ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Till Kössler, Abschied von der Revolution. Kommunisten und Gesellschaft in Westdeutschland 1945-1968 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 143), Droste Verlag, Düsseldorf 2005, 499 S., geb., 64,80 €.

Till Kössler untersucht seiner Bochumer Dissertation den Wandel der kommunistischen Bewegung zwischen 1945 und 1968 vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Transformation der Bundesrepublik. Er blickt besonders auf Nordrhein-Westfalen, wo sich viele Probleme der jungen Bundesrepublik - Kriegsfolgen, Migration, Modernisierung der Montanindustrie - wie in einem Brennglas bündelten. Er schreibt diese Geschichte nicht nur als Organisationsgeschichte, sondern bietet zugleich eine Sozialgeschichte der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der kommunistischen Bewegung. Kössler entwickelt den von Klaus-Michael Mallmann in seiner wegweisenden Studie zum Kommunismus in der Weimarer Republik vorgeschlagenen methodischen Rahmen weiter und vermag dadurch die Erforschung des bundesdeutschen Kommunismus nach Patrick Majors vornehmlich organisationsgeschichtlicher Arbeit ganz erheblich voranzubringen. (1)

Drei Ebenen und ihre zahlreichen Vernetzungen nimmt Kössler in den Blick: den inneren Wandel der KPD vor und nach dem Parteiverbot 1956; den administrativen Antikommunismus der Kommunen, der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der Bundesregierung; und die Praxis der politischen Arbeit vor Ort, in Betrieben und Gewerkschaften. Kössler untersucht die KPD als Traditionspartei, Kaderpartei und Bewegungspartei und stellt ihre Geschichte in der Bundesrepublik als Geschichte der Entkopplung dieser drei Parteiformen dar. Dieser umfassenden Perspektive entsprechend, hat der Autor auf einen breiten Quellenkorpus zurückgegriffen: Neben direkt auf die Parteigeschichte bezogenen Quellen macht er auch von Quellen aus lokalen Archiven, von regierungsamtlichen Quellen (auch der britischen Besatzungsbehörden) und Zeitungen Gebrauch.

Die Hauptteile des Buches sind chronologisch geordnet. Die Teile selbst nehmen jeweils die drei Analyseebenen - Partei, Antikommunismus in Bürokratie und Gesellschaft, betriebliches Umfeld - systematisch in den Blick. Im ersten Teil des Buches erörtert Kössler die Entwicklung der kommunistischen Bewegung im Zeitraum zwischen Kriegsende und Anfang 1950 und arbeitet sehr schön Kontinuitäten und Brüche mit der Zwischenkriegszeit heraus. Vor allem in den Kommunen und in den Betrieben galt die kommunistische Bewegung 1945/6 und mitunter bis zu Beginn der 1950er-Jahre noch als ,,lokaler Ordnungsfaktor" (S. 149). Kössler benennt zwei Faktoren, die dazu führten, dass sich die Bewegung zunehmend als ,,verschworene und sozial undifferenzierte Kampfgemeinschaft" (S. 56) in der Öffentlichkeit präsentierte. Vor allem versuchte die KPD durch ihre Geschlossenheitsrhetorik den tiefgreifenden Wandel und die Fragmentierung der Parteimitgliedschaft nach Nationalsozialismus und Krieg zu verdecken. Zum anderen erschien eine derartige Rhetorik gerade aufgrund des einsetzenden Kalten Krieges, den die Mitglieder auf lokaler Ebene ganz real erfuhren, besonders plausibel. Penibel arbeitet Kössler die Gegensätze heraus, die sich aus dem Anspruch der KPD als Kaderpartei einerseits und den traditionellen Werten und Normen der Arbeiterkultur andererseits vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ergaben. Er relativiert damit überzeugend die Bedeutung des Einflusses der SED auf die Entwicklung der KPD.

Der zweite Teil des Buches nimmt den Zeitraum 1950-1952 als tiefgreifende Zäsur für die Geschichte der kommunistischen Bewegung in den Blick. Till Kössler argumentiert, dass die kommunistische Bewegung schon lange vor dem Verbot durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1956 ganz wesentlich geschwächt war. Mithilfe der SED versuchte sich die KPD zu einer Kampagnenorganisation umzubauen. Doch, wie der Autor eindrucksvoll belegen kann, blieben aufgrund mangelnder Erfahrung und Verankerung in den lokalen Gesellschaften Kampagnen wie die Friedenskomitees - entgegen den Verschwörungstheorien mancher Zeitgenossen und Historiker - im Großen und Ganzen erfolglos. Vor allem die mangelnde Rücksicht der KPD-Führung auf Traditionen und Werte des Arbeitermilieus vor Ort führte dazu, dass viele Mitglieder die Partei verließen oder resignierten. Nur wenige, vor allem jüngere Parteimitglieder radikalisierten sich. Allein in einigen Betrieben konnten kommunistische Betriebsräte in Auseinandersetzungen um betriebsspezifische Probleme größere Anerkennung in den Belegschaften gewinnen. Die Auswirkungen des Kalten Krieges vor Ort verstärkten diese Entwicklungen noch. Die KPD wurde nun zunehmend von einer ,,geduldeten Opposition" zu einem ,,inneren Feind" (S. 277), wobei kommunistische Politik zunehmend kriminalisiert wurde. Eindrucksvoll schildert Kössler, wie die KPD zunehmend Gewalt benutzte, um sich eine Öffentlichkeit zu sichern, die ihr von lokaler Gesellschaft und vom Staat zunehmend verweigert wurde.

Im dritten Teil, in dem der Zeitraum von 1953 bis 1968 behandelt wird, schildert Kössler den Niedergang der kommunistischen Bewegung über das Parteiverbot 1956 hinweg bis zur Gründung einer neuen kommunistischen Partei, der DKP, im Jahre 1968. Schon in den Debatten um eine Amnestie für von Kommunisten verübte politische Straftaten und um das KPD-Verbot kann Kössler eine deutliche ,,Pluralisierung der Positionen" (S. 359) im politischen Diskurs der Bundesrepublik nachweisen. Das Parteiverbot führte zwar unmittelbar zur organisationellen Desintegration der kommunistischen Bewegung. Allerdings geschah dies vor dem Hintergrund von Entwicklungen, die, wie Kössler überzeugend darlegt, schon zu Beginn der 1950er-Jahre eingesetzt hatten. Das politische Ziel der KPD und ihrer Nachfolgeorganisationen hatte sich schon seit etwa 1953 im Einklang mit der SED-Politik immer stärker vom Gesellschaftswandel im Westen zur Anerkennung der SED-Herrschaft im Osten verschoben. Kommunistische Politik in der Bundesrepublik bewegte sich somit ,,immer mehr im Rahmen zwischenstaatlicher Beziehungen und immer weniger im Kontext innergesellschaftlicher, westdeutscher Auseinandersetzungen" (S. 385). In der Folgezeit beschäftigte sich die kommunistische Bewegung immer weniger mit der bundesdeutschen Gesellschaft und immer mehr mit sich selbst. Weltanschauliche Grundannahmen und praktisches Handeln der Kommunisten traten immer weiter auseinander. Diese Entwicklung ermöglichte schließlich auch die Teilnahme von Kommunisten an den verschiedenen Protestbewegungen der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre. Kössler kann hier mit der aus zeitgenössischen Ängsten gespeisten Interpretation einer Unterwanderung dieser Bewegungen überzeugend aufräumen. Er interpretiert die Teilnahme von Kommunisten an diesen Bewegungen dagegen als Integration, welche die bundesdeutsche Demokratie stärkte und die kommunistische Bewegung weiter schwächte. Die Lockerung des gesellschaftlichen Umgangs mit Kommunisten im Laufe der 1960er-Jahre tat ein Übriges, um Angehörige der kommunistischen Bewegung mental zu entradikalisieren.

Insgesamt kann Kössler daher überzeugend die mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen Parteiorganisation und Parteifunktionären, gesellschaftlichem Umfeld und allgemeinen politischen Bedingungen wunderbar differenziert aufzeigen und somit die Mischung von starker Abgrenzung bei gleichzeitiger (partieller und lokaler) Integration herausarbeiten, die den Umgang der westdeutschen Gesellschaft mit der kommunistischen Bewegung kennzeichnete. Die kommunistische Bewegung erscheint so nicht als monolithischer Akteur, sondern als sozialgeschichtlich und ideologisch fragmentierte Bewegung.

An einigen Stellen (besonders in den zahlreichen Zusammenfassungen) hätte man den Text deutlich straffen und Wiederholungen beseitigen können. Leider ist der Teil für die Zeit nach 1951/2 vergleichsweise kurz geraten. Ob der Begriff des Milieus, den Kössler in der Einleitung als eines seiner analytischen Werkzeuge vorstellt, für diese Zeit weiterführt, wäre auch noch ausführlicher zu diskutieren. Kössler selbst scheint den Begriff der Bewegung für hilfreicher zu halten.

Doch diese Schwächen können den überaus positiven Eindruck, den diese Studie hinterlässt, nicht trüben. Sie beeindruckt durch eine akribische Durchdringung des Stoffes, die der Autor mit methodisch innovativer Analyse gekonnt verbindet. Organisationsgeschichte wird spannend erörtert, zum Beispiel wenn Kössler Herrschaft und Macht innerhalb der kommunistischen Bewegung als Kommunikationsproblem analysiert. Indem Kössler durch das Dickicht der kommunistischen Einheitsrhetorik und der zeitgenössischen Invektiven stößt und die KPD konsequent als Teil ihrer gesellschaftlichen Umwelt analysiert, hat er Maßstäbe für die Parteienforschung nicht nur der Bundesrepublik gesetzt und ein hervorragendes Beispiel für eine moderne Politikgeschichte geliefert. Kössler selbst fordert in seinem Schlusskapitel Studien zu anderen Regionen. Der besondere Wert der Studie liegt allerdings nicht in der Geschichte der Parteigeschichte allein. Sein Interpretationsangebot hat große Bedeutung für die Geschichte der Bundesrepublik. Kössler hat die Frage der Demokratisierung und der inneren Stabilisierung der Bundesrepublik mit einer neuen Pointe eindrucksvoll auf die zeithistorische Agenda gesetzt und einen wichtigen Baustein zu einer Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges geliefert. Mit seiner Betonung auf der Dynamik und Konflikthaftigkeit der Entwicklung schon während der späten 1940er-und der 1950er-Jahre meldet Kössler implizit Zweifel an den teleologisch auf die 1960er-Jahre bezogenen Interpretationsmodellen an. Kurz: Um eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser erstklassigen Studie wird man bei der Bewertung des politischen und sozialen Wandels in der Bundesrepublik nicht herumkommen.

Holger Nehring, Oxford

Fußnoten:


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