ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Claasen, Birte/Danker, Uwe/Jessen-Klingenberg, Manfred/Köhler, Nils/ Lehmann, Sebastian/Schulte, Rolf (Hrsg.): Demokratische Geschichte(Jahrbuch für Schleswig-Holstein, Bd. 15), Schleswig-Holsteinischer Geschichtsverlag, Malente 2003, 352 S., brosch., 25 €.

Claasen, Birte/Danker, Uwe/Jessen-Klingenberg, Manfred/Köhler, Nils/ Lehmann, Sebastian/Schulte, Rolf (Hrsg.): Demokratische Geschichte( Jahrbuch für Schleswig-Holstein, Bd. 16), Schleswig-Holsteinischer Geschichtsverlag, Malente 2004, 352 S., brosch., Preis 25 €.

In den Bänden 15 und 16 der Reihe ,,Demokratische Geschichte" finden sich eine Vielzahl von Beiträgen, die sich der neueren und insbesondere der Zeitgeschichte Schleswig-Holsteins sowie in mehreren Beiträgen des angrenzenden südlichen Dänemarks widmen. Der Band 15 hat als Schwerpunktthema die wechselhaften und manchmal schwierigen deutsch-dänischen Beziehungen. 13 Autoren bieten in 15 Beiträgen Aufsätze, Zusammenfassungen größerer Forschungsarbeiten, umgearbeitete Tagungsreferate, Konferenzzusammenfassungen sowie ein Didaktisches Forum, das u.a. Beiträge zur Zeitzeugenbefragung im Geschichtsunterricht bietet. Hier sollen lediglich einige der durchweg gut geschriebenen Beiträge kurz angesprochen werden.

Martin Rheinheimer untersucht zunächst in seinem sehr gelungenen Beitrag ,,Mythos Sturmflut. Der Kampf gegen das Meer und die Suche nach Identität" die Bedeutung und Entwicklung der Sturmfluten an der Nordseeküste als Erinnerungsort und deren Implikationen für die Identitätsbildung in dieser Region. Dabei stellt er u.a. fest: Die ,,Erfahrung der Sturmfluten hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Küstenbewohner eingegraben und trägt erheblich zu ihrer regionalen Identität bei" (S. 9). Nach einer reflektierten und klar argumentierenden Untersuchung fügt er hinzu, dass es nicht nur den Mythos Sturmflut gibt, sondern auch die Realität der Sturmfluten, die den Hintergrund für die Herausbildung des Mythos bildeten (S. 50).

Uwe Danker widmet sich unter der Überschrift ,,Im richtigen Krieg oder im falschen Film" der Thematik der (dänischgesinnten) Frontsoldaten aus Nordschleswig in deutschen Militäreinheiten während des Ersten Weltkrieges. Während dieses Thema in Dänemark in den letzten Jahren Gegenstand mehrerer neuerer Forschungsveröffentlichungen gewesen ist, wurde diese Thematik wohl insbesondere aus Gründen der sprachlichen Zugänglichkeit im deutschen Sprachraum kaum beachtet. Der Beitrag wurde ursprünglich im Rahmen einer deutsch-dänischen Historikertagung Ende 2002 gehalten und für die Veröffentlichung um einen umfassenden wissenschaftlichen Apparat erweitert. Anhand veröffentlichter Feldpostbriefe (aus Editionen, die bereits während des Krieges in Dänemark und in Parallelausgaben in Deutschland erschienen) werden u.a. die Kriegserlebnisse charakterisiert und analysiert. Ferner wird die Thematik der Desertionen nach Dänemark kurz dargestellt.

Danker erwähnt u.a. die Zahl 30.000 dänisch gesinnter Nordschleswiger, von denen im Ersten Weltkrieg ca. 5-6.000 fielen. Die erste Zahl wird in der dänischen Narrative seit 1915, die Zahl der Gefallenen seit 1918 verbreitet. Allerdings handelt es sich um die Gesamtzahl der in Nordschleswig Mobilisierten und Gefallenen. Die genaue Aufteilung in ,,dänisch und deutsch Gesinnte" ist unbekannt, dies war allerdings bereits in den Jahren nach der Grenzziehung von 1920 Gegenstand nachdrücklicher Diskussionen mit eindeutigen nationalen Präferenzen und Vereinnahmungen der Opfer. Dabei spielte die Frage der nationalen Identität eine große, aber letztendlich oftmals unmöglich zu beantwortende Rolle. Im Apenrader Landesarchiv findet sich eine vorzügliche Quelle zu dieser Frage. In vielen Fällen wurden von den Gemeindepastoren Gedenkblätter anhand deutsch- oder dänischsprachiger Vordrucke ausgefüllt, auf denen u.a. auch Aussagen zur Muttersprache und der Gesinnung des Gefallenen zu finden sind. Hier finden sich alle denkbaren Kombinationen: Dänische Muttersprache und deutsche Gesinnung, friesische Muttersprache und dänische Gesinnung, ,,unpolitisch" sowie manchmal auch Berichtigungen, wobei die ursprünglich festgestellte Gesinnung nachträglich ,,umgewidmet" worden ist.

Matthias Schartl untersucht in seinem Beitrag ,,Eine Clique ‚Alter Kämpfer'" den Aufstieg und Fall regionaler NSDAP-Eliten in der Stadt und im Landkreis Schleswig. Nils Köhler beleuchtet in seinem Beitrag den Fall der dänischen ,,Fremdarbeiter" oder Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein 1940-45. Mandy Jakobczyk bietet einen lesenswerten Überblick der staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen NS-Gewaltverbrechen in Schleswig-Holstein bis 1965. Schließlich widmet sich Gert Börnsen in einem Beitrag Willy Brandt als Visionär und Realist.

Im Band 16 finden sich 17 Beiträge, die einen zeitlich und thematisch weiten Bogen spannen: vom Widerstand gegen die Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert (von Rolf Schulte), über eine Darstellung der Landwirtschaft auf der Insel Fehmarn im 19. Jahrhundert (von Jan Wieskla), lokalhistorische Studien aus der Zeit der Weimarer Republik auf dem Lande und in der Stadt Lübeck (Michaela Plata bzw. Markus Oddey), den dänischen Nationalsozialisten in Nordschleswig (René Rasmussen), die Besatzung Dänemark, die deutsche Minderheit sowie die Grenzfrage (Henrik Skov Kristensen), die dänische Minderheit und ehemalige Nationalsozialisten in der Zeit nach Kriegsende (Martin Klatt), drei Beiträgen zur Neuen Wehrmachtsausstellung (Inga Kruse, Thomas Hill bzw. Karl Heinrich Pohl) bis zur Demonstration um das Atomkraft Brokdorf im Herbst 1976. Weitere Beiträge untersuchen Opfer und Opfergruppen in Kronshagen während der NS-Zeit (Eva Nowottny) sowie den langen Weg desselben Ortes zu einer neuen Gedenkstätte für die Opfer (Uwe Danker).

Insgesamt bietet dieser Band lesenswerte und neue Einsichten zur Regionalgeschichte in Schleswig-Holstein und im deutsch-dänischen Grenzland. Mehrere Beiträge sind aus der Feder dänischer Historiker verfasst. Dabei handelt es sich um überarbeitete Beiträge für eine wiederum grenzüberschreitende Historikertagung im Februar 2004. Die Aufnahme dieser Beiträge, die jeweils neue Erkenntnisse der dänischen zeitgeschichtlichen Forschung vorstellen, unterstreicht somit erneut den Kontakt und fortlaufenden Dialog zwischen der regionalen Geschichtswissenschaft über die Grenze. Trotz der weiten Spannbreite und der Vielfalt der Themen und Ansätze hat sich eine ,,gute Mischung" ergeben, deren Beiträge auch für historisch Interessierte außerhalb Schleswig-Holsteins relevant sind.

Jørgen Kühl, Aabenraa


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