ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Mario Keßler, Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen (1889-1943) (Zeithistorische Studien, Bd. 24), Böhlau Verlag, Köln u.a. 2003, 335 S., geb., 39,90 €.

Mario Keßlers Biografie des Historikers und kritischen Marxisten Arthur Rosenberg präsentiert in für Fachwissenschaftler wie interessierte Allgemeinleser gleichermaßen zugänglicher Form Leben und Wirken eines moralisch integren und analytisch innovativen Grenzgängers. Die flüssig geschriebene Monografie besticht durch eine Fülle neuen Materials, welches Keßler aus einer Vielzahl europäischer und amerikanischer Archive zusammengetragen hat. Dem Autor ist es außerdem gelungen, wie schon in seinen zahlreichen anderen Arbeiten eine Reihe teilweise hoch betagter Zeitzeugen aufzuspüren und zu befragen. Somit liegen gegenwärtig gemeinsam mit Lorenzo Riberis 2001 in Italien erschienenem Rosenberg-Buch zwei exzellente Biografien über Rosenberg vor. Obgleich ein wenig in Vergessenheit geraten und besonders auch in der ehemaligen DDR aus ideologischen Gründen kaum bekannt, kann dieser kritische Außenseiter und ,,Renegat" kaum überschätzt werden. So unterschiedliche Denker wie Noam Chomsky, Ossip Flechtheim und Walter Markov sind in ihren Fragestellungen von seinen Gedanken beeinflusst.

Auf solider deskriptiver Grundlage bereitet Keßler hier den Boden für kommende und mehr theoretisch-analytische Rosenberg-Studien. Dies bedeutet aber keineswegs, dass in diesem Werk der systematische analytische Ansatz fehlt. Doch ist es sehr schwierig, ein an Brüchen und partiell fundamentalen Umorientierungen so reiches Leben für die Gegenwart völlig nachvollziehbar zu machen. Trotz einiger diesbezüglicher Schwächen gelingt es Keßler, den historischen Interpretationsrahmen Rosenbergs lebendig und plausibel darzustellen.

Erfreulich ist, dass Keßler neben dem neuesten internationalen Forschungsstand auch die in der DDR entstandene Forschungsliteratur berücksichtigt. Dabei bezieht er sich auf auch heute noch wichtige Quellensammlungen genauso wie auf von DDR-Ideologie überfrachtete aber dennoch nützliche Arbeiten. Ohne sie in den Mittelpunkt zu stellen, profitiert Keßlers Studie also beispielsweise von Olaf Groehlers Arbeit über die deutsch-russischen Militärbeziehungen (1) und Arnold Reisbergs die Strömungen innerhalb der KPD thermatisierenden Bände (2). Keßler differenziert dabei genau zwischen faktischer Information, partiell interessanten Gedankengängen und ,,marxistisch-leninistischem" Sprachgebrauch.

Arthur Rosenberg wurde 1889 in eine assimilierte deutsch-jüdische Kaufmannsfamilie mit bildungsbürgerlichen Aspirationen geboren und gemeinsam mit seiner Schwester Jenny evangelisch getauft. Nach dem Schulbesuch in Berlin und Wien erwarb Rosenberg sein Abitur am Askanischen Gymnasium. Bereits dort entfaltete der angehende Historiker und Sozialkritiker seine akademischen Talente. Rosenbergs Lehrer lobten seine schnelle Auffassungsgabe, breite humanistische Bildung und Selbstständigkeit im Denken. Zwischen 1907 und 1911 studierte er Alte Geschichte und klassische Philologie an der Berliner Universität. Nach erfolgreicher Verteidigung seiner Dissertation unter Otto Hirschfeld und Eduard Meyer (magna cum laude) und einem Volontariat bei der Frankfurter Zeitung arbeitete Rosenberg an Ullsteins Weltgeschichte. Darauf folgte seine Habilitation über den Staat der alten Italiker. Wiederum Meyer, Hirschfeld und diesmal der Etruskien-Experte Wilhelm Schulze waren die Referenten. Die Gutachten loben Rosenbergs Kreativität und intellektuelle Unabhängigkeit. Rosenberg betrat unter anderem Neuland, indem er sich von dem dominierenden Rom-Fokus der damaligen Forschung emanzipierte und neben den etruskischen auch die oskischen und latinische Verwaltungssysteme in seine Arbeit einbezog.

Der ausbrechende Erste Weltkrieg unterbrach Rosenbergs akademische Entwicklung; so musste der angehende Gelehrte die Kriegsjahre im Kriegspresseamt Berlin sowie kurzzeitig auch im Arbeitsdienst an der Westfront verbringen. Und obgleich Rosenberg, wie so viele andere Intellektuelle, im Dunstkreis der ,,Ideen von 1914" stand, so konnte er doch seine Augen vor den Grausamkeiten dieses Krieges nicht verschließen. Dies deutet seine folgende politische Reorientierung bereits an, vom nationalkonservativen zum linksradikalen Lager. Diese vollzog sich in atemraubenden Tempo; 1918 trat Rosenberg der USPD bei, 1920 der KPD. Dort schloss er sich alsbald der ,,ultralinken" Fraktion an, indem er sich gegen den selbst vom Komintern-Vorsitzenden Georgi Sinowjew sowie der auf dem ,,linken" KPD-Flügel agierenden Ruth Fischer unterstützten Reichspräsidentenkandidaten Wilhelm Marx (Zentrum) stellte. Rosenberg hielt 1925 die ,,Einheitsfronttaktik mit dem schwarz-rot-goldenen Block" für falsch und unmarxistisch. Jahre später revidierte er seine diesbezügliche Position. Spätestens 1935 sprach sich Rosenberg trotz aller Vorbehalte für den Demokraten Wilhelm Marx aus, denn nur er war eine realistische Alternative zur Galionsfigur der anti-demokratischen Rechten Hindenburg. Keßler hantiert dabei verantwortungsbewusst mit den zeitgebundenen und polemisch sehr aufgeladenen Begriffen wie ,,ultralinks". Denn obgleich Fischer Rosenberg von der innerkommunistischen ,,linken" Plattform aus als ,,ultralinks" angreift, übernimmt Keßler nicht unkritisch die Terminologie der Komintern-Zeit, sondern zeigt damit nuanciert Rosenbergs revolutionäre Illusionen.

Die näheren Umstände, inneren Argumente und Gegenargumente seiner Entwicklung vom deutsch-nationalen zum kommunistischen Lager sowie dann zu einem wie auch immer marxistisch inspirierten demokratischen Sozialismus, hat Rosenberg öffentlich nie erörtert. Ebenso wenig wissen wir über etwaige geistige Freunde, die diesen Prozess entweder zustimmend oder mit Widersprüchen begleiteten. Völlig abrupt war die Entwicklung vom Deutsch-Nationalen zum radikalen Linken vielleicht nicht. Keßler zeigt beispieslweise auf, wie Rosenberg bereits als Student die militär-theoretischen Schriften von Friedrich Engels mit Interesse las. Sein Verbleiben im kommunistischen Umfeld währte bis 1927. In diesem Zeitraum bewegte sich Rosenberg zwischen dem ,,linken" und dem ,,ultra-linken" Lager, um sich schließlich der neuen KPD-Führung unter Ernst Thälmann anzunähern. Dann distanzierte er sich endgültig von der nun stalinisierten KPD und ihrem teils illusionären und teils opportunistischen Kurs, blieb aber kritischer Marxist und überzeugter Internationalist.

Zugleich entwickelte sich Rosenberg als Historiker und Publizist weiter. 1918 war er das erste Mal ein ernsthafter Kandidat für eine Professur an der Deutschen Universität in Prag. Doch seine neuen linken Überzeugungen machten es ihm unmöglich, dauerhaft im deutschen Universitätsbetrieb Fuß zu fassen. Als Privatdozent an der Berliner Universität war Rosenberg einer der wenigen dortigen Gelehrten, die explizit marxistische Überlegungen in ihre Lehrveranstaltungen einbauten. Trotz anfänglicher vulgär-marxistischer Färbung erarbeitete er sich via wissenschaftlicher Produktivität und Vielseitigkeit Ansehen auch unter denjenigen Kollegen, die ihm weniger freundlich gesonnen waren. Und doch dauerte es noch bis 1930, bis er endlich eine, wenn auch nicht beamtete, außerordentliche Professur an der Berliner Universität bekam. Rosenbergs pädagogische Fähigkeit, komplizierte Vorgänge ohne Niveauverlust klar und unterhaltsam zu präsentieren, führten schließlich zu einer Laufbahn auch im Gymnasialsystem. So war er zwischen 1930 und 1933 zuerst Referent und dann Studienassessor beim Provinzial-Schulkollegium Berlin sowie am Köllnischen Gymnasium.

Die Machtergreifung der Nazis zwang Rosenberg mit seiner Familie ins Exil. Nach Stationen in Zürich und London fand er schließlich eine Anstellung als Research Fellow an der University of Liverpool. Trotz dieses Rettungsringes litt der Emigrant unter den existenziellen Herausforderungen des Exils. Zur gleichen Zeit wurde Rosenberg auch von den Nazis seiner deutschen Staatsbürgerschaft sowie seiner Venia Legendi beraubt. Endlich gelang die Übersiedlung in die USA, wo er am Brooklyn College zuerst als Tutor und schließlich als Instructor unterkam. Seine langjährigen Erfahrungen als ausgewiesener Kenner seiner Forschungsgebiete wie auch sein außerordentlich breites humanistisches Bildungsfundament und sein Talent als Lehrer im besten Sinne bereiteten den europäischen Historiker auf die pädagogischen Herausforderungen an dieser Institution vor. Die amerikanische liberal arts-Tradition, der ,,Geist des Studium Generale" war dort noch lebendig. So musste Rosenberg immer wieder nach innovativen Wegen suchen, um ein breites Bildungsgut unorthodox und doch seriös seinen Studenten zu vermitteln.

In Amerika wandte sich Rosenberg auch zunehmend dem Linkszionismus zu. Keßler beschreibt nuanciert Rosenbergs Motivationen, Gruppen wie Avukah zu unterstützen. Einige Leser wünschten sich hier vielleicht etwas mehr Kontext, denn das Rückbesinnen ehemals fast vollständig assimilierter Juden auf explizit jüdische Identität durchdringt einen Großteil des politischen und ideologischen Spektrums.

Neben seinem politischen und wissenschaftlichen Leben war Rosenberg auch Ehemann und Familienvater. Er heiratete 1919 und wurde Vater von drei Kindern. Viel zu früh verstarb der gelehrte Querdenker 1943 an Krebs.

Keßler behandelt in seiner Monografie in detaillierter Form auch die wissenschaftlichen Leistungen seines Protagonisten. Er beschreibt den Inhalt von Rosenbergs althistorischen sowie den seiner zeitgeschichtlichen Bücher und geht diesbezüglich wiederum mehr deskriptiv als analytisch vor. In puncto seiner althistorischen Werke sind neben seiner in Buchform veröffentlichten Dissertation und seiner Habilitation besonders seine Geschichte der römischen Republik sowie Einleitung und Quellenkunde zur römischen Geschichte zu erwähnen. Die bekannteren zeithistorischen Werke Rosenbergs sind seine Entstehung der deutschen Republik, Geschichte der deutschen Republik, Geschichte des Bolschewismus, Der Faschismus als Massenbewegung sowie Demokratie und Sozialismus. Der letztgenannte Titel zeigt, worauf sich Rosenberg im letzten Kapitel seines Lebens besonders konzentrierte - wie politische Freiheiten und wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden seien. Die Komplexität der von ihm aufgegriffenen Fragen lässt es verständlich erscheinen, dass Rosenberg keine endgültigen Antworten gelingen konnten. Doch suchte er sich immer wieder auch selbstkritisch diesen Themen zu stellen.

Zusätzlich zum üblichen wissenschaftlichen Apparat verfügt diese Rosenberg-Biografie auch über eine exzellente Dokumentensammlung. So ist Mario Keßlers Arbeit ein gelungenes und in ihrem sozial- sowie kulturgeschichtlichen Kontext eingebettetes Werk. Dass sie dabei auch kritisch und nicht hagiografisch gehalten ist, macht dieses Buch umso lesbarer.

Axel Fair-Schulz, Ontario


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