Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Dirk Blasius, Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, 188 S., geb., 24,90 €.
Der Essener Historiker Dirk Blasius unternimmt das verdienstvolle Vorhaben, einen bisher eher unterbelichteten Ansatz zum Untergang der Weimarer Republik zu systematisieren. Er will aufzeigen, wie in der Zeit von 1930-1933 mit der Androhung des Bürgerkriegs gezielt Politik gemacht wurde und dass diese Instrumentalisierung des Bürgerkriegsszenarios die Übergabe der Regierungsgewalt an Adolf Hitler maßgebend begünstigte. Indem die Präsidialregierungen Franz von Papen und Kurt von Schleicher aus einem bestimmten Machtkalkül heraus die staatliche Autorität nicht in gebotener Weise gegen die von den Nationalsozialisten ausgehende Gewalt einsetzten, ermöglichten sie es Hitler, seinen Anspruch auf die Reichskanzlerschaft mit dem schlagkräftigen Argument zu begründen, nur auf diese Weise könne ein offener Bürgerkrieg vermieden werden.
Der Zugang von Blasius kreist mithin um eine politikgeschichtliche Fragestellung: Er setzt voraus, dass die Weimarer Republik von Beginn an von einer zumindest latenten Gewaltdisposition durchtränkt war, die sich bei einer bietenden Gelegenheit abgerufen werden konnte und in Gestalt zweier ausgesprochener Bürgerkriegsparteien - NSDAP und KPD - ihren markanten Ausdruck fand. Diese Annahme ist wohl begründet; sie hätte aber noch an Durchschlagskraft gewonnen, wenn der Verfasser die Ergebnisse der Milieuforschung etwa bei den Göttinger Forschern Franz Walter und Peter Lösche rezipiert hätte: Beide unterstreichen, dass 1918/19 eine neue gewalttätige Phase der Milieukonfrontation in Deutschland einsetzte, die sich nicht zuletzt in der zumindest stillschweigenden Akzeptanz politisch motivierter Gewalt manifestierte. Diese politischen Spannungen eskalierten zu Beginn der 1930er-Jahre, als sich die wirtschaftliche und politische Krise zuspitzte. So wurden in Preußen 61 Opfer politisch motivierter Gewalt für den Zeitraum vom 1. Januar 1930 bis Ende November 1931 registriert.
Man gewinnt bei Blasius den Eindruck, dass der Übergang zu den Präsidialkabinetten im Frühjahr 1930 keinen entscheidenden Einbruch markierte, da es schließlich eine Präsidialregierung Brüning war, die das staatliche Gewaltmonopol ernsthaft schützen wollte und sogar am 13. April 1932 SA und SS verbieten ließ. Es gab daher gerade unter Konservativen, die sich aus ihrem Verständnis von Recht und Ordnung heraus der Erhaltung der Staatsautorität verschrieben hatten, eine originäre Bereitschaft, das Treiben der nationalsozialistischen Bürgerkriegsarmee nicht länger zu dulden.
Mit Recht stuft Blasius den Übergang von der Regierung Brüning zur Regierung Papen/Schleicher als Qualitätssprung ein, weil erst die neue Regierung der Hitler-Bewegung wieder die Instrumente in die Hand gab, um eine nie da gewesene Welle der politisch motivierten Gewalt zu entfesseln. Die Aufhebung des SA-und des Uniformverbots sowie die Eingriffe in die Polizeihoheit der Länder traten eine Lawine der Gewalt los, welche der Reichsregierung am 20. Juli 1932 einen wohlfeilen Vorwand bot, um die preußische Regierung abzusetzen, weil diese die bürgerkriegsähnlichen Unruhen wegen vermeintlicher Schonung der Kommunisten nicht energisch unterdrückt habe.
Blasius streicht aber auch in begrüßenswerter Deutlichkeit heraus, dass nach der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 NSDAP und Präsidialregierung in eine Phase der erbitterten Konfrontation eintraten, weil letztere die staatlichen Machtmittel letztlich nicht der NSDAP überlassen wollte.
In diesem Kontext schlugen die Gewalttaten der SA negativ zu Buche, weil somit Regierung und Reichspräsident nachdrücklich vor Augen geführt wurde, dass sie Gefahr liefen, die Errungenschaften des Rechtsstaates preiszugeben, falls Hitler die Kanzlerschaft übertragen würde. Blasius kehrt seine eigentliche Argumentation von der Bedeutung des Bürgerkriegs ,,als einem der Geburtshelfer der NS-Diktatur" (S. 122) sogar um, wenn er mit Verweis auf die Absage Hindenburgs an den Führungsanspruch Hitlers am 13. August 1932 konstatiert: ,,Ohne den Anschauungsunterricht des Bürgerkriegs wäre Hitler schon früher der Griff nach dem Kanzleramt geglückt" (S. 102).
Von diesem Punkt aus hätte es nun nahegelegen, das Potential der seit dem August 1932 von Seiten der Präsidialregierung erwogenen Staatsnotstandspläne systematisch auszuschöpfen. Denn wenn die Regierung Papen die Notbremse zog, mit der Notverordnung gegen politischen Terror vom 9. September 1932 auch NS-Gewalttaten durch Sondergerichte verfolgen ließ und sich damit die erbitterte Gegnerschaft der NSDAP zuzog, dann konnte sie nur politisch überleben, wenn sie auf dem Wege der Verfassungsdurchbrechung den nationalsozialistisch beherrschten Reichstag ausschaltete, dazu etwa den Reichstag auflöste und die nach der Verfassung binnen 60 Tagen fälligen Neuwahlen auf unbestimmte Zeit verschob. Blasius erwähnt zwar, dass Reichskanzler Franz von Papen, Innenminister Wilhelm Freiherr von Gayl und Wehrminister Kurt von Schleicher am 30. August 1932 in Neudeck den Reichspräsidenten zu einem solchen Vorhaben bewogen, doch isoliert er diesen Befund und leitet daraus nicht die quellenmäßig evidente Feststellung ab, dass sich die Präsidialregierungen bis Januar 1933 zumindest die Option offen hielten, die Staatsgewalt mit Hilfe der bewaffneten Macht unter Umgehung der Verfassung zu verselbständigen und damit zugleich den Regierungsanspruch Hitlers abzuwehren.
Gewiss hat Blasius Recht, wenn er darauf verweist, dass die Einbindung Hitlers in eine Regierung der ,,vereinigten Rechten" einen konkurrierenden Ausweg wies, der über den beträchtlichen Vorteil verfügte, dass er der Präsidialregierung eine notfalls bis zum Bürgerkriegsszenario reichende Konfrontation mit den Nationalsozialisten ersparte. Doch unternimmt Blasius in diesen Zusammenhang eine Überstrapazierung des Bürgerkriegsarguments, wenn er behauptet, dass die politischen Verantwortlichen sich durch die gemachten Bürgerkriegserfahrungen ,,davor zurückschrecken ließen, die eigene Macht durch einen Verfassungsbruch auf die Probe zu stellen" (S. 99). Blasius wird stellenweise zum Gefangenen seiner Fixierung auf das Bürgerkriegsargument und blendet alle in den Akten der Reichskanzlei und im einschlägigen Schrifttum ausgebreiteten Befunde aus, denen zufolge die Architekten des Neudecker Notstandsplans - also Papen, Schleicher und Gayl - sich nicht sonderlich von der Aussicht auf einen Konfrontationskurs gegen Hitler schrecken ließen, weil sie autoritär dachten und es daher dem Staat prinzipiell zutrauten, durch massiven Einsatz seiner Machtmittel die innere Ordnung auch ohne Bürgerkrieg herzustellen.
Speziell in Hinblick auf die Strategie Schleichers offenbart sich die Problematik der Verengung der politischen Lageeinschätzung auf das Bürgerkriegsszenario. Zweifellos war Schleicher taktisch gewieft genug, das Bürgerkriegsargument bei passender Gelegenheit gegen Papen auszuspielen und dadurch die Kabinettsrevolte vom 2. Dezember 1932 zu initiieren, die ihn zum Kanzler aufsteigen ließ. Doch Blasius ignoriert die verfassungspolitischen Ziele Schleichers, welcher die Präsidialgewalt vollends von der parlamentarischen Kontrolle loslösen wollte - die NSDAP war ihm dabei willkommen, wenn sie diesen Kurs politisch absicherte. Sollte Hitler allerdings auf seinem politischen Führungsanspruch beharren, dann zögerte Schleicher keinen Augenblick, im Rahmen des geplanten Verfassungsumbaus die Staatsgewalt auch rigoros gegen gewaltsames Aufbegehren von Seiten der extremen Rechten einzusetzen. Insofern war es zwangsläufig, dass Schleicher im Januar 1933 nach der endgültigen Absage der NSDAP auf die Staatsnotstandspläne zurückgriff. Schleichers Entlassung ist damit gleichbedeutend mit der Absage an das Konzept der politischen Reichswehr, die als Hauptstütze eines autoritären Präsidialregimes dieses gegen die radikale Linke wie Rechte mit allen Mitteln abzuschirmen bereit war.
Von der Systematik seiner Argumentation hätte es Blasius gar nicht nötig gehabt, Schleicher gegen alle Ergebnisse der neueren Forschung zu unterstellen, die Reichswehr einseitig auf eine Gewaltandrohung gegen die Linke festgelegt zu haben. Denn das Bürgerkriegsargument verfehlte auch unter der Regierung Schleicher seine Wirkung nicht - allerdings in dem Sinne, dass es Schleichers Pläne zu Fall brachte, weil es starken Eindruck auf die Person machte, auf die es letztlich ankam: den Reichspräsidenten. Es ist ein Manko dieser Studie, dass die zentrale Funktion Hindenburgs für das Funktionieren des politischen Systems nicht systematisch herausgearbeitet wird und somit seine entscheidende Rolle letztlich blass bleibt.
Auf diese Weise lässt Blasius gelegentlich den Handlungsspielraum des Reichskanzlers größer erscheinen als er in Wirklichkeit war. Insbesondere bei seiner Analyse der Politik Schleichers fällt dieser Umstand erheblich ins Gewicht; zudem wird hier die in Blasius Studie häufig anzutreffende Inkonsistenz seiner Argumentation besonders augenfällig. Zum einen wertet Blasius die Politik Schleichers gegenüber den politischen Parteien unverhältnismäßig auf und stellt Schleicher als eine Art politischen Dompteur dar, dem es gelungen sei, sogar die NSDAP ,,unter Tolerierungszwang" (S. 155) zu stellen - eine Position, welche das Kardinalproblem der Schleicherregierung - nach dem Ausscheiden Gregor Strassers aus der Führung der NSDAP über kein Mittel zu verfügen, sich mit dem am 6.11.1932 gewählten Reichstag politisch zu verständigen - schlichtweg übergeht. Auf der anderen Seite spricht Blasius Schleicher ausgerechnet dort Handlungskompetenz ab, wo dieser - das Einverständnis des Reichspräsidenten vorausgesetzt - nicht vom Wohlwollen des Reichstags abhängig war: nämlich beim Ausloten der verfassungspolitischen Möglichkeiten, den Reichstag für eine gewisse Zeit als Machtfaktor zu eliminieren.
Trägt man die bei Blasius verstreuten Befunde zusammen, dann lässt sich daraus tatsächlich ein starkes Argument für die Wirkmächtigkeit des Bürgerkriegsarguments schmieden. Wenn Hindenburg am 24. November 1932 dem Parteivorsitzenden des Zentrums, Ludwig Kaas, die Verweigerung einer Kanzlerschaft Hitlers mit dem Verweis darauf begründet, ,,dass eine solche Regierung sich zwangsläufig zu einer Parteidiktatur mit allen Gefahren eines Bürgerkriegs für das deutsche Volk entwickeln würde", dann impliziert dies die Auffassung Hindenburgs, dass sich Hitler auch als Reichskanzler und Parteiführer gebärden und seine Regierungsgewalt in seinen Händen dazu benutzen würde, der SA freie Hand für eine blutige Abrechnung mit allen politischen Gegnern zu lassen, welche auch die gemäßigte Rechte wie den ,,Stahlhelm" nicht aussparen würde.
Im Umkehrschluss bedeutet diese Begründung aber auch, dass Hindenburgs Bedenken gegen eine Kanzlerschaft Hitlers dann wegzuräumen waren, wenn Hitler als Chef einer Regierung der erstmals ,,vereinten Rechten" auftrat und mittels rein legaler Mittel das Programm des Reichspräsidenten auszuführen anstrebte. Hitler musste also erst dem Bürgerkrieg abschwören, ehe er in Hindenburgs Augen kanzlerfähig wurde - erst der Verzicht auf das Bürgerkriegskalkül ebnete Hitler den Weg ins Kanzleramt. Dies klingt zwar bei Blasius gelegentlich an (vgl. seine bereits zitierte Aussage von S. 102), wird aber doch von seiner Hauptthese überlagert, dass erst die permanente Bürgerkriegsdrohung Hitler dazu beigetragen habe, ihm zur Macht zu verhelfen. Hieran zeigt sich die Inkonsistenz der Argumentation von Blasius, der zwar stellenweise fruchtbare und weiterführende Interpretationsansätze anbietet, diese aber nicht zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenfügt und sich zudem noch in einem manchmal krampfhaften Beharren auf abgestandenen Positionen, was für die Systematik seiner Argumentation gar nicht erforderlich wäre, argumentativ verheddert. Dieser Zwiespalt macht die Stärke wie die Schwäche seiner bemerkenswerten, aber nicht immer klar durchkomponierten Studie aus.
Wolfram Pyta, Stuttgart