Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Klaus Schönhoven/Bernd Braun (Hrsg.), Generationen in der Arbeiterbewegung (Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Bd.12), Oldenbourg, München 2005, 269 S., Ln., 24,80 €.
Als Ernst Fraenkel im November 1930 über den ,,Jungsozialismus als Generationenproblem" schrieb, stellte er die These auf, dass sich die sogenannte Frontgeneration, die ,,Generation des Kriegserlebnisses", ,,viel stärker bei der KPD und bei den Nazis durchzusetzen vermocht"(1) habe als in den an Immobilität krankenden Organisationen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Diese unter Zeitgenossen weitverbreitete Vorstellung einer frappierenden Jugendlichkeit der beiden extremistischen Anti-"System"-Parteien, die den ,,Kampf um die Jugend" klar für sich entschieden hätten, ist von der Forschung zunächst bereitwillig aufgegriffen worden, wird aber in jüngster Zeit zunehmend kritischer auf ihre Plausibilität befragt. So auch in einem unlängst publizierten Sammelband über ,,Generationen in der Arbeiterbewegung", der die Ergebnisse einer zwei Jahre zurückliegenden Tagung der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte gesammelt und ein historiografisches Interpretament in den Blickpunkt rückt, das in den Forschungen zur Arbeiterbewegung - abgesehen vom zitierten Juvenilitätspostulat - bislang nur in Ansätzen Beachtung gefunden hat.
Angeregt durch die erneute Hochkonjunktur des Generationenparadigmas haben ausgewiesene Kenner der Materie, überwiegend zwischen 1961 und 1964 geboren und damit gleichsam einer ‚mittleren` Alterskohorte der historischen Zunft entstammend, den Versuch unternommen, die Geschichte der - wohlgemerkt: deutschen - Arbeiterbewegung nach den ,,Maßeinheiten" (Marc Bloch) sozialdemokratischer ,,Führungsgenerationen" aufzuschlüsseln. Der Leser wird mit auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich anmutenden Konstruktionen konfrontiert wie der ,,Generation Bebel" bzw. ,,Liebknecht-Bebel-Bernstein" (Thomas Welskopp), ,,Generation Ebert" (Bernd Braun), ,,Generation Schumacher" (Meik Woyke) oder ,,Generation Godesberg" (Daniela Münkel). In einem souveränen Überblicksbeitrag, der um die zentralen Kategorien ,,Generation", ,,Milieu" und ,,Sozialisation" kreist, gibt Klaus Tenfelde mit dem Blick fürs Ganze die konzeptionelle Richtung vor und führt in die heuristische wie analytische Grunddisposition des Sammelbandes ein. Auf der Folie spezifischer Sozialisationsbedingungen und Erfahrungswelten schlägt er als ,,erste Pioniergeneration" die unter anderem mit den Namen August Bebel, Erhard Auer und Johann Heinrich Dietz verbundene Gruppe der zwischen 1838 und 1850 geborenen sozialdemokratischen Gründungsväter vor, als ,,zweite Pioniergeneration" die bis 1865 Geborenen, zu denen zahlreiche spätere Gewerkschaftsführer und Parteipolitiker wie Carl Legien, Eduard David, Bruno Schoenlank oder Hugo Haase zählen. Sind diese beiden generationellen Konstrukte weitgehend auf das sozialdemokratische Milieu beschränkt, so überschneidet sich die als darauffolgende Alterskohorte postulierte ,,Generation Ebert" (geboren von 1865 bis 1875) mit der in der allgemeinen geschichtswissenschaftlichen Forschung als Terminus etablierten ,,Reichsgründungsgeneration." Neben dem Namensgeber gehören dazu prominente SPD-Politiker der Weimarer Zeit wie Philipp Scheidemann, Wilhelm Keil, Wilhelm Dittmann, Otto Wels, Gustav Noske oder Rudolf Breitscheid.
Mit Ausnahme der ,,Willy-Brandt-Generation" (S. 49) - von Daniela Münkel als ,,Generation Godesberg" etikettiert und als eine Gruppe umschrieben, die sich, zwischen 1910 und 1925 geboren, in einer ,,zweiten politischen Sozialisationsphase" (S. 255) nach 1945 ausgeformt habe - lässt sich nach Tenfelde sinnvoller Weise ,,nur bis 1933 von Bewegungs-, Gewerkschafts- oder Parteigenerationen sprechen", da nach dem Zweiten Weltkrieg ,,die allgemeine gesellschaftliche Generationsbildung die generationelle Formkraft der Arbeiterbewegung mit dem vorläufigen Höhepunkt 1968 [...] überwuchert" habe (S. 26 f.). Für die Zeit vor der nationalsozialistischen ‚Machtergreifung` macht er noch eine die Arbeiterbewegung charakterisierende Symbiose von Milieu und Generation aus, die sich, erschüttert durch die ,,Erfahrung der Diktatur" (S. 26), in der Bundesrepublik nach und nach aufgelöst habe. Demnach sind es in erster Linie ,,die Helden und ihre Kinder, die ohnmächtigen Sieger über Bismarck und die auf der Woge des Erfolges operierenden Pragmatiker" (S. 27), die eine generationengeschichtliche Betrachtung der deutschen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen hat. Denn: Sozialdemokratische ,,Wert- und Deutungsgemeinschaften" (S. 27) kristallisierten sich vor allem dann heraus, wenn der identitätsstiftende Druck ´von außen` groß genug war, um innere Divergenzen in den Hintergrund treten zu lassen und für jene einschneidenden Erfahrungen zu sorgen, die aus einer Alterskohorte erst eine Generation machen: mit einem spezifischen Stil, einem charakteristischen Habitus und einer unverwechselbaren Sprache.
Wie nicht nur Tenfelde, sondern auch andere Autoren des Bandes betonen, zeitigte vor allem das Sozialistengesetz die für die generationen- und milieugeschichtliche Identitätsbildung so wichtige Ausgrenzungserfahrung, die in dialektischem Wechselspiel mit der inneren politisch-kulturellen Organisationsverflechtung, also der Herausbildung mannigfaltiger Sozialisationsagenturen die sozialdemokratischen Pioniergenerationen konstituierte und sich tief in das Gedächtnis ihrer Anhänger einbrannte. Stefan Berger zeigt beispielsweise in seinem soliden Aufsatz über die ,,Marxismusrezeption als Generationserfahrung im Kaiserreich", dass die unter dem Sozialistengesetz sozialisierte Altersgruppe von Sozialdemokraten marxistische Ideen und Denkfiguren ,,problemloser mit der eigenen Alltagserfahrung in Übereinstimmung bringen [konnte] als ihre Vorgänger." Die ,,Tiefenwirkung dieser Generationserfahrung" jedoch bleibe angesichts des fortbestehenden ideologischen Eklektizismus in der SPD ,,fraglich" (S. 208). Im Hinblick auf die darauffolgende ,,Generation Ebert" - die Bernd Braun als nüchtern-technokratische ,,Generation der minderen Autorität" kennzeichnet (S. 78, 86) - lässt sich mit Frank Engehausen festhalten, dass sie sich zwar einerseits reformistischer gab als die Gründungsväter, weil für sie ,,die Existenz des Reiches immer eine Selbstverständlichkeit" war (S. 159), dass aber andererseits bedeutende revisionistische Denker wie Auer, Eduard Bernstein oder Georg von Vollmar eher der älteren Generation zuzurechnen sind.
Wie eingangs bereits angedeutet, geht es fast immer, wenn von ,,Generationen" die Rede ist, auch um ,,Jugend." Dass den beiden ,,Verjugendlichungsphasen" (S. 49) der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung während der Sechziger- und Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts keine dritte Verjüngungsperiode in der Zwischenkriegszeit folgte, lag, wie Tenfelde und Woyke betonen, vor allem an Hitlers ,,Machtergreifung", die den in der SPD schwelenden Generationenkonflikt nicht habe zum Ausbruch kommen lassen. Gegen die These einer zunehmenden ,,Vergreisung" und ,,Arterienverkalkung" der Sozialdemokratie wendet sich indes der Berliner Historiker Siegfried Weichlein in seinem ausgezeichneten Beitrag über ,,generationelle Gegensätze in der gespaltenen Arbeiterbewegung der Weimarer Republik" aus lokalhistorisch vergleichender Perspektive. Im Einklang mit der jüngeren Kommunismusforschung eines Klaus-Michael Mallmann vermag er hinter der Formel von der jugendlichen KPD und der verknöcherten SPD kaum mehr als nur ,,ein bisschen Substanz" zu entdecken (S. 167). Obschon ein Vergleich der relativen Altersstruktur die KPD jugendlicher aussehen lässt als ihren reformistischen Erzfeind - zumal in der bürgerkriegsähnlichen Endphase der Republik -, vermitteln andere, absolute wie regional differenzierte Indikatoren von der Kommunistischen Partei nicht gerade das ,,Bild taufrischer Jugend" (S. 170). Es waren in erster Linie ,,extreme Mobilität und politische Radikalität" (S. 170), die den deutschen Ableger des sowjetrussischen Bolschewismus vom sozialdemokratischen Stützpfeiler des Weimarer Parlamentarismus unterschieden. Was politischen Jugendkult und organisatorisch-erzieherische Jugendintegration wie auch den innerparteilichen Generationenkonflikt betrifft, treten eher die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden großen Arbeiterparteien hervor. Schließlich wollten beide, KPD und SPD, durch eine entsprechende propagandistische Selbststilisierung und Fremdzuschreibung vom ,,politischen Mehrwert" des Faktors ,,Jugend" profitieren (S. 173, 188).
Alles in allem bietet der von Klaus Schönhoven und Bernd Braun mit einem klugen Vorwort versehene Sammelband unbeschadet mancher terminologischer Unschärfen in der Verwendung des Generationenbegriffs, der nicht immer klar vom neutraleren Konzept der Alterskohorte geschieden wird, und ungeachtet zum Teil etwas bemüht wirkender Konstruktionen generationeller Verbindungsstränge reichlich Stoff für eine anregende Lektüre. Die intensive Debatte um Möglichkeiten und Grenzen des Deutungsmusters ´Generation` hat er um eine bislang eher vernachlässigte Dimension bereichert.
Riccardo Bavaj, St.Andrews (UK)
Fußnoten:
1 Ernst Fraenkel, Jungsozialismus als Generationsproblem, in: Jungsozialistische Blätter, Nov. 1930 H.11.