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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Wolfgang G. Schwanitz, Gold, Bankiers und Diplomaten. Zur Geschichte der Deutschen Orientbank 1906-1946 (Amerika-Nahost-Europa, Bd.1), Trafo Verlag, Berlin 2002, 429 S., geb., 49,80 €.

Der Verfasser zeichnet in seinem Buch eine Seite des Völkermords und Raubes nach: das konfiszierte Gold in den besetzten Ländern Europas und das Totengold der europäischen Juden am Beispiel der Deutschen Orientbank. Bankgold aus internationalen Geschäften, das die Herkunft des Raubgoldes verdeckte, kam nach 1938 hinzu. Das ist der kriminelle Abschnitt der Bank nach der ,,Entjudung", wie es im NS-Jargon hieß. Die Bank wurde 1906 von der jüdischen Familie Gutmann unter Federführung der Dresdner Bank in enger Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt gegründet. Die Dresdner Bank, welche die Enteignung der einst jüdischen Orientbank nach 1933 aktiv mitbetrieb, unterhielt die Bank als Filiale bis Kriegsende für alle bankgeschäftlichen Transaktionen mit den Ländern des Orients.

Wolfgang G. Schwanitz führt zu einem quellenkritischen Fazit im Vergleich mit US-amerikanischen Primärquellen und Sekundärliteratur zum Teil erstmals veröffentlichte deutsche Akten an: Hierbei handelt es sich besonders um Akten der Dresdner Bank in Berlin, Frankfurt am Main, Bonn und Freiburg sowie um Primärquellen in Ost- und Südeuropa und im Nahen Osten. Er stellt Quellen und Kommentare in die historischen Prozesse der Zeit von 1906 bis 1946 mit der breiten Banktätigkeit im Zweiten Weltkrieg.

Der Verfasser betont, dass Quellen in dieser Zeit einem generationsbezogenen Umdeutungsprozess unterliegen, der von Historikern ein tiefer gehendes Quellenstudium verlangt, um zu objektiven Urteilen zu kommen. Dieser Aufgabe wird der Verfasser gerecht. Die Deutsche Orientbank im Zweiten Weltkrieg und ihre Tätigkeit in der Türkei spiegelt auf besondere Art das Zusammenspiel von Bankiers und Diplomaten im Goldgeschäft wider. Es ging um Rohstoffe für die deutsche Kriegswirtschaft, um Gold und Chrom, Devisen und Gewinne. Die Türkei war die Drehscheibe des deutschen Goldhandels. Die Analyse von Schwanitz erhellt die Rolle der Orientbank als Bestandteil des Machtzentrums in der deutschen Kriegswirtschaft von 1939 bis 1945. Inwieweit diese Bank mit dem Holocaust direkt verbunden war, ist aus der Arbeit von Schwanitz nicht mit letzter Sicherheit klar festzustellen. Allerdings ist den vermittelten Quellen zu entnehmen, dass sie als Filiale der Dresdner Bank, der Referenzbank der SS, mit dem Raubgold verstrickt war.

Von besonderem Wert für den Leser und die weiterführende Forschung ist die übersichtlich gestaltete Grafik der Wege des Raubgoldes. Sie führten von der ,,Arisierung" jüdischen Vermögens (Wertpapiere, Enteignung von Firmen, Gold, alle Edelmetalle, Kunstgüter, Wohnungsinventar und Bargeld) in Deutschland und in den besetzten Gebieten Europas in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Den Raub betrieben Einsatzgruppen und Sonderkommandos der zivilen und militärischen Reichseinrichtungen. Schwanitz nennt Gruppen und Kommandos aus den Bereichen des Reichsaußenministers Joachim von Ribbentrop, des Reichsluftmarschalls Hermann Göring, des obersten NS-Ideologen und Reichsministers für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg und des Chefs der Polizei und der SS Heinrich Himmler (S. 227, 314 ff.). Bezugsberechtigt für das Gold waren u.a. die Dresdner Bank, ihre Filiale Deutsche Orientbank, Deutsche Bank, Geheimdienste, das Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht, Versicherungen, voran die Allianz. Deutsche Golddepots gab es in Wien, Zürich, Bern und Istanbul. Die detaillierte Aufzeichnung dieser Wege ist das Ergebnis sorgfältiger Recherchen des Verfassers, die sich u.a. auch auf Quellen des amerikanischen Geheimdienstes stützen.

Die Dresdner Bank übermittelte einen Teil des Raubgoldes an die Deutsche Orientbank, die damit in den Jahren 1942 bis 1944 unter Einsatz von deutschen und verbündeten Diplomaten einen Handel mit Gold und Devisen unterhielt, der die Preis- und Kursunterschiede für die Handelsobjekte ausnutzte (Arbitrage-Handel). Die Türkei lieferte ab 1943 rund 45.000 Tonnen Chromerz von insgesamt 180.000 Tonnen, die bis 1944 vorgesehen waren, aber unter US-amerikanischem Druck nicht voll ausgeliefert wurden. Die Deutschen verkauften der Türkei Raubgold zur Stärkung ihrer Währung und lieferten außerdem ,,dem kranken Mann am Bosporus" Pharmazeutika, Kriegsmaterial, Maschinen und Transportmittel. Dieser Handel war für die NS-Kriegswirtschaft genau so wichtig wie der Bezug von Wolfram aus Spanien oder Stahl aus Schweden. Der Autor hat in diesem Abschnitt und in weiteren die militärischen und ideologischen Implikationen des Zweiten Weltkrieges in Bezug auf den Orient im Auge. Man kann ihm zustimmen, wenn er schreibt: ,,Hätte Hitler, der sich nach dem Fall Frankreichs auf dem Gipfel seiner Macht sah, mit dem Vormarsch von General Erwin Rommel zum Sueskanal Ideen der deutschen Admiralität aufgegriffen und anstelle des Hauptschlages gegen die UdSSR in Osteuropa Vorstöße gegen das Britische Empire im Nahen Orient als vorläufiger Hauptkriegsschauplatz befohlen, so wären andere Entwicklungen aufgekommen. Dann wären dort deutschfreundliche Regimes um Jerusalems Mufti Amîn al-Husainî und andere Nationalisten wie Rashid `Alî al-Kailânî (Irak) entstanden. Der Rassenwahn hätte dort nicht nur Juden so bedroht wie in Europa. Wären Hitlers Pläne aufgegangen, so wären Deutsche bis nach Indien und Afghanistan gelangt. Berlin hätte sich dann mit Rom und Tokio in einer globalen Machtpyramide die Ausbeutung von Menschen und Bodenschätzen im Vorderen Orient geteilt. Dass dies zum Glück nicht eintrat, begünstigt immer noch neue Illusionen über das Dritte Reich und den Nahen Orient auch in Nordafrika und Westasien." (S. 313). In diesen Kontext stellt der Verfasser die Bedeutung der Deutschen Orientbank für die NS-Kriegsführung.

Die geheime deutsche Aktivität im Vorderen Orient, die Schwanitz umreißt, dürfte sich, wenn man den Raubgoldhandel ausnimmt, kaum von Banken und Wirtschaftsunternehmen Großbritanniens und einer Reihe anderer Staaten unterscheiden. Die damaligen Besonderheiten und Handlungsspielräume der Großmächte im finanz- und wirtschaftspolitischen Sektor des Vorderen Orients lassen sich zuverlässig nur in einer vergleichenden Studie mit anderen im Orient tätigen Staaten und Unternehmen beurteilen. Das war nicht die Aufgabe, die sich der Autor stellte; eine Notiz hierzu, die auf diesen Forschungsgegenstand hinweist, wäre jedoch auf Grund der Quellenkenntnis des Verfassers hilfreich gewesen.

Das Buch ist in der Reihe ,,Amerika-Nahost-Europa. Regionalhistorische Komparatistik: Politik, Wirtschaft, Militär und Kultur" erschienen, in der auch ein weiteres Werk des Autors, ,,Nahostpolitik deutscher Reiche und Republiken" publiziert worden ist. In dieser Arbeit werden die Grundlagen der deutschen Nah- und Mittelostpolitik von Reichskanzler Otto von Bismarck über Kaiser Wilhelm II., den Ersten und Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart untersucht. Ferner befasst sich Schwanitz mit der Nahostgeschichte von Deutschen, dem Wirken von deutschen Gesandten in Nahost in der Zeit von 1946 bis 1966, mit dem Kalten Krieg unter Deutschen in Nahost, mit der Geschichte und Politik ost- und westdeutscher Nahostbeziehungen, mit den deutsch-ägyptischer Beziehungen und u.a. auch mit dem Werk August Bebels ,,Die Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode". Wolfgang G. Schwanitz besetzt mit seinem umfangreichen Studien einen der vorderen Plätze in der deutschen Orientforschung.

Heinz Odermann, Berlin


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