ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Bernhard Neff, ,,Wir wollen keine Paradetruppe, wir wollen ein Kriegstruppe...". Die reformorientierte Militärkritik der SPD unter Wilhelm II. 1890-1913, SH-Verlag, Köln 2004, 284 S., Pb., 24,80 €.

Wenn sich bürgerliche Kreise im August 1914 - und nachfolgende Historiker - über die nationale Haltung der SPD und die zumindest zeitweilige Aufrechterhaltung des ,,Burgfriedens" gewundert haben, so zeigt Bernhard Neffs Darmstädter Dissertation, dass Zweifel an der nationalen Zuverlässigkeit der SPD eigentlich unangebracht waren. Dies lag nicht nur darin, dass der Krieg als Verteidigungskrieg deklariert wurde, sondern auch an den militärpolitischen Positionen der SPD. Diese waren in der wilhelminischen Ära alles andere als pazifistisch orientiert. Vielmehr kam es den Trägern sozialdemokratischer Militärkritik um August Bebel, Gustav Noske - dessen eindeutig positive Bewertung durch Neff das spätere ,,Bluthund-Image" konterkariert - und Max Schippel darauf an, die kaiserliche Armee zu modernisieren und von allem folkloristischen Ballast zu befreien. Oft gab es daher Berührungspunkte mit linksliberalen Militärkritikern, beispielsweise in Fragen der militärischen Effizienz und Kriegsfähigkeit. Während ein Großteil der adligen Offiziere und nicht zuletzt der Kaiser selbst bunten Uniformen, stupidem Exerzierdrill und militärisch zweifelhaften, dafür aber umso glamouröseren Kaisermanövern anhingen, sahen die reformorientierten Kräfte die Wirkungen des industriell geführten Massenkrieges voraus. Sie verlangten eine professionelle Gefechtsausbildung und die Abschaffung bunter Uniformen, wobei ihre einstige Forderung nach einem Volksheer auf der Strecke zu bleiben drohte.

Als Instrumentarium dient Neff die Unterscheidung in ,,militärisch" und ,,militaristisch", wobei ,,militaristisch" alle überkommenen Äußerlichkeiten und ,,militärisch" den Effizienzgedanken in der Armee meint. In seiner methodisch und quellenkritisch sauberen Arbeit stützt er sich vorwiegend auf die von SPD-Parlamentariern überlieferten Quellen, weniger auf die Diskussion innerhalb der Gesamtpartei, die etwas blass bleibt. Sein Ziel ist das ,,Nachzeichnen der parlamentarischen Integration der SPD in res militaribus" (S. 11). Dabei kann er immer wieder zeigen, wie konsequent die Reformer ihre Militärkritik äußerten - und vor allem wie früh schon ernsthafte Bemühungen um eine Verbesserung der ,,Kriegsfähigkeit" der Armee zu erkennen sind. Doch gerade die Eindeutigkeit seiner These und Argumentation sorgt bisweilen für Wiederholungen, da er einer strikten Chronologie verpflichtet ist und die jeweiligen Argumente in jedem Kapitel erneut ,,abarbeitet". Dies liegt freilich in der Natur der Sache, da sich die Argumente der SPD-Militärreformer zwischen 1890 und 1913 kaum änderten.

Als souverän kann auch Neffs Umgang mit der aktuellen Forschung bezeichnet werden, wobei er hinsichtlich der SPD zwei historiografische Thesen eingehender diskutiert: Zum einen geht es um die Frage der ,,negativen" Integration (Dieter Groh) der SPD in die wilhelminische Gesellschaft, zum anderen um den von Stig Förster thematisierten ,,doppelten Militarismus". Neff betrachtet - und das leuchtet ein - das starke Bemühen der SPD-Reichstagsfraktion um eine konstruktive Militärkritik als den entscheidenden Schritt in Richtung einer politischen Bündnisfähigkeit zumindest mit linksliberalen Kräften, quasi als Vorgriff auf die Reichstagsresolution des Jahres 1917. Diese schrittweise Annäherung macht er bereits für das Jahr 1890 aus. Auf der anderen Seite zeigt er plausibel auf, dass die SPD-Reformer den Militarismus ausschließlich als manipulatives Instrument der herrschenden Klassen betrachteten und dessen innergesellschaftliche Dynamik und seine Triebkräfte ,,von unten" unterschätzten (S. 253). Somit hat der Autor ein Buch vorgelegt, das durch seinen systematischen Zugriff auf teils bekannte, teils neue Aspekte überzeugt und seiner plausiblen These unterordnet, die Militärkritik der SPD habe schon früh konstruktive und differenzierte Züge angenommen.

Rainer Pöppinghege, Paderborn


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