr kühnes Vorhaben durchzusetzen, soll in gebotener Kürze auf die Autoren und Themen einzelner Beiträge des Bandes hingewiesen werden. Im ersten Beitrag stellt Thomas Urban den Verlauf der Splett-Debatte in Polen seit dem Fall des Kommunismus dar (S. 25-44). Im zweiten schildert Stefan Samerski den Lebenslauf und insbesondere die umstrittene Tätigkeit Spletts in den Jahren 1938-1945 (S. 45-93). Der dritte Beitrag von Ulrich Bräuel stellt eine rechtswissenschaftliche Analyse des Splett-Prozesses dar (S. 95-143). Im vierten Beitrag befasst sich Thomas A. Amann mit den kirchenrechtlichen Aspekten des Splett-Prozesses (S. 145-169).

Diesen vier, für das Thema zentralen Beiträgen, folgen drei weitere Artikel, die den Hintergrund der Splett-Kontroverse erhellen und somit zur besseren Beurteilung der Ereignisse beitragen sollen. So schildert Daniel Fickenscher den Umgang der katholischen Kirche mit der Muttersprache der Gläubigen im Gottesdienst und in der Seelsorge unter besonderer Berücksichtigung der Sprachkonflikte im Raum der Habsburger-Monarchie sowie in Deutschland vor 1918, in der Weimarer Republik und im Vorkriegspolen (S. 171-204). Hans-Werner Rautenberg führt den Leser in die Sprachproblematik in Westpreußen ein (205-246), Mirosław Piotrowski stellt die Staat-Kirche-Beziehungen in den ersten Jahren des kommunistischen Polens dar (S. 247-261) und Łukasz Kamiński bietet eine Einführung in die Problematik der Schauprozesse im stalinistischen Polen an (S. 263-280). Der Band schließt mit einem Zeitzeugnis des Danziger Priesters Stephan H. Pfürtner (S. 281-313).

In dem Sammelband werden nicht nur die vorhandenen Kenntnisse systematisiert, sondern der Diskurs wird um neue wichtige Informationen und Schlussfolgerungen bereichert. Daher stellt er zweifelsohne einen beachtenswerten Beitrag zur Erforschung der Splett-Kontroverse dar. Leider ist er aber kein Meilenstein, und seine Lektüre wird für einen mit der Materie vertrauten Leser aus mehreren Gründen enttäuschend sein.

Zunächst ist zu bedauern, dass der vielversprechende Ansatz einer internationalen und interdisziplinären Zusammenarbeit in der Praxis nicht überzeugt. Die von den Herausgebern in der Einleitung angekündigte ,,Kooperation von polnischen und deutschen Experten" (S. 14) beschränkt sich auf zwei Beiträge polnischer Autoren, dazu noch nicht unmittelbar der Splett-Kontroverse gewidmet, sondern dem politischen Hintergrund. Dabei gibt es in der Splett-Angelegenheit immer noch viele ungeklärte Fragen, zu deren Beantwortung ausgerechnet polnische Forscher beitragen könnten. Dazu gehört vor allem die Frage nach den Motiven der polnischen Kommunisten, Splett in ein prozessähnliches Schauspiel zu verwickeln. Es gibt viele Indizien dafür, dass der Prozess primär nicht die Bestrafung des deutschen Bischofs, sondern die Schwächung der polnischen Kirche bewirken sollte. Handfeste Beweise für diese These gibt es jedoch bislang nicht. Unklar ist auch die Vorgeschichte des Prozesses. Brisant ist, dass die NKWD schon im Frühling 1945 die Absicht offenbarte, Splett mit dem Vorwurf der antipolnischen Tätigkeit und der Spionage zugunsten des Vatikans zu belasten. Aus unbekannten Gründen verzichteten die Sowjets auf ihren Plan, ein paar Monate später wurde er jedoch in etwas modifizierter Fassung von den polnischen Kommunisten wieder aufgegriffen. Höchst interessant ist auch die Rolle des kommunistischen Agenten Georg Stremmer, alias Jerzy Dunin, den Splett aus unerklärlichen Gründen, ohne ihn näher zu kennen, im Frühling 1945 zum Priester weihte.

Nach der Öffnung der Archive des Instituts des Nationalen Gedenkens könnte diesen und anderen Fragen nachgegangen werden, und ihre Klärung könnte zur Erhellung des Splett-Prozesses wesentlich beitragen. Die fast völlige Ausblendung dieses zentralen Aspekts durch die Herausgeber stellt den wohl wichtigsten inhaltlichen Schwachpunkt des Sammelbandes dar. Dabei wäre es gerade vor dem Hintergrund der von ihnen angestrebten Rehabilitierung des Bischofs wichtig, beweisen zu können, dass der Splett-Prozess von Anfang an nicht als juristischer Akt, sondern als politische Inszenierung konzipiert war.

Weiterhin ist, wie erwähnt, die Verwirklichung des intersdisziplinären Ansatzes bedenklich, vor allem im Falle eines der zentralen Beiträge des Bandes, der vom Mitherausgeber und Rechtsanwalt Ulrich Bräuel vorgenommenen juristischen Analyse des Splett-Prozesses. Der Verfasser gibt zu, dass er kein Fachmann für polnisches Verfassungs-, Straf- und Strafprozessrecht der Nachkriegszeit sei, und dass er sich bei der Analyse auf Detail-Informationen der Referentin des Max-Planck-Instituts für polnisches Recht stützen musste. Die Referentin habe die relevanten polnischen Gesetzestexte ins Deutsche übersetzt sowie ,,die vom Verfasser für einschlägig gehaltenen abstrakt formulierten Fragen zu Regelung im polnischen Straf- und Strafprozeßrecht abstrakt beantwortet" (S. 137, Anm. 2). Die Frage, ob diese Vorgehensweise den wissenschaftlichen Standards entspricht, bleibe dahingestellt.

In geringerem Umfang sind ähnliche Zweifel auch im Hinblick auf den Beitrag von Daniel Fickenscher anzumelden. Hier ist die Frage berechtigt, ob es nicht sinnvoll wäre, den die deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen betreffenden Teil des Beitrags von einem Co-Autor verfassen zu lassen, der nicht nur in der komplizierten Materie gut orientiert, sondern auch der polnischen Sprache mächtig ist und neben der deutschen auch die polnische Fachliteratur heranziehen könnte. So hätte manch eine einseitige Formulierung des ansonsten sehr um Objektivität bemühten Textes vermieden werden können.

Schwerer wiegende Vorwürfe sind einem anderen Bandautor, Thomas Urban, zu machen. Dieser Journalist und Publizist offenbart zwar seit langem ein lebhaftes Interesse für die deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen, seine Beiträge zu dieser Thematik wecken aber weitgehende Bedenken. Die Texte Urbans lassen erkennen, dass er über keine geschichtswissenschaftliche Vorbereitung verfügt, die für eine kompetente Beschäftigung mit dem komplizierten Thema notwendig wäre. Dennoch scheut Urban seine sehr pointierten, meistens gegen die polnische Kirche gerichteten Schlussfolgerungen nicht. (1) Auch in dem Sammelbandbeitrag formuliert Urban unverifizierte Pauschalformulierungen (die polnische Kirche habe sich nach 1945 in den Oder-Neiße-Gebieten ,,energisch an der Auslöschung aller Spuren der deutschen Vergangenheit" beteiligt, S. 26), stichelt gegen die polnische Kirche (ein für das eigentliche Thema überflüssiges Hlond-Zitat, das den Leser wohl auf den angeblichen Antisemitismus des Primas aufmerksam machen soll, S. 30) und offenbart fehlendes Fachwissen. (2)

Verwunderlich und enttäuschend ist die Tatsache, dass sich die Herausgeber kaum mit den Argumenten auseinandersetzen, die von den Kritikern von Bischof Splett vorgetragen werden. Gewiss verdienen manche primitive und hasserfülte Tiraden keine Beachtung. Aber es gibt auch Zweifel, mit denen man sich sehr wohl auseinander setzen soll, wenn man zur authentischen Klärung der Splett-Kontroverse beitragen will. Dazu gehört u. a. der bereits erwähnte Brief Spletts an den Vatikan vom 14. Januar 1940, in dem der Bischof die polnische Regierung und Armee diffamierte, die NS-Besatzungspolitik auf eine verharmlosende Weise darstellte und die Verfolgung der polnischen Geistlichen mit dem Vorwand der NS-Propaganda, sie hätten die Bevölkerung zum Widerstand aufgerufen, entschuldigte. Dazu gehörte ferner die Ernennung von zwei aktiven Mitgliedern der NSDAP zu Bischöflichen Kommissaren, die von der Gestapo nicht erzwungene Einführung der deutschen statt der lateinischen Tauf-, Trauungs- und Begräbnisriten in der Diözese Kulm oder der Antrag des Bischofs auf die Mitgliedschaft in der Fuldaer Bischofskonferenz mit der Begründung, dass Danzig und Kulm inzwischen erneut Bestandteile des Deutschen Reiches seien.

Stefan Samerski informiert zwar in seinem Beitrag darüber, dass der Gauleiter Forster während seines Prozesses im Jahre 1948 feststellte, Splett sei der ,,gehorsamste Befehlsempfänger der Hitlerpartei" gewesen (S. 63), geht aber über diese Aussage erstaunlich leicht hinweg. Mit den übrigen Verdachtsmomenten setzt sich weder Samerski (3), noch ein anderer Bandautor auseinander. Dabei ist die eindeutige Klärung der tatsächlichen Haltung Spletts in den Jahren 1939-1945 eine wichtige Voraussetzung für die Beilegung der Kontroverse um ihn. Die Feststellung, dass der Splett-Prozess ein Unrecht war, bedeutet nämlich noch lange nicht, dass die Tätigkeit des Bischofs rechtlich, und vor allem moralisch nicht anfechtbar war, auch wenn man die Zwangslage Spletts bedenkt.

Für Ulrich Bräuel sind die Zeugenaussagen der Kulmer Geistlichkeit vor dem Gericht der beste Beweis für die Unschuld des Bischofs. Besonders glaubwürdig sei dabei die Aussage des Theologieprofessors Sawicki, auf dessen Kosten Splett Bischof von Danzig wurde, denn ,,er hätte wahrhaftig keinen Anlaß gehabt, zu dessen [Spletts] Gunsten sachlich falsch auszusagen, wenn er dazu überhaupt fähig gewesen wäre" (S. 123). Diese Schlussfolgerung ist ein Beispiel für einen zu leichtfertigen Umgang mit der komplizierten Thematik. Hätte Bräuel die Vernehmungsprotokolle des Splett-Prozesses genau gelesen, hätte er erkannt, dass zumindest ein Teil der von der Staatsanwaltschaft früher vernommenen Zeugen vor dem Gericht ihre vorherigen, Splett belastenden Aussagen zurückzog oder abmilderte. (4) Die Konfrontation mit dem Leid des Angeklagten und den möglichen Konsequenzen für ihn (man befürchtete das Todesurteil) sowie das Bewusstsein, dass es sich nicht um einen ordentlichen Prozess, sondern um eine antikirchliche Inszenierung handelte, konnte die Zeugen sehr wohl dazu bewegen, wider besseres Wissen zugunsten des Bischofs auszusagen.

Der Sammelband endet mit einem Zeitzeugnis eines Danziger Geistlichen, das vor dem Hintergrund der üblichen Zeugnisse vertriebener Geistlicher aus den Oder-Neiße-Gebiete aufhorchen lässt. Es wird darin kein verklärtes, hagiographisches Bild des letzten deutschen Bischofs von Danzig vorgestellt, es wird keine apologisierende Rhetorik angewendet. Es wird nüchtern auf die Größe Spletts hingewiesen, aber gleichzeitig werden auch seine Schwächen und Fehler nicht verschwiegen. Schade, dass die Bandautoren diesen vermeintlichen Schwächen und Fehlern nicht mehr Aufmerksamkeit schenkten. Nicht, um die Haltung des Bischofs von vornherein zu beanstanden, sondern um Verdachtsmomente zu überprüfen und somit zur möglichst objektiven Klärung der Splett-Kontroverse beizutragen.

Wegen der vorstehend geschilderten Schwächen wird der Sammelband von Samerski und Bräuel leider keinen Durchbruch in der Splett-Debatte bewirken, auch wenn er sie hoffentlich beleben und vertiefen wird.

Robert Zurek, Berlin


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | April 2006