ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Frank Becker (Hrsg.), Rassenmischehen - Mischlinge - Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich (Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte, Bd. 90), Steiner Verlag, Stuttgart 2004, 378 S., kart./brosch., 50 €.

Eheverbote haben eine lange Geschichte und existieren bekanntlich teilweise bis heute, erinnert sei an das Verbot der Doppelehe oder das Eheverbot für Verwandte in gerader Linie nach §§1306 folgende BGB. In der Vergangenheit waren Eheverbote durchaus gängige, gleichwohl häufig umstrittene Instrumente einer weltlichen oder religiösen Obrigkeit. Im Deutschen Kaiserreich z.B. wurde nicht nur über bi-nationale, etwa deutsch-polnische, oder bi-religiöse, etwa christlich-jüdische oder katholisch-evangelische Verbindungen disputiert, sondern auch über bi-ethnische Beziehungen. Fast 20 Jahre mehr oder minder unbemerkt, wurden zwischen 1905 und 1914 eheliche wie nichteheliche Verbindungen zwischen weißen Männern und indigenen Frauen sowie deren Nachwuchs in den deutschen Kolonien Gegenstand einer erregten öffentlichen Debatte. 1905 untersagte der stellvertretende Gouverneur in Windhuk, Hans Tecklenburg, den Standesbeamten die Trauung von Afrikanern und Deutschen: 1906 erging eine ähnliche Verordnung in Deutsch-Ostafrika, und am 17. Januar 1912 verbot Kolonialstaatssekretär Wilhelm Solf Mischehen auf Samoa. Politiker, Ärzte, Missionswissenschaftler, Frauenverbände, Kolonialbeamte, Juristen und auch Literaten waren sich über alle religiösen und politischen Grenzen hinweg (fast) einig, dass diese Beziehungen ,,unerwünscht" waren. Meinungsverschiedenheiten entwickelten sich aber darüber, wie der Staat mit den bestehenden Verbindungen umgehen sollte und ob und wie zukünftige Heiraten zu verhindern seien. Warum aber wurden diese Beziehungen zu diesem Zeitpunkt als solche Provokation, als solcher Grenzverlust empfunden, dass mancher Beamter sogar zum ultimativen Sanktionsmittel des Eheverbots griff, worin also lag ihr besonderer Wallungswert?

Der vorliegende Sammelband, der auf eine Tagung an der Universität Münster im Jahre 2003 zurück geht, gibt auf diese Frage eine direkte Antwort: Jede Imperialmacht fühle sich zur Stellungnahme gegenüber ethnischer Verschmelzung herausgefordert. Angesichts des Aufstiegs rassenpolitischer Konzepte und Praktiken, der mit dem Kolonialismus einher gegangen und durch ihn beschleunigt worden sei, seien diese Verbindungen und deren Nachwuchs seitens der ‚späten' deutschen Kolonialherren zwar auch als ‚rassische' Verschlechterung, viel eher aber als machtpolitische Bedrohung gedeutet worden, die als Grenzübertretungen das weiße, deutsche ‚Prestige' und die deutsche Vorherrschaft delegitimierten. Das habe besonders in Deutsch-Südwestafrika gegolten, wo die Deutschen gerade die Erfahrung eines mehrjährigen Kolonialkrieges machten und zudem auf die Burenstaaten in Südafrika verweisen konnten, die gemischtrassige Sexualbeziehungen teilweise unter Strafe gestellt hatten. Daneben, darauf geht vor allem Marc Schindler-Bondiguel in dem vorliegenden Band ein, bedrohten die Mischehen und Mischlinge das koloniale Ordnungsdenken: Sie zeigten in einzigartiger, körperlicher Weise, dass die behauptete Kluft überbrückbar war und stellten das immer mehr von festen Klassifizierungsschemata faszinierte Projekt der imperialen Expansion infrage. Insofern bezieht der Band eine eindeutige Position in den momentanen Diskussionen, wie weit rassistische Konzeptionen in die deutsche Gesellschaft eingedrungen waren und welchen Radikalisierungsgrad diese Entwürfe besaßen bzw. freisetzten:(1)
Rassismus war ein dynamisches Konstrukt, nicht zuletzt, weil es Widersprüchliches, Biologismen, Sozialvorstellungen und Kulturalismen vereinigte. Genau diese Flexibilität ließ es reüssieren, führte aber infolge ihrer Inkonsistenzen ebenso zu Spannungen. Gerade in der Mischlingsfrage wird diese Problematik sehr deutlich, z.B. wenn die Zeitgenossen sich zwischen Habitus und Hautfarbe entscheiden mussten. Nur Blutsanteile auszuzählen, schien nicht adäquat, kulturelle und soziale Anpassungsleistungen waren auch oder sogar höher zu bewerten und zu gewichten. Zudem: Erst im Zusammenspiel mit ergänzenden oder konkurrierenden Deutungsmustern bzw. Zielvorgaben und den Erfahrungen vor Ort bewies sich, was ,,Rasse" war und welche rassenpolitischen Handlungsoptionen Bürokratien und einzelne wahrnahmen - oder verwarfen. Damit gelingt es dem Band, den Eindruck, der Kolonialrassismus der Wilhelminischen Epoche sei starr und monolithisch gewesen, zugunsten eines differenzierten, die Varianz von Rassismen - und damit auch von kolonialen Realitäten - unterstreichenden Bildes zu korrigieren.

Allerdings ergeben sich diese kontextualisierenden Überlegungen und Anschlussmomente erst aus der Lektüre des gesamten Bandes, dessen Profil etwas unscharf bleibt. Obwohl am Beispiel der Mischehen und/oder Mischlinge die koloniale Rassenideologie und -politik des Kaiserreichs ausgelotet werden soll, wie Frank Becker in seiner Einleitung deutlich herausstreicht, gehen nicht alle Beiträge auch auf diese beiden Problemkreise ein. Den Anfang machen drei Abhandlungen zur Bedeutung, zum Begriff und zu den Ausformungen von Rassismus in der deutschen Diskussion. Horst Gründer warnt in seinem Beitrag zum Stellenwert des Rassismus im Spektrum der deutschen Kolonialideologie zu Recht davor, allzu lineare Verbindungen zwischen den rassistischen Diskursen des 19. Jahrhunderts und dem Nationalsozialismus zu ziehen. Michael Schubert präsentiert in seinem Text zu Rassenbegriffen und Kolonialpolitik im Deutschen Kaiserreich eine gute Zusammenfassung seiner Dissertation. Er arbeitet mit zwei Idealtypen des kolonialen Rassismus, zum einen mit dem Modell des ,,kulturmissionarischen Rassismus", zum anderen mit der Variante des ,,sozialdarwinistischen Rassismus." Unterstellte die Kulturmission der kolonisierenden Staaten zwar ein zivilisatorisches Gefälle zwischen Weiß und Schwarz und legitimierte damit die imperiale Expansion des 19. Jahrhunderts, glaubte sie aber doch fest daran, den ,,Neger" an die Zivilisation heranzuführen. Sukzessive sei dieser kulturmissionarische Rassismus von einem sozialdarwinistischen Rassismus überzogen, durchwoben und im Nationalsozialismus verdrängt worden. Für die Zeit des Kaiserreichs habe sich jedoch, selbst nach den Kriegen in Ostafrika und Deutsch-Südwestafrikas, das kulturmissionarische Denken weitgehend behauptet. Diese Dominanz kann auch Thorsten Altena in seinem Beitrag zu den protestantischen Missionsgesellschaften zeigen, wobei man seine Typologie des Afrikanerbildes seitens der Missionen etwas realitätsfern finden mag, gingen doch im Alltag zumindest bei den Missionaren vor Ort vermutlich positive und negative Attitüden gegenüber den ,,Eingeborenen" eine Gemengelage ein.

Diesen eher systematisierenden Zugriffen ist auch die anregende Analyse von Christoph Marx zuzurechnen, die sich dem Versuch unterzieht, eine Typologie von Siedlerkolonien in Afrika zu erstellen. Für diese Kolonien stellte sich die Frage, wie die Kolonialherren mit den indigenen Gesellschaften umgingen. Anders und schärfer als in Handels- oder Stützpunktkolonien sollte das Land als neue Heimat in Besitz genommen und eine exklusive Siedlerherrschaft errichtet werden, die nicht nur, aber zuvörderst auf rassischen Privilegien beruhte. Marx weist darauf hin, dass sich die Siedler in Afrika im Gegensatz zu Australien, Neuseeland oder den USA erst ,,nachträglich Zugang zu Staatsgewalt verschaffen mussten." (S. 86) Sie mussten die Politik des Staates zu ihren Gunsten beeinflussen. Der Rassismus der Siedler hatte daher einen ,,prononciert legitimatorischen Charakter" (ebd.), was zu seiner größeren Virulenz in diesen Kolonien beigetragen habe.

Da Deutsch-Südwestafrika die einzige Siedlungskolonie des Deutschen Reiches war und hier zudem das erste Mischehenverbot erging, behandeln die folgenden sieben Beiträge die Vorgänge in und um dieses ,,Schutzgebiet." Die von Marx aufgezeigten Gemeinsamkeiten von Siedlerkolonien werden im Text von Jürgen Zimmerer wieder partiell zurückgenommen, wenn er die rassische Privilegienherrschaft in Deutsch-Südwestafrika als ,,[v]ielleicht stärker als in anderen Kolonien" (S. 112) ausgeprägt deklariert. Sein Beitrag gliedert sich in zwei Teile. Zum ersten bietet er eine Zusammenfassung mit aus der Forschung bekannten und auch neuen Fallbeispielen, wie die Obrigkeit in DSWA die - nicht nur sexuellen Beziehungen - zwischen Deutschen und Afrikanern nach den Kriegen strikt reglementierte. Es bleiben aber Zweifel, ob die in den Akten dokumentierten Fälle pars pro toto die straff organisierte rassische Privilegienherrschaft repräsentieren - oder ob nicht manche Vorgänge eher als Reaktion auf einen Eigensinn sowohl der Afrikaner als auch der Deutschen zu interpretieren sind, die sich eben im Alltag keineswegs so untertänig bzw. rassefest zeigten, wie es das Gouvernement wünschte. Bei dieser Thematik wird im besonderen Maße das Desiderat spürbar, die afrikanische Perspektive stärker zu berücksichtigen. Im kürzeren zweiten Teil korrigiert dann Zimmerer in Teilen seine in anderen Publikationen vertretene These, dass der Herero und Nama-Krieg ein ,,entscheidendes Bindeglied zu den Verbrechen der Nationalsozialisten", so Zimmerer 2003, darstelle. Hier vermeidet er den direkten Bezug zur Shoah und konzentriert sich ganz auf die Besatzungspolitik gegenüber Russen und Polen. Die koloniale Gewaltherrschaft und ihre rassenpolitische Konzeption werden nunmehr zu einer der ,,zahlreichen Zubringerstraßen" der nationalsozialistischen Gewaltengrenzung, und zwar zur ,,nicht unwichtigste[n]" (122).

Fruchtlos bleibt der Beitrag von Jan Henning Böttger, der unter dem monströsen Titel ,,Kolonialdiskursive Bedingungen rassenpolitischen Handelns am Beispiel der verhinderten ‚Einfuhr' eines Chinesen nach Deutsch-Südwestafrika" mit großem diskustheoretischen und linguistischen Aufwand die von Lindequist verweigerte Einreise eines chinesischen Wäschers verhandelt. Er möchte an diesem Einzelbeispiel nachweisen, dass Rassen- und Wirtschaftspolitik keinesfalls so widerspruchslos verschmolzen, wie die Rede von der ,,Ausbeutung der Kolonialisierten" nahe legt. Das mag sein, nur ist der von ihm gewählte Einzelfall von Lee Lion(2), so hieß der von Böttger nur als ,,der Chinese" bezeichnete Mann, hierfür untauglich. Lindequist haben lediglich andere ökonomische und zwar protektionistische Erwägungen umgetrieben. Er wollte die Abwehr eines vermeintlichen ,,Schmutzkonkurrenten" für deutsche Wäscher und mutmaßlichen Gründers einer Kette von asiatischen Billigwäschereien erreichen. Insofern ist auch Lindequists Position ein Beispiel für die ökonomische Fundierung von Rassismus - oder die rassistische Fundierung von Wirtschaftszielen. Harald Sippel wiederum rekonstruiert in gewohnt solider und differenzierter Weise aus rechtsgeschichtlicher Perspektive die damaligen Ansätze, das Entstehen einer größeren Mischlingsbevölkerung in Deutsch-Südwestafrika zu vermeiden. Auch in seinem Überblick wird deutlich, dass die biologischen Klassifizierungsversuche immer ,,kulturelle Korrektive" (Frank Becker) begleiteten. Katharina Walgenbachs Aufsatz zur Geschlechterspezifik der Rassenpolitik repetiert mehr oder weniger die Forschungsergebnisse Dritter, insbesondere Lora Wildenthals These der weißen deutschen Frau als Kulturträgerin in die Kolonien. Gerade ihr Beitrag macht nolens volens deutlich, dass sich eine Untersuchung der Kolonialideologie, wenn überhaupt, so nur noch in länderübergreifenden Studien lohnt, und dass immer neue Versuche, die schon mehrmals durchkämmte Kolonialliteratur auf Frauenbilder zu untersuchen, kaum noch Neues bringen wird. Vielversprechender scheint es, die kolonialen Maskulinitätsphantasien endlich auch der Kolonialkritiker herauszuarbeiten und vor allem danach zu fragen, in welchem Verhältnis rassistisches Denken und rassistisches Handeln standen.

Mit den Missionen beschäftigen sich die folgenden beiden Autoren. Frank Becker analysiert eingehend die sowohl von der evangelischen Rheinischen Missionsgesellschaft als auch von den katholischen Hünfelder Oblaten errichteten Heime für Mischlinge und den Einstellungswandel der Missionare zu ihren Schützlingen. Denn auch in diese Kreise drang das rassenpolitische Differenzaxiom ein, wenngleich sich die Katholiken offenbar zögerlicher als die Protestanten von diesem überzeugen ließen. Kathrin Rollers Ausgangspunkt sind zwei Briefe von Nachfahren des Missionars Schmelen, der 1814 eine Afrikanerin geheiratet hatte. Während der eine Verfasser den farbigen Blutsanteil als großen Makel empfand, interpretierte die andere Briefschreiberin die Ehe der Urgroßeltern als ,,gottgefällig", weil sie für die Verbreitung des Christentums förderlich und Zara Schmelen eine fromme Frau gewesen sei. Sei die erste Äußerung als Beleg für die Verankerung rassenpolitischer Diskurse auch in den Missionen zu sehen, bot das pietistisch fromme Missionsgedächtnis der anderen Nachfahrin einen positiven Bezugspunkt. Leider kommt Roller erst auf der vorletzten Seite zu dem vermutlich ausschlaggebenden Grund dafür, dass beide sich in so unterschiedlicher Weise auf ihre schwarze Urahnin bezogen, nämlich die jeweilige Geschlechtsidentität: ,,Als für einen ‚nicht ganz weißen' Mann, als der er sich empfand, stellte es für Willi Hegner eine ganz andere Grenzüberschreitung dar, um eine ‚weiße' Frau zu werben, als für Dorothea Zimmermann, deren Ausgangsposition als ‚nicht-ganz weiße' Frau die Hierarchie von Geschlecht und ‚Rasse' nicht durcheinander brachte, wenn sie, wie ihre Vorfahrinnen, einen ‚weißen' Mann heiratete." (S. 252). Sie konnte sich in die Linie eines erfolgreichen weiblichen Aufstiegs einreihen, eine Identifikationsmöglichkeit, die Hegner verwehrt blieb. Medardus Brehl schließlich untermauert einmal mehr die These, dass Mischlinge eine Provokation für den strikten Rassenantagonismus waren. Kurioser Weise macht er jedoch dieses Drohpotential an ihrer weitgehenden Abwesenheit in der damaligen Kolonialliteratur insbesondere zum Krieg gegen die Herero fest. Mischlinge waren nach seiner Deutung eine solche Herausforderung für die nationale Identität, dass die Deutschen sie am besten durch Nichtthematisieren ertrugen. Überzeugend wirkt das nicht, denn die größte Mischlingsgruppe in Namibia waren die Rehobother Baster, und ob Brehl die Kolonialliteratur überhaupt nach diesen durchsucht hat, die sich in den Kriegen auch noch den Deutschen angeschlossen hatten, wird nicht klar. Die eigentliche Feindgruppe der Herero war offenbar auch imaginär viel bedeutsamer als die der Mischlinge. Interessant wäre somit gewesen, die Kriege, d.h. die Bedrohung durch die Herero und Nama, zum Ausgangspunkt zu nehmen, um die Grenzen und Ambivalenzen der Affronts gegen Mischlinge darzustellen.

Die letzten vier Beiträge werfen den Blick über den deutschen wie namibischen Tellerrand, auf Frankreich, Kiautschou, Samoa, sowie auf die Völkerschauen. In einem der gelungensten Beiträge des Bandes belegt Marc Schindler-Bondiguel am Beispiel Indochina, dass das angeblich so ganz andere Modell der multiethnischen Assimilation, mit dem die Imperialmacht Frankreich die Kolonisierten an die französische Kultur heranführen wollte, in der kolonialen Realität erstaunliche Parallelen zum deutschen Vorhaben der kolonial-segregierenden ethnischen Homogenisierung aufwies. Denn in den Kolonien sollten keineswegs kollektiv alle ,,Mischlinge" umstandslos zu Franzosen werden. Das ius solis galt bekanntlich in den französischen Kolonien nicht. Hier war entscheidend, ob das Kind einen französischen Vater hatte und ob er seinen Nachwuchs anerkannt hatte. Die Mehrheit der als rassisch und kulturell ,,hybrid" Eingestuften konnte die zweite Bedingung nicht erfüllen, bei ihnen musste das Assimilationspotenzial für die Aufnahme in den französischen Nationskörper erst geprüft werden. Es war das alte Lied im Nationsbildungsprozess: Exklusion und Inklusion waren fest aneinander geschmiedet. Auch in Kiautschou spielte, so Thoralf Klein ein biologistischer Rassenbegriff eine Rolle, aber er wurde immer wieder - angesichts der auch von den Deutschen anerkannten alten chinesischen Hochkultur - durch kulturelle und soziale Kriterien wie Wohlstand und gesellschaftlicher Einfluss des Betreffenden ergänzt oder ersetzt. Auf Samoa hingegen bestanden zahlreiche eheliche wie nichteheliche Verbindungen, die Roland Samulski in seinem sehr instruktiven Aufsatz auf drei Aspekte zurückführt: auf die dort schon bestehende Rassenmischung, die wohlwollende Beurteilung der Samoaner, v.a. der Samoanerinnen, sowie den geringen rassenpolitischen Druck, der auf Samoa als keiner ausgesprochenen Siedlungskolonie wirkte. Ein entscheidender Mann allerdings empfand Mischehen und Mischlinge immer stärker als Belastung, nämlich Gouverneur Wilhelm Solf. Er rang sich 1912, als er schon in Berlin Kolonialstaatssekretär war, zu dem angesprochenen Verbot durch, mit dem er auf Samoa und im Reichstag unter heftige Kritik geriet. Dass dieses Interdikt in der Tat ein Kompromiss war und insofern Samoas Sonderstellung spiegelte (346), wird an seiner Zielrichtung deutlich, die weniger die bestehenden Ehen und bereits geborenen Mischlinge als zukünftige Beziehungen und Kinder diskriminierte. Alexander Honold beschließt den Band mit einer kulturwissenschaftlichen Analyse der Völkerschauen und ihren Spannungsmomenten aus gegenseitigen voyeuristischen ,,Blickkontakten, Provokationen und Nachahmungen" (374), das diesen obwohl so einseitig geplanten Kulturkontakt zu einem für die kolonialinteressierten Kreise höchst irritierendem Unternehmen machte, das auch in der Literatur einen ironisch-kritischen Niederschlag fand.

Zwei Eindrücke bleiben nach der Lektüre dieses Bandes: Die Entdeckung neuer Quellen scheint unumgänglich, die immer wieder angeführten Akten aus Berlin, die immer wieder zitierten Artikel aus Kolonie und Heimat oder der rechten Presse haben sich erschöpft. Welch vielfältiges Material, welche kolonialengagierten oder -kritischen Gruppen der metropolitanen Forschung zum deutschen Kolonialismus noch harren, das hat zuletzt recht eindrucksvoll der von Alexander Honold herausgegebene Band Mit Deutschland um die Welt gezeigt.(3) Und: Weitere komparative Studien zu anderen Imperialmächten (oder der Geschichte der Rassengesetzgebung in den USA) hätten die Argumentation schärfen und Perspektiven für künftige Studien aufzeigen können. Sie würden zum einen die spezifischen Konturen der deutschen Kolonialherrschaft präzisieren, diese aber gleichzeitig in der europäischen Imperialgeschichte besser verorten. Beides trüge dazu bei, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Hinblick auf den Nationalsozialismus genauer als bisher zu gewichten. Zum anderen würde deutlich, ob und wie sich die beteiligten Akteure dieses internationalen Reservoirs an Argumenten und rechtlichen Handhaben für eine koloniale Rassenpolitik bewusst waren und darauf zurückgriffen. Mit der weitgehenden Konzentration auf den deutschen Kolonialzusammenhang leistet der Band zwar eine überaus verdienstvolle Bestandsaufnahme bisheriger Forschungen, vergibt aber die Chance, über Bestehendes hinauszugehen.

Birthe Kundrus, Hamburg


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