ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Martin Vogt (Hrsg.), Herbst 1941 im "Führerhauptquartier". Berichte Werner Koeppens an seinen Minister Alfred Rosenberg (Materialien aus dem Bundesarchiv, Heft 10), Bundesarchiv, Koblenz 2002, 160 S., geb., 7 €.

Am 2. April 1941, während die Vorbereitungen für den Angriff auf die Sowjetunion auf Hochtouren liefen, kam es zu einer intensiven Beratung zwischen Alfred Rosenberg und Adolf Hitler:

,,,Rosenberg, jetzt ist Ihre große Stunde gekommen!' Mit diesen Worten beendete der Führer heute eine zweistündige Unterredung mit mir." (1)

Thema der Unterredung war der ,,bekannte Eventualfall", womit der Überfall auf die Sowjetunion gemeint war. Rosenberg überreichte Hitler eine von Arno Schickedanz ausgearbeitete Gedenkschrift ,,Betrifft: UdSSR", die mit der Feststellung begann:

,,Eine militärische Auseinandersetzung mit der [UdSSR] wird zu einer ausserordentlich schnellen Okkupation eines wichtigen großen Teiles der UdSSR führen." (2)

Diese Prognose erwies sich als zutreffend, nicht aber die, dass dies zu einem raschen militärischen Zusammenbruch der Sowjetunion führe. Doch unter dieser Prämisse standen die im Folgenden entwickelten Planungen, mit deren Hilfe die UdSSR, zerteilt in sieben Großräume, einer neuen Bestimmung zugeführt werden sollte: vom ,,Abschubraum" für rassisch Unerwünschte bis hin zu einem ,,Schwarzmeerbund", dessen Aufgabe es war, ,,Moskau stets in Schach [zu] halten".

Bereits fünf Tage später machte Rosenberg personelle Vorschläge für im Osten zu errichtende Reichskommissariate. Am 20. April 1941 ernannte Hitler im Rahmen der Feier seines 52. Geburtstages Rosenberg zum ,,Beauftragten der Fragen des osteuropäischen Raums". Am 22. Juni überschritt die Wehrmacht die deutsch-sowjetische Demarkationslinie, am 24. Juni bezog Hitler bei Rastenburg in Ostpreußen Quartier in der ,,Wolfsschanze", in der er von diesem Tag an für ungefähr ein Jahr blieb. Am 17. Juli ernannte er Rosenberg zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Doch der Minister hatte seinen Dienstsitz in Berlin, zunächst in der ehemaligen jugoslawischen, dann in der sowjetischen Botschaft ,,Unter den Linden". Er kam nur äußerst selten ins ,,Führerhauptquartier" und entsandte stattdessen seinen jungen Adjutanten Werner Koeppen als Verbindungsmann. Koeppen gehörte somit, ebenso wie Walter Hewel, der das Auswärtige Amt vertrat, und die Repräsentanten der verschiedenen Gliederungen der Wehrmacht und andere, zu dem Personenkreis, der beim Mittagessen an Hitlers karger Tafel sitzen durfte. Er gehörte aber nicht zu dem kleinen Kreis derer, die Hitler stärker ins Vertrauen zog und die auch bei den nächtlichen Unterhaltungen, d.h. Monologen, die sich oftmals bis in die Morgenstunden hinzogen, zugegen waren. Wenn die Zahl der Gäste zu groß war, wurde Koeppen ohne große Umstände in den Speisesaal II abgeschoben.

Koeppens Berichte an seinen Minister lassen einen subalternen Autor erkennen. Einmal muss er das Wort an Hitler richten und ihm mitteilen, dass der Minister krank ist. Er vermeldet stolz:

,,Ohne daß eine Meldung notwendig war, fragte mich der Führer bei Tisch, wie es dem Reichsminister gesundheitlich ginge." (S. 8)

Im Folgenden ist deutlich zu spüren, wie Koeppen sich vor Aufregung fast verschluckt:

,,Ich teilte entsprechend dem Telefongespräch vom 6.9. vormittags mit, daß der Gesundheitszustand des Reichsministers leider nicht so sei, daß einer Teilnahme an dem Besuch in Riga am 10.9. ohne die Gefahr einer erneuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Reichsministers nicht [!] möglich sei, daß der Reichsminister dem Führer aber für die Einladung, an dem ersten Besuch seiner Vaterstadt teilzunehmen, außerordentlich zu Dank verpflichtet sei." (Ebd.)

Doch womöglich war Koeppen der richtige Mann am richtigen Ort. Vogt bemerkt dazu: ,,Koeppen hatte das Wissen zu vermitteln, das vorauseilenden Gehorsam ermöglichte." (S. VIII) Und in der Tat warb Rosenberg um die Zustimmung Hitlers zu allem, was er dachte, schrieb und tat mit einer oftmals penetranten Intensität.

Koeppens Berichte sind nur zum Teil erhalten, sie datieren, mit Unterbrechungen, vom 6. September bis zum 7. November 1941. Ihre fortlaufende Numerierung von 27 bis 55 legt die Vermutung nahe, dass es 26 weitere Berichte für den Zeitraum davor gab, die bisher aber nicht ermittelt werden konnten. Die Berichte enden im November 1941, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass Koeppen, wie Rosenberg in seinen nachgelassenen Aufzeichnungen mitteilt, von Bormann aus dem ,,Führerhauptquartier" entfernt wurde. (3)

Die hier edierten Texte stehen neben den Aufzeichnungen von Heinrich Heim und Henry

Picker(4) nunmehr als dritter, freilich erheblich schmälerer Quellenkorpus für Hitlers

Aufenthalte in der ,,Wolfsschanze" zur Verfügung. Sie bilden eine gute Ergänzung und zeichnen in Nuancen auch ein neues Bild, da der Berichterstatter schon seines Amtes wegen ganz besonders an dem Geschehen in den besetzten Ostgebieten interessiert war und deshalb z.B. die Diskussionen über das weitere Vorgehen vor Leningrad aufmerksam verfolgte.

Die Edition ist ausführlich und im Wesentlichen zuverlässig kommentiert, mit einer informativen Einleitung versehen und durch mehrere Register gut erschlossen.

Ernst Piper, Berlin


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