Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Hanno Balz, Die ,,Arisierung" von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen (Schriftenreihe Erinnern für die Zukunft, Bd. 2), Edition Temmen, Bremen 2004, 128 S., geb., 12,90 €.
Obwohl die regionalgeschichtliche Forschung zur sogenannten ,,Arisierung" jüdischen Eigentums in den letzten Jahren stark expandierte, liegen zum spezifischen Aspekt der ,,Grundstücks-Arisierung" bislang nur wenige Studien vor. Insofern greift man als Rezensent erwartungsfroh zum Buch von Hanno Balz, legt es jedoch nach der Lektüre mit einem zwiespältigen Gefühl zur Seite. Einerseits fördert der Autor interessante und neue Aspekte zutage, anderseits weist das Buch sprachliche, stilistische, handwerkliche und interpretatorische Mängel auf, die den Gesamteindruck deutlich beeinträchtigen.
Im ersten Kapitel gibt der Autor einen ,,chronologischen Abriss der nationalsozialistischen Judenpolitik", in dem sich die Schwächen des Buches wie in einem Brennglas bündeln. An kaum einer Stelle dieses Kapitels ist der Autor in der Lage, die verschiedenen Akteure in Staat, Partei, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft eindeutig zu benennen und deren Interaktion präzise zu beschreiben. Deutlich wird die stilistische Überforderung zum einen in einer Vielzahl von passivähnlichen Konstruktionen mit reflexiven Verben, in denen ständig etwas ,,erfolgt", ,,entsteht", ,,stattfindet", ,,geschieht", ,,sich ergibt" und ,,sich vollzieht", ohne dass ein handelndes Subjekt erkennbar wäre: ,,Es ergaben sich so Überlegungen zu einer Verschärfung der Verfolgungspraxis" (S. 30), ,,Währenddessen fand im gesamten Reich die sogenannte ,Asozialen-Aktion' statt" (S. 29), ,,Nach der Sudetenkrise war es allen Verantwortlichen in Politik und Verwaltung klar, dass nunmehr jederzeit mit einem Krieg zu rechnen war" (S. 29). ,,Klar" war dies den Verantwortlichen - mit dem ,,Führer" an der Spitze - auch deshalb, weil sie aktiv auf den Krieg hinarbeiteten, so könnte man hier sarkastisch hinzufügen.
Zum anderen verliert der Autor bei der Thematisierung des NS-Herrschaftssystems sprachlich zunehmend den Überblick. So macht Balz ein ,,Quasi-Monopol der NSDAP" in der antijüdischen Politik (S. 18) aus, um wenige Zeilen später von einer ,,wirtschaftlichen Ausgrenzung von staatlicher Seite" zu sprechen. Bis 1935 seien 20-25% der jüdischen Betriebe ,,von staatlicher Seite liquidiert oder ,arisiert' worden" (S. 22). Dies ist nicht nur unpräzise, sondern auch noch unzutreffend, weil es zu diesem Zeitpunkt gar keine Möglichkeit gab, jüdische Unternehmen staatlicherseits zu liquidieren. Da wird ,,in Berlin beim Judenreferat interveniert" (S. 51), und der Leser fragt sich betreten, welches der Dutzenden Berliner ,,Judenreferate" der Autor wohl gemeint haben könnte. Im Übrigen sei irritiert vermerkt, dass Balz zwar einen zweiseitigen Exkurs über ,,NS-Rhetorik zu jüdischem Besitz" wagt, doch NS-Termini wie ,,jüdisches Kapital" (S. 25) oder ,,Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft" (S. 51) ohne Anführungszeichen in seinen eigenen Sprachgebrauch übernimmt.
Wer sich durch das erste Kapitel bemüht hat, wird im zweiten Kapitel mit einer Darstellung der ,,Grundbesitz-Arisierung" in Bremen belohnt, der sich im dritten Kapitel eine Reihe plastischer Fallbeispiele anschließen. Hier schöpft der Autor aus umfassenden eigenen Forschungen und präsentiert sein Material in einer empirischen Dichte, wie sie bislang für keine zweite deutsche Stadt vorliegt. Mehr als zwei Drittel der Grundstücke im Besitz von Bremer Juden wurden in den Jahren 1938 und 1939 ,,arisiert." Kaufverträge zwischen jüdischem Eigentümer und ,,arischem" Erwerber bedurften ab Dezember 1938 einer behördlichen Genehmigung, wobei in Bremen das städtische Katasteramt insofern die Federführung übernahm, als es die ,,Angemessenheit" des Kaufpreises zu beurteilen hatte. Den jüdischen Eigentümern verblieben zwar bei der Auswahl des Käufers minimale Handlungsspielräume, doch konnte angesichts ihrer Zwangssituation von einem ,,freien Verkauf" keine Rede sein. Durchschnittlich zahlten die ,,arischen" Käufer in Bremen etwa 68% des Grundstücks-Schätzwertes. Dies war - wie Balz zu Recht feststellt - zwar kein ,,Schleuderpreis", aber doch ein gutes Geschäft, das ohne die Zwangssituation der jüdischen Eigentümer nicht möglich gewesen wäre.
Unter den Käufern dominierten (männliche) Angehörige des Bremer Bürgertums: Kaufleute, Anwälte, Architekten, Ingenieure und Ärzte. Der Anteil der NSDAP-Parteimitglieder unter ihnen habe - so Balz - ,,nicht höher als 10%" gelegen. Dieser niedrige Anteil verwundert insofern, als rund 20-25% aller männlichen Erwachsenen der NSDAP angehörten, die insgesamt rund neun Millionen Mitglieder zählte. Noch mehr verwundert allerdings, dass Balz als ,,Anhaltspunkt" für eine Parteimitgliedschaft des Erwerbers die Angaben des jüdischen Eigentümers nimmt, die dieser im Rückerstattungsverfahren gemacht hat (S. 72). Wie hätten denn die jüdischen Eigentümer - außer durch den Erwerber selbst - von dieser Parteimitgliedschaft erfahren können? Warum hat der Autor nicht das Document Center als Quelle herangezogen, wenn er schon mit konkreten Prozentzahlen operiert?
Nur eine Nebenrolle spielte bei den ,,Grundstücks-Arisierungen" das Reich, das sich in Bremen (ab 1941) rund ein Fünftel aller Grundstücke aneignete, die im Besitz von Juden gewesen waren. Auch die NSDAP war in Bremen - im Gegensatz zu anderen Städten - nur akzidentiell an der ,,Grundstücks-Arisierung" beteiligt, die in Bremen eine Domäne der städtischen Verwaltung war.
Gleich mehrfach betont Balz, dass den Verwaltungsbeamten ,,politische Positionierungen" fremd gewesen seien. In Anlehnung an Franz Neumann sieht er sie als ,,nihilistische Technokraten (S. 118), die sich um einen ,,ordnungsgemäßen Verkauf nach den gesetzlichen Bestimmungen" (S. 69) bemüht hätten. Freilich lassen sich diese Einschätzungen mit seinen eigenen empirischen Befunden nur schwer in Einklang bringen. Was heißt denn ,,ordnungsgemäß", wenn der Genehmigungsrahmen für die Beamten - wie Balz feststellt - sehr ,,ungenau" (S. 63) bemessen war und den Beamten in der Ausführung erhebliche Handlungsspielräume ließ? Was ist eigentlich ,,technokratisch" oder gar unpolitisch, wenn ein Beamter des Katasteramtes in einem Schreiben feststellt: ,,Es muss verhindert werden, dass der jüdische Verkäufer einen zu hohen Preis erzielt, und dass der Erwerber durch Zahlung eines zu hohen Preises in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät"(S. 65). Hier agierte kein ,,Technokrat" sondern ein Beamter, der die antijüdischen Normen vollständig internalisiert und zur Grundlage des eigenen Handelns gemacht hatte.
Insgesamt vermag Balz dem Leser in den zweiten und dritten Kapitel ein plastisches Bild der ,,Grundstücks-Arisierungen" zu vermitteln, deren Ablauf auch aus der Perspektive der jüdischen Eigentümer geschildert wird. Präzision in Sprache und Analyse gehören hingegen nicht zu den Stärken des Autors, der überdies zu Allgemeinsätzen wie folgenden neigt: ,,Der NS-Staat überließ einen Teil seiner wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Juden der Umsetzung durch die ,freie' Wirtschaft, da er sich als bürgerliche Herrschaftsform auf die ungebrochene Kraft der kapitalistischen Akkumulation verlassen konnte" (S. 116). Dies ist - mit Verlaub - marxistische Phraseologie, die eine präzise Analyse des ,,Arisierungs-Prozesses" und seiner Beteiligten in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft nicht ersetzen kann.
Frank Bajohr, Hamburg