ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Joachim Kuropka (Hrsg.), Geistliche und Gestapo. Klerus zwischen Staatsallmacht und kirchlicher Hierarchie (Anpassung - Selbstbehauptung - Widerstand, Bd. 23), LIT Verlag, Münster 2004, 312 S., brosch., 24,90 €.

Die von Joachim Kuropka herausgegebene Aufsatzsammlung stellt den durch zwei Aufsätze des Herausgebers erweiterten Ertrag einer Tagung des Instituts für Geschichte und historische Landesforschung der Universität Vechta und der Katholischen Akademie in Cloppenburg-Stapelfeld dar. Den Aufsätzen ist durchgängig Bild- und Quellenmaterial beigefügt.

In einem einleitenden Beitrag legt Kuropka gleichsam seine grundlegende Auffassung zu dem nach wie vor hochstrittigen Thema ,,Kirche und Nationalsozialismus" dar. Dabei bemängelt er eine zunehmend moralisierende Beurteilungsgrundlage der neueren Forschung und ruft verdienstvoller Weise den grundlegenden weltanschaulichen Dissens zwischen Kirche und NS-Staat wie er im Streit um Rosenbergs ,,Mythus des 20. Jahrhunderts" deutlich wurde, in die Erinnerung zurück (S. 21).


Seine Argumentation speist sich aus der Adaptation der Interpretation des Nationalsozialismus als ,,politische Religion", die in den letzten Jahren z. B. von Hans Meier oder Michael Burleigh wiederbelebt wurde. Scharf ablehnend steht Kuropka dem milieutheoretischen Ansatz, wie er von Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann in dem bekannten ,,Saarlandprojekt" favorisiert wurde, gegenüber.

Der zweite einleitende Aufsatz des Herausgebers wendet sich der ,,Frage der Gefährdung der NS-Herrschaft durch die Katholische Kirche" zu und reklamiert eine gewisse Widerständigkeit der Kirche gegenüber dem Regime, ohne allerdings den Widerstandsbegriff eingehender zu definieren, und ohne Auseinandersetzung mit der mittlerweile doch hoch spezialisierten und differenzierten Widerstandsliteratur. Kuropkas Darstellung fußt dabei auf einer klassischen Auswertung zum Teil bekannter, zum Teil weniger bekannter Quellenzeugnisse, die ausführlich zitiert werden.

Bislang noch weitgehend unbekannt sind demgegenüber die von Dieker in einem Aufsatz über Kirchen- und Religionspolitik vorgestellten Akten aus der kirchenpolitischen Abteilung des SD-Hauptamtes, die im Zentralarchiv des MfS aufbewahrt wurden, wo sie u. a. für die bekannten Denunziationskampagnen des SED-Regimes genutzt worden waren. Diekers Aufsatz gewährt einen konzisen Einblick in die Überwachungs- und Spitzelpraxis des SD vor allem gegen die deutschen Bischöfe. Vier ehemalige Ordens- und zwei Weltgeistliche verschafften dem SD die notwendigen internen Kenntnisse.

Daran schließen sich zwei Regionalstudien von Thomas Fendel über die Pfalz und Klaus-August Recker über Osnabrück an. Fendels Beleuchtung des scharfen konfessionellen Gegensatzes in der Pfalz erscheint dabei zur Beurteilung und Einordnung der Lage der katholischen Kirche gut geeignet, weil die pfälzische Evangelische Landeskirche in hohem Grade ,,nazifiziert" war. Der als ,,Alter Kämpfer" der NSDAP firmierende Landesbischof Ludwig Diehl war dabei eine Zentralfigur, deren Entfernung nach 1945 noch große Schwierigkeiten bereiten sollte.

Die zweite Hälfte des Bandes präsentiert sodann fünf Einzelfallstudien über widerständige evangelische wie katholische Pfarrer aus dem Umfeld Oldenburgs, die an weithin unbekannte Personen erinnern. Neben diesen Porträts, die etwa der von Kunze herausgegebenen Fallsammlung unter dem Titel ,,Badische Theologen im Widerstand (1933-1945)" entsprechen, ist beabsichtigt, auf diesem Wege die von Karl-Ludwig Sommer vor Jahren herausgegebenen Milieustudien über die Bekennende Kirche in Oldenburg durch den Nachweis eben von Einzelschicksalen zu ergänzen und zu differenzieren.

Das Verdienst des Sammelbandes besteht zweifellos darin, ältere, durchaus nicht überholte Positionen der Katholizismusforschung in Erinnerung gerufen und durch neues Quellenmaterial angereichert zu haben. Für Sozial- und Milieuhistoriker enthält der Band allerdings wenig Neues.

Michael Kißener, Mainz


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