ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Frank Schauff, Der verspielte Sieg. Sowjetunion, Kommunistische Internationale und Spanischer Bürgerkrieg 1936-1939 (Quellen und Studien zur Sozialgeschichte, IISG Amsterdam), Campus Verlag, Frankfurt/Main 2004, 405 S., kart., 45 €.

Das Eingreifen der Sowjetunion in den spanischen Bürgerkrieg ist auch 70 Jahre nach dessen Beginn Gegenstand eines heftigen Meinungsstreits, in dem der Charakter des politischen Systems der Republik im Krieg zur Debatte steht. War die Spanische Republik nach 1936 de facto ein Moskauer Marionettenregime oder besaß sie als autonome Demokratie weitgehenden politischen Handlungsspielraum? Die sowjetische Politik gegenüber Spanien hat, nicht zuletzt aufgrund der jahrzehntelangen Unzugänglichkeit wichtiger Quellenbestände, immer wieder zu Spekulationen über ihre Motive und Ziele Anlass gegeben. In den letzten Jahren haben zwar eine Reihe neuer Studien unser Verständnis kommunistischen Handelns im Bürgerkrieg beträchtlich erweitert, doch bleiben auch sie hinsichtlich der Strategie der Sowjetunion weitgehend auf Mutmaßungen angewiesen. (1) Es ist das große Verdienst der Dissertation von Frank Schauff, auf der Grundlage neu zugänglicher sowjetischer Quellen viel zur Aufhellung der sowjetischen Politik beizutragen und zahlreiche hartnäckige Mythen zu korrigieren. Schauffs Studie setzt sich von der umfangreichen Forschungsliteratur zum Thema ab, indem der Autor konsequent die bislang sträflich vernachlässigte innersowjetische Perspektive auf die Geschehnisse in Spanien einnimmt und die Handlungen der Sowjetunion im Bürgerkrieg aus der Binnenlogik der sowjetischen Gesellschaftsentwicklung und Außenbeziehungen der 1930er-Jahre erklärt. Er gelangt dadurch zu einer modifizierten Sichtweise auf das sowjetische Eingreifen, das weniger als Ergebnis einer kühl berechnendenden Politik denn als Resultat politischer Zielkonflikte und eines grundlegenden institutionellen und personellen Chaos erscheint.

Die Moskauer Politik bewegte sich im Spannungsfeld zwischen den Zielen einer möglichst effektiven Unterstützung der republikanischen Kriegsanstrengungen und einer Annäherung an die Westmächte. Die sowjetische Führung war aufrichtig an einem Sieg der republikanischen Seite interessiert, durch den deutsche und italienische Expansionsabsichten abgewehrt und das bestehende Mächtegleichgewicht in Europa erhalten werden sollten. Gleichzeitig wollte sie im Rahmen der neuen außenpolitischen Doktrin der kollektiven Sicherheit Großbritannien und Frankreich von der Notwendigkeit eines Bündnisses mit der Sowjetunion gegen die faschistischen Staaten überzeugen. Stalin fürchtete während des gesamten Bürgerkriegs eine außenpolitische Isolierung der Sowjetunion und war ängstlich darauf bedacht, die Westmächte nicht durch ein zu offenes Eingreifen in Spanien zu entfremden. Die konkrete Spanienpolitik war diesen außenpolitischen Zielen untergeordnet. Die Sowjetunion war während des gesamten Bürgerkrieges an einem möglichst zurückhaltendem Auftreten ihrer Emissäre in Spanien interessiert und versuchte mäßigend auf die spanischen Kommunisten einzuwirken. Angesichts der kommunismuskritischen Haltung der westlichen Öffentlichkeiten hatte sie kein Interesse daran, Spanien zu einem sowjetischen Satellitenstaat zu machen, zumal die Sowjetunion zu keinem Zeitpunkt die erforderlichen Machtmittel besaß, um eine hegemoniale Stellung der Kommunisten in Spanien gegen die übrigen politischen Kräfte durchzusetzen. Die militärische Effizienz der Kriegsanstrengungen wog für sie höher als die politische Zusammensetzung der republikanischen Regierung. Entsprechend drängte sie vor allem auf eine Steigerung der Kriegsanstrengungen und versuchte, interne politische Konflikte auf republikanischer Seite möglichst zu beschwichtigen, um den Kriegserfolg nicht zu gefährden. Stalin nutzte auch die Internationalen Brigaden nicht als Druckmittel gegenüber der Republik, sondern war vielmehr mit Rücksicht auf die Westmächte um ein möglichst unscheinbares Auftreten der Kominternarmee bemüht. (2) Die häufig geäußerte Ansicht, das Engagement in Spanien stelle einen Probelauf für die Einmischung in die Volksdemokratien nach dem Zweiten Weltkrieg dar, geht vor diesem Hintergrund fehl.

Die übergeordneten Spanienpläne der Moskauer Zentrale entsprachen jedoch nur sehr bedingt der praktischen Hilfspolitik, die durch zahllose Gegensätze gekennzeichnet war. Der grundlegende Widerspruch zwischen einem prinzipiellen revolutionären Anspruch der Kommunisten einerseits und einer realpolitisch-defensiven Politik gegenüber der Republik andererseits konnte in Spanien nie wirklich gelöst werden. Vertreter der Sowjetunion vor Ort versuchten immer wieder eigenmächtig, die Politik der Republik zu beeinflussen. Moskau verurteilte diese Vorstöße regelmäßig, Konflikte zwischen sowjetischen Beratern, der Kommunistischen Partei Spaniens und der Moskauer Zentrale um Art und Weise der Einflussnahme hielten aber bis Kriegsende an.

Die Ambivalenz der sowjetischen Politik, die in der Forschung immer wieder Anlass zu Spekulationen gegeben hat, war jedoch darüber hinaus wesentlich dem ,,Großen Terror" in der Sowjetunion geschuldet. Der Terror dezimierte das Personal der mit Spanien befassten Institutionen in kaum vorstellbarem Maße. Immer wieder mussten Positionen neu besetzt werden, und schließlich blieben vor allem unerfahrene und häufig inkompetente Kräfte in den Abteilungen zurück. Wichtige Positionen im diplomatischen Korps wie diejenige des sowjetischen Botschafters in Spanien konnten sogar lange Zeit aufgrund des Fehlens geeigneten Personals nicht wieder besetzt werden. Der Terror verstärkte die dem kommunistischen Regime inhärente Tendenz zu zentralistischer, langwieriger Entscheidungsfindung und verschärfte die ohnehin existenten Abstimmungsprobleme zwischen den verschiedenen mit Spanien befassten sowjetischen Institutionen, der Kommunistischen Internationale, der Roten Armee und des Volkskommissariats für auswärtige Angelegenheiten. Kontinuierliche und zielgenaue Hilfe war unter den Bedingungen des Terrors kaum möglich. Während ein absichtliches Zurückhalten von Material und Waffen nicht festgestellt werden kann, beeinträchtigten Terror und Desorganisation die sowjetischen Hilfsaktionen für die republikanische Seite wesentlich und lähmten sie phasenweise vollständig. Die Spanienpolitik wurde sehr viel stärker von einem Kompetenz- und Institutionenchaos geprägt als von einer stichhaltigen politischen Linie.

Frank Schauff hat eine wichtige Studie vorgelegt, deren sachliche Argumentation sich wohltuend von den spekulativen Erörterungen vieler Bücher zum Thema abhebt. Akteure, Ziele und Widersprüche der sowjetischen Politik werden überzeugend herausgearbeitet. Das Bemühen, die Moskauer Entscheidungsfindung möglichst genau nachzuzeichnen, führt jedoch zu einigen unnötigen Längen der Darstellung, die das Lesevergnügen streckenweise trüben. Statt der minutiösen Rekonstruktion einzelner Sitzungen Moskauer Leitungsinstanzen

hätte der Rezensent sich eine ausführlichere Thematisierung der Interaktionen von sowjetischen Beratern, Soldaten und Diplomaten mit den politischen Kräften und der Bevölkerung in Spanien selbst gewünscht. Gerade weil der Einfluss der Moskauer Zentrale beschränkter war, als oft angenommen wurde, erwecken die Handlungen und Interaktionen der Akteure vor Ort neues Interesse.

Till Kössler, München


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