ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Walter Fischer, Ein Journalist gegen Hitler. Erinnerungen, hrsg. von Laurent Fischer, bearb. und eingeleitet von Dagmar Friedrich, vorwärts buch, Berlin 2005, 199 S., brosch., € 14,80.

In der deutschen Nachkriegsgeschichte haben mehrere ehemalige Exilanten eine wichtige Rolle im (west)deutschen Pressewesen gespielt, beispielsweise Fritz Eberhard im Radio (Süddeutscher Rundfunk), Erich Brost (Westdeutsche Allgemeine) und Karl Gerold (Frankfurter Rundschau) im Zeitungswesen. Mit der vorliegenden Publikation wird erstmals eines Zeitungsherausgebers gedacht, der in diesem Kontext bislang wenig beachtet wurde: Walter Fischer, langjähriger Herausgeber der in Bayreuth erscheinenden Fränkischen Presse. Der geringere Bekanntheitsgrad Fischers hat wohl weniger damit zu tun, dass seine Zeitung publizistisch weniger Bedeutung erlangt hat als etwa die anderen hier genannten Blätter, sondern hing vermutlich eher mit seinem zurückhaltenden Wesen zusammen: Er trat nach 1945 weder als Person politisch hervor noch strebte er sonst eine gesellschaftlich herausragende Rolle an.

Dabei macht ihn sein politischer und publizistischer Werdegang durchaus zu einer interessanten Persönlichkeit, die die Neugier des Historikers zu wecken vermag. 1905 im sächsischen Wilkau geboren, wuchs Fischer in einem sozialdemokratischen Milieu auf. Nach einer Schlosser- und Elektrikerlehre trat er mit 21 Jahren als Volontär in die Redaktion des Sächsischen Volksblattes (Zwickau) ein und arbeitete dort bis zum Verbot des Blattes 1933. Unter dem Einfluss seines Chefredakteurs Max Seydewitz schloss er sich 1931 der von der SPD nach links abgespaltenen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) an. Nach der Machtübernahme durch die NSDAP zog er sich - scheinbar - aus der Politik zurück und überlebte als Obstbauer, gehörte tatsächlich aber der illegalen SAP-Bezirksleitung Südwestsachsen an und verbreitete unter Gesinnungsfreunden ein Untergrundblättchen. 1935 geriet er ins Visier der Gestapo und floh rechtzeitig vor einer Verhaftung in die Tschechoslowakei.

Dort erlebte er das alltägliche Elend des Exils. Fischer betätigte sich als Grenzsekretär und schrieb für linke sudetendeutsche Zeitungen. 1937 wurde er ausgebürgert, im November 1938 musste er über Polen und Schweden nach Norwegen fliehen, wo er seinem Parteifreund Willy Brandt begegnete. In Norwegen fand er zunächst eine Bleibe, die ihm auch durch seine Mitarbeiter an der Bergens Tidende eine Lebensgrundlage bot und in der er sich offensichtlich auch wohl fühlte. Die Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht zwang ihn zum dritten Mal zur Flucht. Zunächst floh er in solche Häfen Mittelnorwegens, die noch nicht besetzt und auch noch nicht von der deutschen Marine blockiert waren. Die ausführliche Schilderung dieser Flucht durch Norwegen gehört sicher zu den spannendsten Passagen seiner Erinnerungen. Nach vielen Irrfahrten konnte Fischer mit einem Schiff, mit dem auch die norwegische Königsfamilie emigrierte, nach Schottland entkommen.

Aber die gelungene Flucht in die Sicherheit bedeutete nicht den Sprung in die Freiheit. Im Zusammenhang mit der zunächst einsetzenden fremdenfeindlichen Hysterie in Großbritannien wurde er wie viele andere exilierte deutsche Hitler-Gegner als ,,enemy alien" interniert und nach Kanada deportiert. Erst nach anderthalb Jahren wurde er 1942 von Sefton Delmer für die Rundfunkpropaganda geworben, zunächst nach Algier und anschließend in das im Sommer 1944 befreite Paris. Danach hielt er sich in London auf, wo er wieder in der SAP aktiv werden konnte und in diesem Kontext auch deren Zusammenschluss mit der SPD mit vorbereitete. Im Besitz einer amerikanischen Zeitungslizenz kehrte Fischer im Herbst 1946 nach Deutschland zurück und gründete in Bayreuth die Fränkische Presse (später Nordbayerischer Kurier), die er bis zu seinem Tode 1982 leitete. Politisch trat er nicht mehr hervor, betätigte sich aber längere Zeit als Vorstandsmitglied des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger.

Die Erinnerungen Fischers dokumentieren den typischen Werdegang eines politischen Emigranten und Remigranten und verdienen daher das Interesse besonders der Exilforschung. Aber seine posthum herausgegebenen Erinnerungen erwecken den Eindruck, als seien sie allenfalls für die Familie, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Dichte der einzelnen Phasen seiner Autobiografie ist sehr unterschiedlich. Während das Exil in der Tschechoslowakei und in Norwegen ausführlich geschildert werden, bleibt die Darstellung der späteren Lebensabschnitte blass und knapp. Man hätte gern mehr über seine Eindrücke von bestimmten Situationen und über politische und menschliche Begegnungen u.a. auch mit anderen deutschen Exilanten erfahren. Seine 1944 in London mit einer Französin geschlossene Ehe wird überhaupt nicht erwähnt. Von Interesse wären z.B. Informationen über den publizistischen Neuanfang im Nachkriegsdeutschland. Daher hat man den Eindruck, als hätte Fischer gerade die letzten Passagen seiner Erinnerungen schnell und lustlos entworfen, um eine lästige Aufgabe abzuschließen. Er hat sich dadurch um die Chance gebracht, ein interessantes Leben in einem interessanten Memoirenwerk darzustellen. Diesen Mangel kann auch die sorgfältige editorische Bearbeitung nicht wett machen.

Schließlich bleibt noch eine Frage übrig: Warum erscheinen diese Erinnerungen erst jetzt, wo die Exilforschung den größten Teil ihrer Aufgaben erledigt und das öffentliche Interesse an den Themen Widerstand, Flucht, Exil und Remigration stark nachgelassen hat? Vor zwanzig Jahren hätten Fischers Erinnerungen manches Forschungsinteresse geweckt, zu mancher Studie wichtige Informationen beitragen, manche weitere Fragen aufwerfen und Forschungen anregen können. Ob ihnen dies heute noch gelingt, ist zweifelhaft, obwohl sie es verdient hätten.

Patrik von zur Mühlen, Bonn


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | April 2006