Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Axel Schildt, Max Brauer (Hamburger Köpfe), Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2002, 136 S., Ln., 14,90 €.
Axel Schildts Biografie über den wohl bekanntesten Hamburger Oberbürgermeister Max Brauer ist streng chronologisch, nicht systematisch angelegt, wie es sich bei dem Thema auch angeboten hätte. Der Autor, Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, blendet persönliche, private und familiäre Befindlichkeiten aus.
Das Buch ist in der Reihe ,,Hamburger Köpfe" auf Anregung von Helmut Schmidt erschienen. Eine Reihe, die seit 1971 von der ZEIT-Stifung Ebelin und Gerd Bucerius herausgegeben wird, und an Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler, die Hamburg verbunden waren, erinnert.
Ein Kennzeichen der Biografie ist, dass auch die Politik Preußens und des Reiches einbezogen wird.
Max Brauer wurde 1887 in eine arme, kinderreiche Familie von Glasbläsern in Ottensen bei Hamburg hineingeboren. Max Brauer repräsentiert auf typische Weise Bildungshunger und Fortschrittsgläubigkeit von Sozialdemokraten aus der Zeit vor 1914. Er ist der Typ des sozialdemokratischen Politikers und vielfach wiedergewählten Führers von Arbeitern und sogenannten ,,kleinen Leuten." Nach Helmut Schmidt verkörpert Max Brauer die ,,gediegne Schicht der Facharbeiter und gelernten Handwerker, aus der die sozialdemokratischen hanseatischen Staatsmänner hervorgewachsen sind" (S. 9).
Im März 1902 endete Max Brauers Volksschulzeit. 1904 trat er der Gewerkschaft, dem Zentralverein der Glasbläser(innen) und 1905 der SPD bei. Ab 1909 arbeitete er als Angestellter im Konsum-, Bau- und Sparverein von Ottensen. Er wurde 1911 in den Vorstand der SPD gewählt.
Gemäß seines Bildungsdranges beschäftigte er sich mit sozialistischen Theoretikern, u.a. mit Ferdinand Lassalle, Karl Marx, Friedrich Engels, Karl Kautsky und Eduard Bernstein und mit Fachliteratur zum Genossenschaftswesen sowie mit Klassikern deutscher Literatur. Demnach war eine kontinuierliche Bildungsarbeit für ihn immer wichtiger als kurzfristige politische Kampagnen. Mit 26 Jahren wurde er als Soldat in den Ersten Weltkrieg eingezogen, nach einer Verwundung verließ er das Militär bereits im November 1915. Seine kommunalpolitische Karriere begann 1916, hierbei standen vor allem Fragen der Versorgung der Bevölkerung im Vordergrund.
Das Altonaer Rathaus wurde 1918/19 weitgehend von den Revolutionären geschont. 1918 rückte Max Brauer mit drei Fraktionskollegen zunächst als kommissarischer Senator in den Magistrat ein. Das Bündnis unter Max Schmalenburg (DDP) und Max Brauer war ein Symbol für das Bündnis zwischen liberalem Bürgertum und SPD, das inzwischen auch im Mittelstand Anhänger hatte und vier Jahre lang bestand. Max Brauer wuchs somit in die Amtsgeschäfte eines Bürgermeisters hinein: Zu seinem Aufgabenbereich gehörten die Demobilisierung von zurückkehrenden Soldaten, Finanzpolitik, Lebensmittelversorgung sowie die städtischen Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke.
Nachdem sich Max Brauer 1920 den Kapp-Putschisten entgegengestellt hatte, machte er sich in jenen Jahren als ,,Sozialpolitiker und Krisenmanager" (S. 24) einen Namen. 1924 wurde er zum Ersten Bürgermeister gewählt. Sein Amtsverständnis leitete er aus der Weimarer Verfassung ab, so trat er für ein starkes Altona ein. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählten: Erstens die Bautätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Architekten Gustav Oelsner, die auch überregionale Ausstrahlung hatte. Zweitens die Verbesserung des Zugangs breiter Schichten zur Kultur und drittens die sogenannte Wirtschaftsdemokratie, die öffentliche und genossenschaftliche Betriebe gegenüber Privatisierungen begünstigte. Ende der 1920er-Jahre war Max Brauer aufgrund seiner kommunalpolitischen Erfolge mehrfach im Gespräch für Ministerposten in der preußischen Regierung. In den Krisenjahren der Republik 1930-1932 war Brauers Management genauso gefragt wie zuvor in den Zeiten der Inflation. Der großen Depression begegnete er mit Erhöhung der Besitz- und Betriebssteuern und einer hohen Verschuldung der öffentlichen Finanzen sowie mit anderen Reformvorhaben. Trotzdem spielte sich hier wie im gesamten Reich eine politische Radikalisierung ab, die in dem sogenannten ,,Altonaer Blutsonntag" im Sommer 1932 gipfelte: Es gab eine offene Provokation von SA und SS gegen das sozialdemokratische Reichsbanner, welches 18 Tote verzeichnete. Brauer sah sich persönlichen Angriffen in der Presse ausgesetzt. Obgleich er dem ,,Kabinett der Barone" (S. 41) misstrauisch gegenüberstand, hielt er an einer Hinhaltepolitik der SPD fest, damit es nicht zu einem SPD-Verbot kam.
Obwohl Max Brauer zeit seines Lebens strikt antikommunistisch eingestellt war, unterzeichnete er im Frühjahr 1933 dennoch das Manifest ,,Das Freie Wort" unter der Redaktion des Kommunisten Willi Münzenberg. Zu weiteren Unterzeichnern gehörten, Käthe Kollwitz, Albert Einstein, Heinrich und Thomas Mann, die für Pressefreiheit und Freiheit der KPD eintraten. Infolge der Machtergreifung Hitlers besetzte die NSDAP auch das Altonaer Rathaus und Max Brauer wurde von der NSDAP-Presse kriminalisiert: Ihm wurden Korruption und Bestechlichkeit vorgeworfen. Aufgrund seiner kommunalpolitischen Erfolge war Max Brauer besonders gefährdet und verließ am 24. April 1933 Altona. Sein Exil führte ihn erst nach Bayern, dann über Österreich und die Schweiz nach Frankreich. Dort lebte er in großer Armut, bis er eine Verwaltungsarbeit für den Völkerbund in China aufnahm. Danach emigrierte er in die USA und konnte den Unterhalt für sich und seine Familie durch Vorträge verdienen. Trotz allem verließ ihn nie sein Zweckoptimismus. In den ersten Jahren des Exils glaubte er an einen Sturz des NS-Regimes durch die deutsche Arbeiterschaft, die Exilländer sah er jeweils als ,,Durchgangsland" an, die er sofort in Richtung Deutschland wieder verlassen wollte.
Seine Faschismusanalyse entsprach derjenigen der SPD, ja er dämonisierte die NSDAP wie Thomas Mann in seinem Dr. Faustus. Er kennzeichnete den Rassismus als ,,Propagandawaffe" (S. 64), der er schon in der Weimarer Republik begegnet war. Die Judenpolitik der NSDAP habe dazu beigetragen, von innenpolitischen Problemen abzulenken und Kriegstreiberei zu verheimlichen. Wie schon in der Weimarer Republik setzte er sich für die zionistische Idee ein und verlangte die Einberufung eines jüdischen Weltkongresses.
Max Brauer lebte mit seiner Familie in einer deutschen Enklave in New York. Er hatte Freunde in der New School for Social Research und der Social Democratic Federation (SDF), einem SPD-Zweig deutscher Sprachgruppen, die die ,,Neue Volkszeitung" als letztes deutschsprachiges Organ im Exil herausgab. Ab März 1939 gehörte er der Gruppe ,,German Labor Delegation" (GLD) an, deren Präsident der frühere preußische Innenminister Albert Grzinsky war. Dieser kleine Kreis deutscher Sozialdemokraten, die einen Kurs überparteilicher Sammlung aller deutschen Demokraten - außer der KPD - in den USA verfolgte, nahm einen Sonderstatus innerhalb der mächtigen Gewerkschaft ,,American Federation of Labor" (AFL) ein, die vom Jewish Labor Committee unterstützt wurde. Die GLD empfand sich als ,,berufene Repräsentanz der Sozialdemokratie in den USA" (S. 67). Sie hatte jedoch Querelen mit der Gruppe ,,Neu Beginnen", in der vor allem KPD- und SAP-Funktionäre tätig waren. Beide Gruppen verfolgten unterschiedliche strategische Konzepte: ,,Neu Beginnen" wollte einen Bruch mit der Arbeiterbewegung der Weimarer Republik, der Kreis um Max Brauer und Rudolf Katz war dagegen für einen ,,antitotalitären Kurs" gegen NSDAP und KPD (S. 67). In den folgenden Jahren wurde Max Brauer aufgrund seiner Position über die Zukunft Deutschlands zunehmend isoliert: Er trat für die volle Souveränität und territoriale Unversehrtheit Deutschlands ein und wendete sich gegen die alliierte Auffassung einer bedingungslosen Kapitulation und langjährigen Besatzung Deutschlands. Er war auch ein strikter Gegner des Morgenthau-Plans, der eine Entindustrialisierung Deutschlands vorsah.
Im Juli 1946 kehrten Max Brauer und Rudolf Katz nach Hamburg zurück und waren über die Kriegs-Verwüstungen erschüttert. Brauer unterhielt Kontakte zu Kurt Schumacher in Hannover und zur SPD-Zentrale in Berlin, wo er sich weiterhin als deutscher Mittler zu den USA verstand. Am 14. August 1946 trat er als ,,neuer Hoffnungsträger der SPD" (S. 74) mit charismatischer Wirkung an. Er strahlte seinem Pressesprecher Erich Lüth zufolge ,,Kraft, Mut, Hoffnung und ein unbändiges Selbstvertrauen" aus (S. 75), das er auch im Umgang mit den britischen Besatzungsbehörden vertrat.
Die Geschichte der Nachkriegs-SPD in Hamburg ließ an eine Anknüpfung an Weimarer- Traditionen denken. Die SPD war zwar eine starke Kraft, aber es reichte nicht für eine Alleinregierung. Max Brauer wurde als profilierter Kommunalpolitiker der Weimarer Republik zum Ersten Bürgermeister vorgeschlagen. Am 10. November 1946 wurde eine Regierung aus SPD, FDP und KPD gebildet. In seiner Antrittsrede am 22.11.1946 erinnerte sich Max Brauer an die Nazi-Zeit, doch seine Analyse ,,blieb diffus" (S. 88). Seine Hauptaufgaben sah er in dreierlei Programmpunkten: Bekämpfung von Hunger, Wohnungsnot und Brennstoffmangel, da während des Katastrophenwinters 1946/47 nicht genügend Kohlezüge aus dem Ruhrgebiet ankamen. Dies änderte sich im Frühjahr 1947, u.a. weil die Kohleindustrien Sonderschichten fuhren. Der Beginn der Ruhrfestspiele mit dem Motto ,,Kunst für Kohle" (S. 82) war Hamburgs Dank an die Ruhr.
Als Remigrant wollte Brauer möglichst viele Exilanten zurückholen, wie es ihm beispielsweise bei Gustav Oelsner gelang, der sich wie in der Weimarer Republik dem Wiederaufbau Hamburgs widmete. Die Währungsreform von 1948 unterstützte Max Brauers Optimismus, der sich auch in seiner Rede auf dem Hamburger Parteitag 1947 niederschlug. Sein Resümee war, dass die Sozialdemokratie die ,,große Partei des Friedens" sei (S. 87) und den einzelnen Menschen ein angenehmes Leben garantieren wolle.
Ab 1949 betonte Max Brauer im Gegensatz zu Schumacher den Europagedanken. Damit gehörte er zum ,,Bürgermeisterflügel" der SPD (S. 90), wie auch Wilhelm Kaisen (Bremen) und Ernst Reuter (Berlin).
Brauer wurde in den 1950er-Jahren ein ,,selbstherrlicher Regierungsstil" (S. 92) nachgesagt, der durch Konflikte mit dem Senat gekennzeichnet war. Seine Regierung wurde durch ,,harte und nüchterne Tatsachen" (S. 91) und nicht durch Theorien geführt. Nach der Wahl im Oktober 1949 bestand er auf einer Alleinregierung der SPD. Sein Pressesprecher Erich Lüth sorgte dafür, dass Brauers politische Auftritte in den USA auch in Deutschland gewürdigt wurden.
Seine Regierungserklärung vom 3. März 1950 galt Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, dem Wohnungsbau und dem Ausbau des Hafens. Seinem prozionistischen Gedanken entsprang das Drängen auf eine rasche Ratifizierung des Wiedergutmachungsvertrages mit Israel und gegen eine Generalamnestie aus Bonner Regierungskreisen.
Nach der Wahl 1950 erhielt der sogenannte Hamburger Block 50 % (CDU, FDP, DP), die SPD 45,2 die KPD lag unter 5 % und schied aus dem Senat aus. Brauer überließ das Senatspräsidium dem zweiten Bürgermeister, Paul Nevermann. 1952 wehrte er sich gegen den Vorwurf des sog. ,,Parteibeamtentums (S. 101) in Hamburg. Eine Kandidatur als erster Bürgermeister in Kiel oder Berlin lehnte er ab. Innerhalb der Bundes-SPD engagierte er sich ab1956 für Kommunalpolitik und Propagandaarbeit. Im Rahmen der Sozialpolitik neigte er zu Eisenhowers New Deal der Zwischenkriegszeit und beschäftigte sich mit Problemen der atomaren Aufrüstung. Er trat zwar für eine friedliche Nutzung der Kernenergie ein, lehnte jedoch eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr strikt ab. Brauer galt als ,,charismatischer Volkstribun" und ,,Löwe im Hamburger Rathaus" (S. 105), so dass die Wahl von 1957 das absolute Spitzenergebnis der SPD mit 53,9 % in der Nachkriegszeit wurde. Unter seiner Führung gab es kaum eine enge Zusammenarbeit mit dem Senat - er galt als ,,Patriarch" (S. 107). Nach diesen Höhepunkten seiner politischen Karriere, trat Brauer aufgrund vermehrter Diskussionen über seine Nachfolge am 20. Dezember 1960 zurück.
In der Folgezeit gehörte er dem Schattenkabinett Willy Brandts als Außenminister an, hielt sich jedoch von der Landespolitik fern. Er konnte den Amtsstil und die neuen Inhalte, das ,,Kollegialitätsprinzip" (S. 112) seines Nachfolgers nicht nachvollziehen.
1965 stellte ihn die SPD nicht mehr als Kandidat für Hamburg auf. Er äußerte sich nur noch selten zu politischen Fragen, lebte nach einem Schlaganfall ganz zurückgezogen vom politischen Leben bis zu seinem Tode am 2. Februar 1973.
Axel Schildt ist es gelungen, dem wohl bekanntesten Hamburger Bürgermeister ein wichtiges Denkmal zu setzen, gerade weil er es verstanden hat, die wichtigsten historischen Brüche des 20. Jahrhunderts an einer Person zu erhellen: Kaiserreich, Weimarer Republik, Exil und Bundesrepublik. Schildts Buch darf deshalb einen über das hanseatische Publikum hinaus reichenden Leserkreis erwarten.
Rosemarie Leuschen-Seppel, Bonn