Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Peter Martin/Christine Alonzo (Hrsg.), Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2004, 790 S., geb., 29,80 €.
Das vorliegende Buch wurde als Begleitband zu einer 2002 in Köln eröffneten Ausstellung konzipiert. Diese war dem bis dahin vernachlässigten Thema der Verfolgung von Schwarzen durch die Nationalsozialisten gewidmet und trug den Titel ,,Besondere Kennzeichen: Neger" - Schwarze im NS-Staat. Dem nachträglich erschienenen, mit neuem Titel versehenen und reich illustrierten Band ist seine Entstehungsgeschichte auf positive Weise anzumerken: Die Vielzahl und Vielfalt der Bilder machen einen Großteil seiner Faszination aus, und sein hoher Informationsgehalt ist auf die gelungene Kombination von Illustrationen und einprägsamen Texten zurückzuführen.
Das Buch gewährt Einblicke in den Alltag der Schwarzen, die zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und 1945 in Deutschland lebten. Es handelte sich um 2500 bis 3000 Menschen unterschiedlicher Herkunft, um Einwanderer aus deutschen Kolonien und Kolonialsoldaten in Gefangenschaft, um Diplomaten, Geschäftsleute, Studenten und Künstler aus verschiedenen Regionen Afrikas, aber auch aus der Karibik und den USA. Die Probleme und Besonderheiten ihres Alltags in der deutschen Gesellschaft werden durch schlaglichtartige, themenbezogene Schilderungen beleuchtet. Die kurzen Kapitel des Buches behandeln etwa den rechtlichen Status von Schwarzen aus deutschen Kolonien, die Entwicklung der deutschen Afrikanistik und den Beitrag von Schwarzen zu Musik, Tanz und Unterhaltung in den 1920er- und 1930er-Jahren - selbstverständlich auch die nationalsozialistische Rassenpolitik und die Inhaftierung von Schwarzen in Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs. Die Beiträge sind in einer teils thematischen, teils chronologischen Gliederung zu fünf Blöcken gruppiert. Auf den ersten Abschnitt Menschen in Deutschland. Lebensbilder folgen vier weitere, die dem Ersten Weltkrieg mit der unmittelbaren Nachkriegszeit, der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Herrschaft und den Jahren nach 1945 gewidmet sind. Da manche Themen mehrfach angesprochen werden, entstehen zwischen den Abschnitten erhellende inhaltliche Querverbindungen.
Ein zentrales Thema des Buches ist der Einsatz schwarzer Soldaten im Ersten Weltkrieg durch Frankreich, Großbritannien und die USA, der in Deutschland als Verrat an der ,,weißen Rasse" angeprangert wurde. Der Tenor der deutschen Propaganda lautete, dass die Verbrüderung von Weiß und Schwarz die Würde der Weißen verletze und die Existenz Europas gefährde. Die kolonialisierten Völker Afrikas, so die deutschen Befürchtungen, würden im Krieg mit der Uneinigkeit der europäischen Völker konfrontiert und könnten deshalb ihre Chance erkennen, sich zu erheben. Allerdings waren solche Ängste auch außerhalb Deutschlands nicht unbekannt. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Furcht vor einer kommenden Weltherrschaft der ,,farbigen" Völker in europäischen Zeitungen und Romanen einen beredten Ausdruck gefunden, dies als Kehrbild der faktischen europäischen Machtausübung über große Teile der nichteuropäischen Welt. In Deutschland löste die im Ersten Weltkrieg erlebte Konfrontation mit afrikanischen, afroamerikanischen und karibischen Soldaten eine Welle aggressiver rassistischer Propaganda aus, die sich ab 1919 während der Besetzung des Rheinlandes durch Frankreich fortsetzte. Dass an dieser auch schwarze Soldaten, vermeintliche ,,Wilde", beteiligt waren, empfanden die Deutschen als eine besondere Demütigung, die sie mit dem Schlagwort der ,,Schwarzen Schmach" belegten.
Tatsächlich geht es in diesem Buch nicht nur um die Probleme und Nöte von Schwarzen in Deutschland, sondern ebenso um mentalitätshistorische Aspekte deutscher Geschichte. Die Wahrnehmung der Schwarzen durch die Deutschen wird für die Zeit des ,,Dritten Reiches" und rückblickend bis zum Ersten Weltkrieg analysiert. Bei Kriegsende, so die Herausgeber, hätten sich die Folgen eines tiefgreifenden Modernisierungsprozesses im ,,Zusammenbruch traditioneller Institutionen und normativer Systeme" (S. 13) gezeigt und zur Entstehung spezifischer rassistischer Einstellungen geführt. Der Zusammenbruch der alten Ordnung sei in Deutschland als Folge fremder Einflüsse gedeutet worden, die die Eigenart der Deutschen bedrohten. Folgerichtig nehmen Peter Martin und Christine Alonzo an, dass die koloniale Erfahrung der Deutschen bei der Herausbildung rassistischen und nationalsozialistischen Gedankenguts keine konstitutive Rolle gespielt habe. Die ,,rassenhygienischen Fragen, um die es ging", waren ,,mit Blick auf die Verhältnisse in Europa (und damit auf nichtafrikanische Gruppen) gestellt" (S. 13) worden.
In der Zwischenkriegszeit existierten in Deutschland neben den Negativbildern von Schwarzen auch positive Stereotypen. Die Avantgarde europäischer bildender Künstler von Pablo Picasso bis Ernst Ludwig Kirchner orientierte sich an afrikanischen Vorbildern, während schwarze Musiker und Tänzer aus den USA nicht nur in Berlin Furore machten. ,,Der Schwarze", so zeigt dieses Buch, wurde in Deutschland ,,zu einem Emblem der eigenen Modernität gemacht, das beweisen sollte, wie sehr man sich von den wilhelminischen Kulturwerten der Vorkriegszeit entfernt hatte" (S. 211). Dem Einbruch einer international geprägten Moderne standen nationalvölkische und nationalsozialistische Kreise jedoch ablehnend gegenüber. Sie definierten einen mentalitätshistorischen Kontext als ,,volksfremd" verstandene Einflüsse, zu denen angeblich die Demokratie, der Bolschewismus, die Frauenemanzipation und vermeintlich ,,undeutsche", d.h. ,,entartete" Kunst gehörten. Viele Schwarze waren der deutschen Gesellschaft eng verbunden und entzogen sich aufgrund ihrer unauffälligen Lebensweise stereotypen Deutungsmustern. Hier setzte die nationalsozialistische Propaganda an, indem sie ,,den Schwarzen" als das fremde Andere konstruierte und ihn auf ,,einen simplen Kanon sehr weniger ,befremdlicher' körperlicher und geistig-seelischer Merkmale" reduzierte (S. 14).
Schwarze wurden unter nationalsozialistischer Herrschaft nicht systematisch, also auf der Grundlage einer spezifischen Politik, verfolgt. Sie waren aber Repressalien ausgesetzt, die sich aus der Anwendung allgemeiner rassistischer Gesetze ergaben. Behördliche Maßnahmen wie Eheverbote, Schulverweise, die Einziehung von Pässen und Auftrittsverbote trafen sie in ihrer Würde und ihrem Selbstbewusstsein und machten es ihnen schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Jahr 1937 erreichte die Verfolgung einen frühen Höhepunkt, als die sogenannten ,,Rheinlandbastarde" - Kinder, die aus Verbindungen schwarzer Soldaten und deutscher Frauen während der Besetzung des Rheinlandes hervorgegangen waren - in einer geheimen Verwaltungsaktion sterilisiert wurden. Während des Zweiten Weltkriegs verschärfte sich der staatliche Terror. Viele schwarze Deutsche und farbige Ausländer wurden in Arbeits- und Vernichtungslager eingewiesen. Ihren Spuren geht dieses Buch auf zurückhaltende und bewegende Weise nach, indem die Schicksale der Inhaftierten durch den Abdruck von Fotos, Tagebuchauszügen, Augenzeugenberichten und Verwaltungsunterlagen der KZs dokumentiert werden.
Letztlich geht es in diesem Buch um die Wirkungsmacht und Langlebigkeit von Bildern, die das Bewusstsein der Deutschen im 20. Jahrhundert prägten. In einem kurzen Ausblick auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg werden daher Beispiele für das Weiterleben rassistischer Vorurteile und Stereotypen auch in der Bundesrepublik aufgezeigt. Es ist nicht erstaunlich, aber dennoch traurig zu sehen, dass in Deutschland lebende Schwarze auch heute massiver Diskriminierung ausgesetzt sind.
Sonia Abun-Nasr, Basel